Von «Tout l'univers» bis «Amen»: So spirituell ist der Eurovision Song Contest

Für Orthodoxe auf Zypern ist der Song «El Diablo» des Teufels. Der Schweizer Sänger Gjon’s Tears inszeniert eine Nahtoderfahrung. «Amen» heissen gleich zwei Lieder. In einem taucht sogar «Halleluja» auf. Der Eurovision Song Contest ist nicht religiös, nutzt aber religiöse Motive.

Raphael Rauch

1979 gewann ein religiös gefärbtes Lied den «Eurovision Song Contest» (ESC): Die israelische Band «Milch und Honig» siegte mit «Hallelujah».

Schweizer Heilsarmee in Malmö

Auch sonst ist Religion immer mal wieder ein Thema beim ESC. 2013 schickte die Schweiz die Berner Band «Heilsarmee» nach Malmö. Der ESC bemüht sich um Neutralität. Entsprechend dürfen dort keine Organisationen auftreten – auch keine religiösen. Daher nannte sich «Heilsarmee» kurzum in «Takasa» um.

Aktuell sind Orthodoxe auf Zypern empört, weil das zypriotische Lied «El Diablo» heisst», «Der Teufel». Just dieser Beitrag wird als Erster das ESC-Finale in Rotterdam eröffnen – das Fernsehen überträgt live um 21 Uhr. Und auch sonst gibt es spirituelle und religiöse Bezüge, wie diese Übersicht zeigt.

Gjon’s Tears, Schweiz, mit «Tout l’univers»

Das Lied des Schweizer Sängers wirkt sehr spirituell. Der Video-Clip zeigt einen Autounfall, ein Mann liegt regungslos auf der Strasse. Ist er gestorben? Er ist an der Schwelle zum Tod, wird eins mit dem Universum. Doch dann kehrt das Universum samt seiner Seele um – und er kommt ins Leben zurück.

Zwischen Nahtod-Erfahrung und Big-Bang-Theory

Das Lied zeigt mit der Nahtod-Erfahrung eine Möglichkeit, unsere Seele mit dem Universum zu verbinden – und wirkt zugleich wie eine musikalische Big-Bang-Theory.

Vielleicht hat die Figur aber auch nur Liebeskummer. Vielleicht stirbt gerade eine Liebe, vor lauter Weltschmerz droht der Untergang – doch dann obsiegt der Wille zum Leben und der Mut, weiterzumachen.

Die Wettbüros sehen den Freiburger vorne

Bürgerlich heisst der Sänger Gjon Muharremaj. Er stammt aus Broc im Kanton Freiburg. Seine Eltern sind Kosovo-Albaner. Am Konservatorium in Bulle studierte er Operngesang, was seine souveräne Kopfstimme erklärt. Die Wettbüros sehen ihn weit vorne!

Elena Tsagrinou, Zypern, mit «El Diablo»

Empörte Orthodoxe waren die besten Werbeträger für diesen Song. Bereits vor Monaten sorgte «El Diablo» für Schlagzeilen, weil sich konservative Christen am Lied über den Teufel stören. Die Orthodoxe Kirche in Zypern warnt vor einer «Glorifizierung einer fatalistischen Unterwerfung und Ergebung unter die Mächte des Teufels».

Dabei hat der Song nichts Häretisches an sich. Teufel und Engel erscheinen wie ein willkürlicher Platzhalter:

Der Songtext ist nicht unbedingt spirituell, benutzt allerdings religiöse Metaphern. Wer Lady Gaga mag, wird auch Elena mögen.

Tix, Norwegen, mit «Fallen Angel»

Ähnlich verhält es sich mit dem norwegischen Song «Fallen Angel»:

Wieder werden religiöse Metaphern für Herzschmerz verwendet. Wer will leugnen, dass auch Verliebtheit eine spirituelle Kraft ist?

Der Sänger hat mit dem Tourette-Syndrom zu kämpfen, einer Nervenkrankheit. Für ihn ist allein schon die Teilnahme ein Sieg.

Maneskin, Italien, mit «Zitti e buoni»

Der italienische Heavy Metall überrascht. Sonst steht Bella Italia ja oft für Schnulzen und Kitsch. Der Song präsentiert Italien jung, modern und androgyn – mit einer spirituellen Frage, die einfach zu formulieren und schwierig zu beantworten ist: Was ist der Sinn der Zeit?

Anxhela Peristeri, Albanien, mit «Karma»

Mit «Karma» singt Anxhela Peristeri einen vergleichsweise ernsthaften Song. Das lyrische Ich hadert mit der Welt – und mit Gott:

Warum «Gott» dem lyrischen Ich nicht vergibt, erfahren wir leider nicht. Der albanische Song startet im Finale heute auf dem zweiten Platz. Die Sängerin zeigt sich stolz und stark. Sie verkörpert ihr Land mit einer enormen Präsenz.

