Katholische Kirche: Entmündigte Menschen dürfen vielerorts nicht mitbestimmen

Bei bestimmten Behinderungen oder Krankheiten werden Menschen entmündigt. Der korrekte Ausdruck dafür lautet: Sie stehen unter umfassender Beistandschaft. In den meisten Kantonen haben sie nichts zu melden – auch nicht bei kirchlichen Abstimmungen.

Barbara Ludwig

Menschen, die nicht in der Lage sind, ihr Leben alleine zu meistern, bekommen einen Beistand. Wenn sie besonders hilfsbedürftig sind, errichtet die Erwachsenenschutzbehörde eine umfassende Beistandschaft. Ursache der Hilfsbedürftigkeit kann eine geistige Behinderung sein. Ob eine umfassende Beistandschaft angeordnet wird, hängt aber nicht einfach von einer Diagnose ab.

In der Mehrheit der reformierten Landeskirchen hat diese Schutzmassnahme den Ausschluss vom kirchlichen Stimm- und Wahlrecht zur Folge, wie das Newsportal ref.ch im April berichtete. Recherchen von kath.ch zeigen: Auf katholischer Seite sieht die Situation ähnlich aus.

Deutschschweizer Ausnahmen

In den meisten Kantonen der Deutschschweiz dürfen Katholikinnen und Katholiken unter umfassender Beistandschaft in kirchlichen Angelegenheiten nicht abstimmen und wählen. Dazu zählen der Aargau, Appenzell Innerrhoden, Basel-Land, Basel-Stadt, Glarus, Graubünden, Luzern, Nidwalden, Obwalden, Schwyz, Solothurn, St. Gallen und Zürich.

Ausnahmen in der Deutschschweiz sind die Kantone Appenzell Ausserrhoden, Bern, Thurgau und Uri. Hinter das Ja im Kanton Appenzell Ausserrhoden muss man jedoch ein kleines Fragezeichen setzen.

Kein dringliches Thema

Clemens Wick vom Verband katholischer Kirchgemeinden in Appenzell Ausserrhoden teilt mit, seine Abklärungen zum Stimmrecht hätten «zu keinem klaren Ergebnis geführt». Der kantonale Rechtsdienst wiederum kommt zum Schluss, Kirchenmitglieder unter umfassender Beistandschaft seien «in der Kirche grundsätzlich wahl- und stimmberechtigt».

Thomas Frey leitet den Rechtsdienst. Er stellt gegenüber kath.ch allerdings klar, dies sei «lediglich unsere Einschätzung der kirchenrechtlichen Grundlagen»; der Kanton könne keine «verbindliche Antwort» geben.

Am Beispiel des Ostschweizer Kantons lässt sich illustrieren, dass die Frage des Stimmrechts behinderter Menschen nicht akut unter den Nägeln brennt. Das zeigt sich auch im Kanton Schaffhausen. «Eine solche Bestimmung ist uns nicht bekannt, und diese Frage hat sich unseres Wissens in letzter Zeit bei uns auch nie gestellt», teilt Barbara Leu mit. Sie ist Verwalterin der römisch-katholischen Landeskirche.

Unklare Situation in Schaffhausen

Was im Grenzkanton gilt, bleibt auch nach einem Gespräch mit Andreas Jenni vom Amt für Justiz und Gemeinden unklar. Das kantonale Recht überlasse es grundsätzlich der Kirche, diese Frage zu regeln, sagt der Leiter der Dienststelle unter Verweis auf die Kantonsverfassung. Vom kantonalen Recht abweichende Bestimmungen seien möglich. Wenn nun die Kirche die Frage nicht explizit regle, könne man davon ausgehen, dass kantonales Recht subsidiär gelte, folgert der Jurist. Allerdings müsste dies im kirchlichen Recht festgehalten sein.

Uneinheitliche Regelung in Zug

Im Zentralschweizer Kanton Zug ist die Situation uneinheitlich. Dort liegt die Kompetenz zur Regelung dieser Frage bei den einzelnen Kirchgemeinden, die das unterschiedlich handhaben, teilt Bernadette Thalmann mit. Sie ist in Zug für die Kommunikation zuständig.

Drei Mal Ja in der Romandie

In der Westschweiz gibt es mit Genf, Neuenburg und der Waadt drei Kantone, in denen Kirchenmitglieder unter umfassender Beistandschaft mitbestimmen dürfen.  Im Jura hingegen wird Betroffenen das Stimm- und Wahlrecht verwehrt, ebenso im zweisprachigen Kanton Freiburg.

Ein Sonderfall ist das zweisprachige Wallis. Dort gibt es keinerlei kirchliche Struktur ausserhalb des Kirchenrechts. Aus diesem Grund sind alle Gläubigen gleichermassen von der Mitsprache ausgeschlossen.

Keine Mitsprache im Tessin

Im Tessin wiederum orientiert sich die katholische Kirche an der staatlichen Gesetzgebung, wie der Sprecher des Bistums Lugano, Luca Montagner, mitteilt. Weil die kirchlichen Gesetze zu dem Thema schweigen, kämen analog kantonale Gesetze zur Anwendung. Letztere schliessen Personen unter umfassender Beistandschaft von den politischen Rechten aus. Somit dürfen diese Menschen auch in der Kirche nicht mitbestimmen.

Das Tessin ist mit der Orientierung am staatlichen Recht aber kein Einzelfall. In mehreren Kantonalkirchen der Deutschschweiz gilt das staatliche Recht ebenfalls subsidiär. In manchen Fällen verweist das kirchliche Recht explizit auf staatliche Regelungen oder übernimmt diese.


Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/katholische-kirche-entmuendigte-menschen-duerfen-vielerorts-nicht-mitbestimmen/