Fokolare – eine grosse Familie mit einer Frau an der Spitze

Die Fokolar-Bewegung ist ein Dach, unter dem unterschiedliche Lebensformen Platz haben. Andreas Amann (60) lebt ehelos in einer Gemeinschaft, Beatrix Ledergerber (58) ist verheiratet. Das letzte Wort in der religiösen Laien-Bewegung hat immer eine Frau.

Barbara Ludwig

Der Benediktinerorden wurde 529 gegründet und gilt als ältester Orden der westlichen Christenheit. Verglichen damit ist die katholisch geprägte Fokolar-Bewegung ein junges Pflänzchen. Sie zählt zu den neuen geistlichen Gemeinschaften. 1943 wurde sie von Chiara Lubich (1920-2008) in der norditalienischen Stadt Trient gegründet.

Damals zog Chiara mit Freundinnen zusammen – ihre Frauengemeinschaft war das erste Fokolar, das die Trienter Bevölkerung nach einem Wort für Herdfeuer benannte – in Anlehnung an die Wärme und Geborgenheit dieses häuslichen Feuers, um das sich die Familie versammelte.

In einem solchen Fokolar lebt heute Andreas Amann (60) in Zürich-Seebach. Mit einem Orden wie den Benediktinern hat seine Gemeinschaft auf den ersten Blick gar nichts zu tun: Amann wohnt in einem ganz gewöhnlichen Haus. Und doch gibt es gewisse Ähnlichkeiten. Der Geologe aus Österreich teilt sein Leben mit drei weiteren Männern, die – wie Mönche – Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt haben. «Zudem unterscheidet sich unsere Gemeinschaft von einer gewöhnlichen WG durch ihre grössere Verbindlichkeit. So praktizieren wir etwa eine totale Gütergemeinschaft», sagt Amann. Jeder lege seinen Lohn in eine gemeinsame Kasse, aus der sich alle bedienen.

«Wir praktizieren eine totale Gütergemeinschaft»

Andreas Amann

Das Geld, das nicht für den Unterhalt des eigenen Fokolare gebraucht wird, kommt der weltweiten Fokolar-Gemeinschaft zugute. Diese ist heute in 182 Ländern präsent. Wie hoch der Anteil ist, legt die Männergemeinschaft jährlich in einem Budget fest. Amann: «In der Schweiz sind wir in der glücklichen Lage, dass wir mehr Geld verdienen, als wir brauchen.» In einem Fokolar in Wien hat er auch schon das Gegenteil erfahren – seine damalige Gemeinschaft war auf Unterstützung der internationalen Bewegung angewiesen, da einige Mitglieder kein Einkommen hatten.

Verfügbar sein

Andreas Amann kennt die Bewegung seit seiner Jugend. Mit 25 Jahren trat er in eine Fokolar-Gemeinschaft ein. Mit diesem Schritt hat er sich auch verpflichtet, verfügbar zu sein, wenn es die Lage der Fokolar-Bewegung in einem anderen Land erfordert. Vor zwei Jahren wurde der Geologe angefragt, ob er in der Schweiz die Mitverantwortung für die Region Nordost und Zentralschweiz übernehmen würde. Amann sagte zu und zog in die Limmatstadt.

Im Fokolar lebe man ein intensives Gemeinschaftsleben, sagt Amann. Dazu gehören: Gemeinsame Mahlzeiten am Abend, Meditationen, wöchentliche Treffen mit sieben weiteren Männern, darunter auch Verheiratete, die ebenfalls Teil der Gemeinschaft sind. Einmal im Monat gibt es einen gemeinsamen Einkehrtag. Amann betont jedoch: Man führe kein Ordensleben hinter Klostermauern. «Wir üben einen Beruf aus. Wir sind Laien, die ganz im Leben stehen.»

Jugendliche Begeisterung

Auch Beatrix Ledergerber (58) kennt die Fokolar-Bewegung seit jungen Jahren. Ein Leben in einer Fokolar-Gemeinschaft war bei ihr auch mal ein Thema. Eine Zeitlang lebte die Schweizerin in einer WG mit anderen jungen Menschen, die sich auf ein solches Leben vorbereiteten. «Wir wollten uns für eine geeinte Welt engagieren. Die Spiritualität der Einheit hat mich sehr fasziniert. Ich sah darin einen Weg, mich für eine bessere Welt einzusetzen», erzählt Ledergerber.