Rückblick aufs Halbfinale

Im Halbfinale sind bereits mehrere Songs mit religiös-spirituellen Metaphern ausgeschieden.

Ana Soklič, Slowenien, mit «Amen»

Die slowenische Sängerin Ana sagt über ihren Song «Amen»: «Amen» handele von Liebe, weil sie das Wichtigste im Leben sei. Die Botschaft des Songs sei universell: «Ich interpretiere meine Lieder niemals persönlich, weil ich möchte, dass jeder seine eigenen Vorstellungen entwickelt.»

«Amen» ist nicht das einzige religiöse Wort in ihrem Song. Auch «Halleluja» kommt vor:

Ihre Ballade enthält ein klassisch christliches Vokabular, das aufbauen und ermutigen soll. Der Wechsel von der Dunkelheit zum Licht mit Feuer-Elementen erinnert an die Auferstehung in der Osternacht.

Vincent Bueno, Österreich, mit «Amen»

Nein, das ist kein Tippfehler: Dieses Jahr wollten gleich zwei Lieder mit dem Titel «Amen» ins ESC-Finale: nicht nur Slowenien, sondern auch Österreich.

Der österreichische Song «Amen» von Vincent Bueno hat sogar einen Bezug zur Schweiz: Wie der «Blick» berichtete, hat der Schweizer Musikproduzent Pele Loriano «Amen» mitproduziert. Loriano ist auch musikalischer Leiter des SRF. Die religiösen Bezüge halten sich aber auch hier in Grenzen.

In diesem Song beerdigt jemand seine Beziehung. Doch ausser dem bekräftigenden «Amen» hat der Song kein pfingstliches Happy-End.

Blind Channel, Finnland, mit «Dark Side»

«Dark Side» enthält einen Schuss Satanismus – und ganz viel Trotz, nach dem Motto: «Wir wollen nicht erwachsen werden»:

Das, was «El Diablo» nicht ist, ist dafür «Dark Side»: Ein Spiel mit der dunklen Seite des Lebens.

Fyr & Flamme, Dänemark, mit «Øve os på hinanden»

Das Gebet an den Schöpfer und eine Art Himmelfahrts-Metapher kommen im Songtext vor. Und der Name des Duos hat etwas Pfingstliches: «Feuer und Flamme». Die Inszenierung hingegen hat keine religiöse Dramaturgie.

Berührende Momente in anderen Songs

Auch zu den anderen Songs gibt es etwas zu sagen. Etwa zum israelischen Beitrag, der in politisch aufgeladenen Zeiten eine Botschaft des Friedens mitbringt: «Die Freiheitsglocke soll Ruhe in ein aufgewühltes Land bringen.»

Die Sängerin bedankt sich auf Hebräisch und auf Arabisch und zeigt, wie das Zusammenleben von Juden und Arabern funktionieren kann. Und sie rückt eine Minderheit in den Fokus: Juden mit äthiopischem Hintergrund, die in Israel oft diskriminiert werden.

Mutiges Russland

Der russische Beitrag ist ein feministisches Statement gegen Patriarchat und toxische Männlichkeit in Russland, an der auch die Orthodoxie nicht ganz unschuldig ist.

Die ukrainische Band singt ebenso kraftvoll und mutig gegen Unterdrückung an – in grünen Engelsflügeln. Bei der Punktvergabe dürfte spannend werden, ob wieder einmal politische Konstellationen Auswirkungen haben.

Vielversprechend ist auch der schwedische Beitrag: Der Sänger Tusse hat in Frauenkleidern eine starke Präsenz. Seine Geschichte bewegt: Er arbeitete sich vom Flüchtling aus dem Kongo über das Asyl in England hoch zum schwedischen ESC-Teilnehmer.

Er litt unter vielfacher Diskriminierung – auch, weil er sich gerne die Nägel lackierte. Sein Beitrag ist nicht religiös – und doch hat er eine spirituelle Botschaft: Als einer der ganz wenigen Songs gibt er ein klares Statement gegen jegliche Form von Diskriminierung ab.

Blas Cantó hat seine Grosseltern verloren

Ebenso berührend ist der spanische Beitrag, der die Liebe zu den verstorbenen Grosseltern besingt. Hier schwingt – gerade in Corona-Zeiten – eine besonders wichtige Botschaft mit: die Zeit, die wir miteinander verbringen können, wertzuschätzen! Der Song dürfte viele zu Tränen rühren.

Der deutsche Beitrag sagt mit «I don’t feel hate» jeglicher Form von Hass den Kampf an, ist allerdings auf den Rankings auf den letzten Plätzen zu finden.


Mit diesem Hit tanzt die Welt ins himmlische Jerusalem

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/von-tout-lunivers-bis-amen-so-spirituell-ist-der-eurovision-song-contest/