Martin Werlen: Die Taufe ist wichtiger als die Priesterweihe

Der Benediktiner Martin Werlen (58) gehört zu den Promis unter den Schweizer Katholiken. Bei einer Online-Tagung zum Synodalen Weg fordert er entschiedene Reformen, eine Evangelisierung – und einen höheren Stellenwert der Taufe.

Alice Küng

Es hapert im virtuellen Raum. «Theologie und Technik», witzelt Tagungsleiter Peter Klasvogt. Der Gastgeber des internationalen Online-Meetings schaltet sich ein. «Wir arbeiten unter Hochdruck daran.» Dann verschwindet das Bild. 45 Minuten später funktioniert die Verbindung wieder.

Missbrauch, