Sieben auf einen Streich: Religiös-sozialistische Zeitschrift «Neue Wege» sucht Vorstandsmitglieder

«Wir wollen dem religiösen Sozialismus ein zeitgemässes Gesicht verleihen», lautet der Anspruch der Zeitschrift «Neue Wege». Ein Schritt: sieben neue Vorstandsmitglieder. Ein weiterer: verstärkt «hinduistisch-tamilische, muslimisch-syrische oder christlich-nigerianische Menschen» ansprechen.

Raphael Rauch

Aktuell suchen Sie fünf bis sieben neue Vorstandsmitglieder. Schon 2018 waren die «Neuen Wege» mit einem neuen Layout im Umbruch. Warum schon wieder eine Zäsur?

Matthias Hui und Geneva Moser*: Unsere Zeitschrift ist in den letzten Jahren im Aufbruch. Die Redaktion hat sich verjüngt. Die Redaktionsleitung besteht aus drei Personen in Teilzeit-Anstellung. Mit dem neuen Layout wollen wir dem religiösen Sozialismus ein zeitgemässes Gesicht verleihen.

Dadurch sind neue Leserinnen und Leser zu den «Neuen Wegen» gestossen. Das war gerade auch in unserer Ausgabe zu Kurt Martis 100. Geburtstag zu sehen. Die Vorstandsmitglieder waren über Jahre aktiv und haben angekündigt, die Vorstandsarbeit in die Hände einer neuen Generation zu geben.

«Vorstandsarbeit nicht immer sehr sichtbar und dankbar.»

Ist es schwierig, ein neues Team zu finden?

Hui und Moser: Nein, die Findungskommission hat bereits mit vielen Interessentinnen und Interessenten gesprochen. Über diese Resonanz freuen wir uns sehr. Allen ist klar, dass Vorstandsarbeit nicht immer sehr sichtbar und dankbar ist.

Aber wir sind überzeugt, dass diese Tätigkeit die Chance bietet, unsere Zeitschrift weiterzuentwickeln und kreative Ideen umzusetzen – auch im digitalen Bereich oder an Veranstaltungen.

Wie sähe eine Traumkandidatin für den Vorstand aus?

Hui und Moser: Wir suchen Menschen, die unser Projekt im Team in die Zukunft tragen. Sie sollten vielfältige persönliche, berufliche, medien- und gesellschaftspolitische Erfahrungen mitbringen. Sie brauchen Freude an der pragmatischen Aufgabe, die Ressourcen für die tägliche Arbeit sicherzustellen, und gleichzeitig Visionen, wohin sich die «Neuen Wege» entwickeln sollen.

«Wir setzen Akzente in der Wirtschaftspolitik.»

Wofür stehen die «Neuen Wege» – und wohin sollen sie sich entwickeln?

Hui und Moser: Unsere Zeitschrift setzt sich seit der Gründung im Jahr 1906 mit Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche kritisch auseinander. Wir haben zehn Themenhefte pro Jahr. Wir setzen Akzente in der Wirtschaftspolitik, die von den realen Bedürfnissen der Menschen ausgeht – ein kürzlicher Schwerpunkt hiess «Wirtschaft ist Care». Oder wir widmen uns queerer Theologie oder der Klimakrise.

Wie sozialistisch sind die «Neuen Wege»?

Hui und Moser: Wir haben eine herrschaftskritische Perspektive, die in religiösem Boden wurzelt. Dieser treu zu bleiben und sie gleichzeitig immer wieder zu aktualisieren, bleibt unsere Aufgabe.

Sind die «Neuen Wege» eine Art Dauer-KVI? Links, urban, queer, bio?

«Das ist höchst aktuell.»

Hui und Moser: Natürlich, der Sozialismus ist in der DNA der «Neuen Wege». Der Gründer der Zeitschrift war der Theologe Leonhard Ragaz, der für sein soziales Engagement bekannt wurde und die Vision einer radikal demokratischen, genossenschaftlichen, aber auch ökologischen, antipatriarchalen und kapitalismuskritischen Schweiz verfolgte. Das ist höchst aktuell. Er war zudem der Mann der bekannten Frauenrechtlerin und Pazifistin Clara Ragaz. Sie organisierte eine der grossen Frauen-Friedenskonferenzen und sass verschiedenen Frauenorganisationen vor.

Was bedeutet Ihnen das Erbe heute?

Hui und Moser: Inspiriert von den Idealen dieser Tradition fragen wir auch heute: Wie sähe eine Klimapolitik vom Evangelium her gedacht aus? Wem werden grundlegende Rechte vorenthalten? Wie kann das etwas angestaubte Wort «Frieden» wieder an Relevanz gewinnen, wo wir doch vom globalen Frieden weit entfernt sind? Welches befreiende Potential kann Religion bieten?

«Und wir wollen vermehrt auch Leser und Autorinnen gewinnen, die zur Neuen Schweiz gehören.»

Wer liest die «Neuen Wege»?

Hui und Moser: Es gibt ein breites linkes und kritisches, gerade auch jüngeres Publikum, das viele Berührungsängste zu Religion und Christ- und Christinnentum mitbringt – und uns punktuell liest. Dann gibt es ein sehr engagiertes theologisches oder kirchliches Milieu, das ist unsere Stammkundschaft. Beide Zielgruppen wollen wir ansprechen und in eine Diskussion bringen.

Und wir wollen vermehrt auch Leser und Autorinnen gewinnen, die zur heute «Neuen Schweiz» gehören: Menschen mit hinduistisch-tamilischen, muslimisch-syrischen oder christlich-nigerianischen Verwurzelungen beispielsweise. Die «Neuen Wege» waren nie einfach reformiert oder katholisch, sondern sehr früh kamen zum Beispiel auch jüdische Autorinnen und Autoren prominent zur Sprache.

Wie stark sind Vorstand und Redaktion getrennt?

Hui und Moser: Für die Inhalte ist die ehrenamtlich arbeitende Redaktion von zehn Personen unterschiedlichen Alters und die dreiköpfige Redaktionsleitung zuständig. Der Vorstand ist für die strategischen Perspektiven verantwortlich und damit auch für die Anstellungen, die Finanzen und den Einbezug der Mitglieder. Das sind unterschiedliche Rollen.

«Wir sind aber dringend auf neue Leser und Gönnerinnen angewiesen.»

Wie sehen Ihre Finanzen aus? Ist die Zukunft des Heftes gesichert?

Hui und Moser: Das Budget der «Neuen Wege» speist sich zum überwiegenden Teil aus den Abos. Glücklicherweise haben wir in der Vergangenheit auch einzelne Legate von Menschen aus dem Umfeld der Zeitschrift erhalten. Dank einer vorsichtigen Finanzplanung und viel ehrenamtlicher Arbeit gibt es die «Neuen Wege» weiterhin. Wir sind aber dringend auf neue Leser und Gönnerinnen angewiesen.

* Matthias Hui (58) und Geneva Moser (32) bilden zusammen mit Laura Lots (33) die Redaktionsleitung der «Neuen Wege». Hui ist Theologe, Moser Philosophin und Geschlechterforscherin.


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