Mit Schweigen und Glocken: Die Schweiz gedenkt der 9300 Corona-Toten

Vor einem Jahr ist die erste Corona-Patientin in der Schweiz gestorben. Seither folgten 9300 Corona-Tote. Mit einer Gedenkminute und Glockengeläut hat die Schweiz an die Opfer der Pandemie erinnert. Der Bundesrat dankt den Kirchen: «Das Geläut spendete Trost.»

Raphael Rauch

Es gibt Länder, in denen bei Gedenkminuten die Zeit stillsteht. Dann ruht der Verkehr, die Menschen erheben sich – auch in den Büros heisst es: rien ne va plus, nichts geht mehr. Pathos und der Glaube an Sinnstiftung durch Symbole ist eine Stärke der Amerikaner, nicht aber der Eidgenossen. Entsprechend ist in der Zürcher Pfarrei Herz Jesu Wiedikon vom Corona-Gedenken wenig zu spüren.

Die Schweigeminute ist auf der Orgelempore geschwätzig

Die Kirche ist menschenleer. Eine Frau betet in der Seitenkapelle. Auf der Empore rumpelt es. Eine Leiter versperrt den Mittelgang. In zwei Wochen soll der Orgelbauer kommen – das muss vorbereitet werden. Die Schweigeminute um 11.59 Uhr ist in der Herz-Jesu-Kirche ziemlich geschwätzig.

Punkt 12 Uhr läuten die Glocken. Nicht nur in Wiedikon, sondern in der ganzen Schweiz. Bundespräsident Guy Parmelin hatte die Kirchen gebeten, mit Glockengeläut der Corona-Toten zu gedenken. Die Landeskirchen erfuhren vom Wunsch des Präsidenten aus den Medien – zogen aber loyal mit.

«Das Geläut spendete Trost»

Die meisten Pfarreien beschränkten ihr Programm aufs Glockengeläut. So etwa in Heilig Kreuz in Zürich-Altstetten oder in Schwyz. In der Pfarrkirche Ibach SZ zündete eine Seelsorgerin eine Kerze für die Corona-Opfer an. In Arbon TG waren Seelsorger in der Kirche, um mit den Menschen der Toten zu gedenken.

Einen Moment der Andacht gab es auch im Bundeshaus. «Danke den Kirchen, das Geläut spendete Trost», schrieb Bundesratssprecher André Simonazzi auf Twitter:

Auch die Belegschaft der US-Botschaft und der Vertretung des Fürstentums Liechtenstein in Bern liessen um 11.59 Uhr die Arbeit ruhen.

«Meine Gedanken waren bei den Opfern und ihren Angehörigen. Mit dem Glockengeläut wurde zusätzlich zur Schweigeminute eine symbolische Geste zum Innehalten und Gedenken gesetzt», sagt die Botschafterin von Liechtenstein, Doris Frick.

Mario Pinggera ist Pfarrer in Richterswil ZH und Dozent für Kirchenmusik an der Hochschule Chur. Lange bevor die Schweizer Bischöfe beschlossen, Parmelins Wunsch nach einem Corona-Gedenken zu erfüllen, gleiste Pinggera ein kleines Programm auf.

Zuletzt läutete die «Pax Christi»-Glocke zu Bonnemains Ernennung

Es kamen nur ein paar Menschen in die Kirche. Um 11.59 Uhr, pünktlich zur Schweigeminute, ist es mucksmäuschenstill. Um 12 Uhr ertönte die «Pax Christi»-Glocke. Die Sehnsucht nach dem Frieden Christi, nach einem Heilsbringer, nach Normalität ist gross.

Die Friedensbotschaft der «Pax Christi»-Glocke passt auch gut zur Papst-Reise von Franziskus in den Irak. Und sie passt zum ersehnten Frieden im Bistum Chur. Die «Pax Christi»-Glocke läutet nur zu besonderen Anlässen, etwa zu Weihnachten oder Ostern. Und zuletzt am Tag der Bischofsernennung von Joseph Bonnemain.

Lied beschreibt Gott als «Burg», «Fels» und «Schild»

Der Orgelspieler Mario Pinggera hat nach Musik aus Krisenzeiten gesucht – und wurde in der Zeit des Zweiten Weltkriegs fündig. Und zwar im Jahr 1942. Josef Lechthaler (1891–1948) hat ein Stück komponiert, das Pinggera stimmig für den traurigen Corona-Anlass findet.

Pfarrei-Assistentin Franziska Widmer liest einen Psalm in Liedform vor: «In dich hab’ ich gehoffet, Herr». Dabei handelt es sich um ein lutherisches Kirchenlied.

Gott wird hier als «Burg», «Fels» und «Schild» beschrieben, der angesichts von «Nöten» und «Feinden» Beistand leistet. Eine Hoffnung, die zur aktuellen Situation passt.


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