Segensverbot, Missbrauch, Neuanfang im Bistum Chur: Nach dem Karfreitag geht es nun aufwärts

In der Fastenzeit war einiges los in der katholischen Kirche: Segensverbot für Schwule und Lesben aus Rom, Aufarbeitungs-Tohuwabohu in Deutschland und ein Neuanfang im Bistum Chur. Ein Wechselbad aus Enttäuschungen und Hoffnungen – passend zur Karwoche, schreibt Valentin Beck in einem Gastkommentar.

Valentin Beck*

Dismas ist einer der beiden Männer, die neben Jesus gekreuzigt werden. Im Lukasevangelium (Lk 23, 39-43) bittet Dismas Jesus um Beistand in der Todesstunde – und erhält als Antwort den ultimativ österlichen Zuspruch: «Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein».

Innerkirchliche Querelen als Luxus, den wir uns nicht leisten können

Die Perspektive dieses Dismas wollen wir im Karfreitagsgedanken einnehmen. Er blickt quasi «von schräg oben herab» auf Jesu Anhängerschaft – damals und heute. Dieser Perspektivenwechsel soll uns beim Versuch dienen, zu verstehen, was sich heutzutage im Schatten des Kreuzes unter den Christgläubigen abspielt. 

Unser Denkexperiment geht von einem einschlägigen Satz des neugeweihten Bischofs von Chur aus: In einem Rundschau-Interview sagte Joseph Maria Bonnemain über kirchenpolitische Querelen: «Das ist Unrecht, ein Luxus. Entschuldigung, aber die Menschen auf der Strasse haben absolut andere Probleme.» Wie simpel – und wie wahr. Dismas selbst hatte am Kreuz «weiss Gott» (im wahrsten Sinne des Wortes) andere Probleme – existenziellste nämlich.

Dismas’ Perspektive hilft uns weiter

Und auch die Anhänger*innen seines Kreuznachbarn hatten am Karfreitag andere Sorgen, als sich über Meinungsverschiedenheiten, Organisatorisches oder Formelles zu streiten. In erster Linie litten die Menschen mit ihrem geliebten Bruder mit und trauerten über seinen sicheren Tod. Vermutlich bedauerten sie auch das damit verbundene vermeintliche Ende ihrer Bewegung, der Botschaft Jesu und ihrer Wirkkraft.

Was hätte Dismas wohl gedacht, wenn Jesu Gefolgschaft sich während des Todeskampfes ihres Bruders zerstritten hätte? Teilen (im materiellen und ideellen Sinne) und Anteilnehmen (als einfühlendes «Mitleiden») sind der sinnstiftende Kern aller (kirchlicher) Gemeinschaft und ihres institutionellen Gerüstes. Alles andere ist Beilage.

Erste Bitterkeit: Der Grabenkampf

Eine dieser bitteren «Beilagen» der heutigen Christ*innen ist die Schubladisierung in «konservativ» und «liberal» – sowie die dementsprechende Einteilung in Gewinner*innen und Verlierer*innen tagesaktueller kirchenpolitischer Ereignisse (wie die Besetzung bestimmter Ämter). Gar zynisch wirken die nicht selten von Schadenfreude geprägten Grabenkämpfe, die im Schatten des blutigen Kreuzes (heute der blutenden Welt) geführt werden.

Denn: Blutvergiessen verhindern (auch das Blut der Bäume…), Blutungen stillen, Anteilnahme und die feierliche gemeinsame Stärkung am Blut Christi, die Hoffnung und Tatkraft schenkt: das sind die Gemeinsamkeiten der Jesu-Anhänger*innen und damit auch die Wirkungsziele all ihrer Kirchen und kirchlichen Organisationen. Alles, was sich in der Nachfolge Jesu versteht, muss sich darauf konzentrieren.

Zweite Bitterkeit: Die Diskriminierung

Betrachtet man kirchliches Wirken auf diese Weise, müssen sich reformorientierte Kräfte die selbstkritische Frage stellen: Darf überhaupt Energie für die Schaffung gerechter Strukturen in Gesellschaft und Kirche aufgewendet werden?

Diese Frage fordert die kirchlich engagierten Personen und Organisationen (wie den Schweizerischen Katholischen Frauenbund oder Jungwacht Blauring) heraus, welche sich in der entstehenden Projektgemeinschaft Allianz «Gleichwürdig Katholisch" unter dem Slogan «Gleiche Würde – gleiche Rechte» miteinander vernetzen. 

Anziehungskraft von Heiligen oder diakonischen Taten

Vielleicht liefert Dismas’ Sicht eine Antwort: Wie irritiert wäre er wohl darüber gewesen, wenn sich Jesu Freunde darüber gestritten hätten, wer in der vordersten Reihe stehen oder wer in welcher Form trauern, teilen, anteilnehmen, hoffen oder das Erfahrene verkünden darf? Wenn sie sich gegenseitig aufgrund von Eigenschaften wie Ethnie, Geschlecht, Lebens- und Liebesform, Alter kategorisiert und entlang dieser Kategorien formelle Rollen verteilt hätten – Rollenverteilungen etwa, die den Empfang oder das Weitergeben von Zuspruch (Segen) und Heilszeichen (Sakramente) betreffen?