Den entscheidenden Schritt machte sie aber nicht. Sie habe gespürt, dass sie in der Gemeinschaft «nicht ganz mich selber» war, sich zu sehr von den andern habe beeinflussen lassen: «Ich musste mich aus der Gemeinschaft herausnehmen, um meinen eigenen Weg zu finden. Nicht aber aus der Bewegung als solcher.»

«Jeder kann an seinem Platz ein vollwertiges Mitglied sein.»

Beatrix Ledergerber

Im Unterschied zu einem Kloster biete die Bewegung Platz für unterschiedliche Lebensformen, sagt Beatrix Ledergerber. Das schätzt sie. «Die Fokolar-Bewegung ist wie eine grosse Familie, in der alle die gleichen Ziele und Ideale verfolgen, aber auf unterschiedlichen Wegen. Jeder kann an seinem Platz ein vollwertiges Mitglied sein.»

Beatrix Ledergerber entschied sich für ein Leben mit Familie. Die Journalistin ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Der Fokolar-Bewegung blieb sie treu. Seit Anfang der 1990er Jahre ist Ledergerber Medienbeauftragte der Fokolar-Bewegung Schweiz.

Gemeinschaft ist etwas Zentrales bei den Fokolare. Immer wieder fällt dieses Wort im Gespräch mit Andreas Amann und Beatrix Ledergerber. Amann absolvierte als junger Mann die zweijährige Fokolar-Ausbildung. Ein Art Noviziat für Menschen, die sich als ehelos Lebende für die Bewegung engagieren wollen.

Gemeinschaftliches Leben lernen

Ein Jahr lang lebte er mit Jungen aus allen Kontinenten in der ältesten Modell-Siedlung der Fokolare in Loppiano bei Florenz, darauf folgte ein Jahr im Westschweizer Ausbildungszentrum im freiburgischen Montet. «Da war es wichtig, die eigene Kultur zurückzustellen und zu versuchen, trotz aller Verschiedenheiten eine Gemeinschaft zu bilden», sagt Amann. Was zunächst faszinierte – das Fremde – entpuppte sich im längeren Zusammenleben als handfeste Herausforderung.

Beatrix Ledergerber sagt, sie wolle die Spiritualität der Fokolare im Alltag umsetzen – «in allen meinen Lebensfeldern, in Familie, Beruf und Freizeit». Es sei ein ständiges Suchen nach dem, was Gemeinschaft möglich macht. Damit auch bei Konflikten und unterschiedlichen Ansichten Lösungen gefunden werden können. Ledergerber sagt: Ein lebenslanger Prozess sei dies, bei dem auch wichtig sei, sich selbst nicht zu verlieren – Gemeinschaft leben und trotzdem eigene Bedürfnisse haben.

«Das Gemeinschaftsleben ist eine Stärkung für den Dialog mit allen Menschen.»

Beatrix Ledergerber

Sie betont aber: Der Daseinszweck der Fokolare erschöpfe sich nicht im «internen Gemeinschaftsleben». Für die Bewegung sei vielmehr auch das «Leben nach Aussen» wichtig und im Zentrum der «Spiritualität der Einheit», nach der sich die Bewegung seit ihren Anfängen ausrichten wollte.

Mit «Einheit» sei nicht Einheit unter den Leuten der Fokolar-Bewegung gemeint, auch nicht nur unter den Christen, sondern die Einheit unter allen Menschen, erklärt Beatrix Ledergerber. «Daher ist das Gemeinschaftsleben in den Gruppen eigentlich nur Stärkung für dieses Leben des Dialoges mit allen Menschen, die wir treffen und mit denen wir unterwegs sind.»

Beispiele des Engagements für die Welt sind etwa ökumenische Aktivitäten oder interreligiöse Veranstaltungen. In Baar ZG finden seit vielen Jahren regelmässig Dialogtreffen zwischen Christen und Muslimen statt.

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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