Startschuss im Prozess gegen Kardinal Becciu

Kurienkardinal Giovanni Angelo Becciu gilt als gewiefter Taktiker. Dann wurde ihm sein Taktieren zum Verhängnis. Er verlor seinen Leitungsposten und seine Rechte als Kardinal. Nun muss er sich vor Gericht verantworten.

Anna Mertens

Er sieht sich als Opfer eines Komplotts, als Betrogener, als rechtschaffener Kirchenmann: Giovanni Angelo Becciu, Kardinal aus Sardinien, muss sich ab Dienstag vor dem vatikanischen Strafgericht verantwortet. Dem 73-Jährigen werden Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Verleitung zur Falschaussage vorgeworfen.

Neun weitere Personen auf der Anklagebank

Mit ihm auf der Anklagebank sitzen acht Männer und eine Frau, darunter Geistliche, Bänker, Anwälte. Die Vorwürfe gegen die restlichen Angeklagten wiegen schwerer: Geldwäsche, Erpressung, Korruption, Unterschlagung und Betrug. Wie lange der Prozess sich hinzieht und was am Ende herauskommt, ist offen. Ein päpstlicher Paukenschlag ist es jetzt schon.

Hinter dem promovierten Kirchenrechtler Becciu liegen 36 Jahre Kuriendienst, eine glänzende Laufbahn als Vatikandiplomat in Afrika, Europa, Neuseeland und den USA, dann als Nuntius in Angola, Sao Tome und Principe und schliesslich Kuba. 2011 gab Benedikt XVI. ihm das Amt des Substituten, eine Schlüsselposition in der Kurienverwaltung, die er sieben Jahre lang ausübte. Becciu war für zentrale personelle und finanzielle Angelegenheiten in der Kirchenleitung zuständig.

Kompetenzgerangel mit Kardinal Pell

Als der Malteserorden 2017 in einer Leitungskrise steckte, machte Franziskus Becciu zu seinem Sondergesandten. Im Herbst 2018 berief er ihn an die Spitze der Heiligsprechungskongregation, nachdem er ihn kurz zuvor zum Kardinal ernannt hatte. Mancher stutzte damals schon.

Der 73-jährige Sarde gilt als machtbewusst und bestens vernetzt. Unter anderem trat er als Substitut mit dem damaligen vatikanischen Wirtschaftschef Kardinal George Pell in einen Konflikt um Kompetenzen bei der Vermögenskontrolle. Spätestens im Oktober 2019 jedoch geriet die Welt des Kardinal Becciu ins Wanken.

Verlustreicher Immobiliendeal

Am 1. Oktober führte die Vatikan-Gendarmerie eine Razzia im Staatssekretariat und in der vatikanischen Finanzaufsicht AIF durch. Fünf Mitarbeiter wurden suspendiert. Hintergrund und nun Schwerpunkt der Anklageschrift war eine vom Staatssekretariat genehmigte verlustreiche Investition einer dreistelligen Millionensumme in eine Immobilie in London, sowie die Deals und Provisionen drumherum.

Dabei vertraute der Vatikan Recherchen zufolge weitgehend auf einzelne italienische Geschäftsfreunde wie die Finanzmanager Raffaele Mincione und Enrico Crasso, die nun mit Becciu auf der Anklagebank sitzen. Offenbar flossen auch Spenden aus dem Peterspfennig in das teuer bezahlte Geschäftshaus in der Sloane Avenue im Londoner Stadtteil Chelsea.

Spekulationen über Vetternwirtschaft

Im September 2020 traf Becciu der wahre Blitz. Franziskus entband ihn von seinem Amt als Kurienpräfekt und nahm ihm «die mit der Kardinalswürde verbundenen Rechte». Gründe nannte der Vatikan nicht. In einer eigenen Pressekonferenz am Tag danach, machte Becciu seinem Unverständnis Luft, beteuerte Unschuld. Im Anschluss spekulierten italienische Medien, Becciu habe seinen Posten im Staatssekretariat auch genutzt, um Familienangehörige in Sardinien bei fragwürdigen Sozialprojekten zu unterstützen.

Auf diese Vorwürfe geht die Anklageschrift nicht ein, wohl aber auf seine Beziehung zu der nicht weniger fragwürdigen Sicherheitsberaterin Cecilia Marogna. Ihr, beziehungsweise ihrer slowenischen Briefkastenfirma, gab Becciu aus den Kassen des Staatssekretariats gut 500’000 Euro, die sie wohl vorrangig für private Luxusgüter ausgab. Marogna geriet auch in den Fokus der italienischen und slowenischen Justiz.

Becciu beteuert weiterhin seine Unschuld

Becciu beteuert weiterhin seine Unschuld. «Der Prozess wird zeigen, dass ich immer ehrlich gehandelt hab», erklärte Becciu nach Prozessankündigung. Mehrfach schon drohte er Medien, die ihm diverse Vergehen vorwarfen, mit Verleumdungsklagen. Bei einer Klage forderte er Schadenersatz in Millionenhöhe. Die Berichterstattung habe seine künftigen Kandidatenchancen auf das Papst-Amt zerstört.

Nicht auf der Anklagebank, sondern auf der Seite der Nebenkläger sitzt indes Beccius früherer Vorgesetzter, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Und auch seinem Nachfolger Egdar Pena Parra, der bereits seit 2018 die Rolle des Substituten einnimmt, wird in diesem Prozess bislang nichts vorgeworfen. Ob sich dies mit Prozessbeginn ändert, bleibt abzuwarten. (cic)


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