An der Ausstrahlung, dem Handeln einer Gruppe und ihrem Umgang untereinander lässt sich (nicht nur für Dismas) viel über die gesunde oder ungesunde Wirkung ihrer Vorbilder und den Umgang mit ihrer Botschaft ablesen. Das kann abstossend oder anziehend wirken und äussert sich beispielsweise negativ in Kirchenaustrittswellen oder positiv in der (missionarischen) Anziehungskraft von Heiligen oder diakonischen Taten.

Diskriminierung macht eine wunderbare Botschaft ungeniessbar

Diskriminierung und Kategorisierung von Menschen können dazu führen, dass eine wunderbare Botschaft ungeniessbar wird, ganz so, als ob ein verderblicher Bitterstoff in ein Festmahl gegeben würde. Diese «Verschwendung von geistlichen Lebensmitteln» bringt sogar einen «Grossverteiler» wie die katholische Kirche ins Wanken: Diskriminierung untergräbt den Kernauftrag der Kirche und gehört deshalb nicht in die Kategorie der vermeidbaren kirchenpolitischen «Querelen».

Das haben viele praktizierende Christ*innen, Seelsorger*innen und andere kirchliche Verantwortungsträger*innen erkannt: Es zeigt sich in der international wachsenden Bewegung zur Gleichberechtigung von Frauen in der katholischen Kirche oder jüngst auch an der Empörung über das Segnungsverbot gleichgeschlechtlicher Beziehungen durch die Glaubenskongregation.

Menschen und Organisationen beziehen Stellung – so zum Beispiel in den Bistümern Basel und St. Gallen im Rahmen ihrer Möglichkeiten, in Frauen- und Jugendverbänden und tausende deutschsprachige Seelsorger*innen, die sich dazu bekennen, ihre Segnungspraxis aus Gewissensgründen weiterzuführen – ohne Menschen in Kategorien und Schubladen zu stecken.

Dritte und stärkste Bitterkeit: Leidverursachende Strukturen

Viel bitterer als kirchenpolitische Querelen oder Diskriminierung sind Strukturen, die direkt von Menschen verursachtes Leid zulassen, begünstigen oder gar aktiv fördern. Die Zusammenhänge zwischen Strukturen und Leid sind aus der internationalen Missbrauchsaufarbeitung eindeutig und erschlagend erwiesen.

Das Festmahl der frohen Botschaft wird so mit heimtückischem und tödlichem Gift verdorben – und hungrigen Menschen vorgesetzt. Werden als Nachtisch sogar noch Vertuschung und Bagatellisierung serviert, verkommen die Verantwortlichen unter dem Kreuz Jesu zu römischen Schlächtern.

Auch diese bitterste aller Pillen, der Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche, gehört deshalb in die Kategorie wahrer Probleme, die Joseph Maria Bonnemain schon lange vor seiner Weihe als «andere (also echte) Probleme» wahr- und ernstgenommen hat. Sie sind keine Querelen, sondern verletzen den Kern der Glaubwürdigkeit allen kirchlichen Tuns und Verkündens.

Salzquellen freilegen, sichtbar machen und fördern

Die Allianz «Gleichwürdig Katholisch» hat sich angesichts der oben genannten Verbitterung Vision und Wirkungsziele gesetzt, die den Fokus auf Salzquellen legen: auf pastorale Ansätze, welche die Osterbotschaft wieder geniessbar und schmackhaft machen. Sie will diese Vision und Ziele frei von Grabenkämpfen und Schubladisierungen verfolgen – und im bescheidenen Wissen, dass niemand Wahrheit oder Patentrezepte besitzt.

Die Allianz will Ansätze kirchlicher Praxis suchen, sichtbar machen, stärken und miteinander vernetzen, die bei folgenden Schwerpunkten mutig und beispielhaft vorangehen:

Eine grosse Herausforderung wird es sein, zwischen der Bitterkeit unnötiger Querelen und dem Salz kirchlicher Kernaufgaben zu unterscheiden. Für einen guten Geschmackssinn und österlichen Zuspruch beten wir und richten dabei den Blick zusammen mit Dismas auf das Kreuz, das in der Mitte steht.

Die Vision der Allianz «Gleichwürdig Katholisch»

Am 25. Januar 2021 wurde die neue reformkatholische Organisation Allianz «Gleichwürdig Katholisch» gegründet. In Form der Mitträgerschaft leistet der SKF gemeinsam mit Jungwacht Blauring Schweiz und der KAB Schweiz Christliche Sozialbewegung einen weiteren Beitrag zu «#GleichberechtigungPunktAmen» und setzt sich für «#gleicheWürdegleicheRechte» ein.

Wie lautet die Vision unserer Allianz «Gleichwürdig Katholisch»?

 

* Valentin Beck (36) ist Bundespräses von «Jungwacht Blauring» und seit dem 1. April zusätzlich Seelsorger beim Verein kirchliche Gassenarbeit Luzern. Er engagiert sich in der Allianz «Gleichwürdig Katholisch». Dieser Gastkommentar erschien zuerst auf der Website des SKF.


Valentin Beck: Für den lebenshungrigen Jubla-Präses gehört der Tod zum Leben

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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