Vom «Waisenhüüsler» zum Spitzendiplomaten: Martin von Walterskirchen leitet die Malteser

Noblesse oblige? Trotz vieler Adliger im Malteserorden sei das Engagement für die Armen und Schwachen wichtiger, sagt Martin von Walterskirchen (73). Der Chef der Schweizer Malteser musste im Leben selbst ganz unten durch.

Barbara Ludwig

Wohnung und Büro des Präsidenten der Schweizer Malteser befinden sich in einem stattlichen Bürgerhaus am Luzerner Kapellplatz. Auf dem Kachelofen im Arbeitszimmer von Martin von Walterskirchen stehen Fotos. Er erklärt, wer darauf zu sehen ist: Einmal der 2020 verstorbene Grossmeister des Malteserordens, Giacomo Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto.

«Drei Dinge wollte diese Frau noch sehen: den Papst, Rom und das Meer.»

Dann Papst Johannes Paul II., wie er Menschen mit Behinderung begrüsst – mit dabei ein Schwager des Maltesers und eine Ordensfrau. «Drei Dinge wollte diese Frau einmal in ihrem Leben sehen: Den Papst, Rom und das Meer. Dazu durften wir ihr verhelfen.»

Wir, das ist der Malteserorden. Martin von Walterskirchen gehört dem «Souveränen Ritter- und Hospitalorden vom Heiligen Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta» seit 48 Jahren an. Der Orden mit dem langen Namen wurde im Jahr 1048 gegründet.

Am Anfang war es ein Abenteuer

Er war noch Student an der Hochschule St. Gallen, als er in Österreich durch einen Cousin den Orden und den dortigen Hospitaldienst kennenlernte. Martin von Walterskirchen war gleich Feuer und Flamme. 1973 trat er den Maltesern bei, gründete ein Jahr später den Malteser Hospitaldienst Schweiz (MHDS). «Damals stand für mich noch nicht das Spirituelle im Vordergrund. Für mich war es ein Abenteuer und verbunden mit der katholischen Kirche», erzählt der 73-Jährige.

«Ich will das nicht an die grosse Glocke hängen.»

Anfänglich habe er auch noch nicht gewusst, dass zwei seiner Vorfahren ebenfalls Malteser waren. Die Familie von Walterskirchen zu Wolfsthal ist ein österreichisches Adelsgeschlecht, einst auch in Böhmen und Ungarn ansässig. Der Chef der Schweizer Malteser wird nicht gerne auf das blaue Blut angesprochen: «Sie haben mich gefragt: Ja, wir haben zwei Titel, sind Reichsfreiherren und Grafen. Aber ich will das nicht an die grosse Glocke hängen.»

Viele Malteser tragen klingende Namen, auch in der Schweiz. Alain de Raemy, der Westschweizer Weihbischof, ist Kaplan der Assoziation. Der Kanzler heisst Felix von Sury Büssy. Simon von Oppenheim ist Präsident der Delegation der Romandie.

Berufung wichtiger als Adelstitel

Doch Martin von Walterskirchen sagt, die Zugehörigkeit zu einem Adelsgeschlecht sei nur noch bei der Kategorie der Ehren- und Devotions-Ritter und -Damen Voraussetzung, um in den Orden aufgenommen zu werden. Damit werde die militärisch-ritterliche Tradition fortgesetzt, die sich in den Anfängen herausgebildet habe. Die Anfänge liegen in Jerusalem – hier entstand der erste christliche Krankenpflegeorden.

Zur Journalistin sagt er: «Auch Sie könnten Mitglied werden, als Magistral-Dame – wenn Sie unseren Herren Kranken dienen wollen und über die Berufung verfügen.»

Mit «Herren Kranken» meinen die Malteser Arme, Flüchtlinge, Kranke und Verfolgte, denen sie helfen. Der Ausdruck geht auf die erste Ordensregel zurück. Sie schreibt vor, der Ritter solle «Diener und Sklave seines Herren des Kranken» sein.

Solidarität und Nächstenliebe sind wichtig, wenn jemand Malteser werden will. Ohne karitatives Engagement wird laut Martin von Walterskirchen niemand in den Orden aufgenommen. «Spürt die Person im Herzen dieses Bedürfnis, denjenigen, die Hilfe brauchen, zu helfen? Den Kranken, Flüchtlingen, Armen?» Darauf komme es an.

Von Kommunisten enteignet

Was Flucht und Armut bedeuten, weiss Martin von Walterskirchen. Sein Vater, von Beruf Ingenieur-Agronom, besass Ländereien und ein Schloss in der Tschechoslowakischen Republik. 1948 übernahm die kommunistische Partei die Herrschaft. Schloss und Landbesitz wurden enteignet.

Ein Jahr später starb der Vater an einem Hirntumor. Die Mutter floh in den Westen. Da war Martin erst acht Monate alt. «Sie reiste aus mit einem Sarg, beerdigte meinen Vater in Wolfsthal in der Nähe von Wien und kam dann mit mir nach Bern.» Möglich war dies, weil Martin eine Grossmutter mit Berner Wurzeln hat und österreichisch-schweizerischer Doppelbürger ist.

Sie hätten in einer sehr kleinen Wohnung gelebt, erzählt von Walterskirchen. Die Mutter war Kunsthistorikerin, arbeitete zunächst als Aufsicht im Kunstmuseum. Weil das Geld für die ausserfamiliäre Betreuung nach einigen Jahren ausging, wurde der Knabe unter der Woche im Berner Waisenhaus untergebracht. An schulfreien Nachmittagen war Arbeit angesagt.

«Ich lernte, wie man ein Huhn schlachtet.»

«Ich weiss heute, wie man ein Huhn schlachtet, eine Blutwurst dreht, die Sau aufzieht. In der Schreinerei lernte ich überplatten, beim Schlosser feilen. Das sind alles nützliche Sachen», sagt Martin von Walterskirchen. Obschon er dieses Wissen in seinem späteren Berufsleben nicht anwenden konnte. Er wurde EDA-Diplomat, war auf Posten in der Sowjetunion und in den USA und wurde Spitzenbeamter im Bundeshaus.

In seiner Klasse sei er der «Waisenhüüsler» gewesen. Vier Jahre lang dauerte die Waisenhaus-Phase, bis zur dritten Primarschulklasse. «Ich freute mich immer auf den Samstag. Am Sonntagabend fuhr ich mit dem Ostermundigen-Bus zurück. Das war immer sehr traurig», erzählt der Malteser-Chef und fügt hinzu: «Kinder sind halt so.» Es ist ein kurzer Satz, in dem viel Emotionen mitschwingen.

Coach für Migranten

Möglich, dass die Erfahrung von Not in der Kindheit den Grundstein legte für das karitative Engagement im Malteserorden. «Wir waren arm. Es war ein Leben als Flüchtlinge, obschon wir Schweizer waren.»

Jahrzehnte später versucht Martin von Walterskirchen, nicht nur Kranken, sondern auch Migranten zu helfen. Etwa bei der beruflichen Integration. Zwei Mal habe er ein Coaching angeboten. «In einem Fall war es sehr erfolgreich, beim anderen klappte es nicht.» Dies ist Beispiel dafür, wie Malteser ihrem Ordensmotto nachleben: «Tuitio fidei et obsequium pauperum» – Bezeugung des Glaubens und Hilfe den Bedürftigen. Und es gibt viele, die auf Hilfe warten.


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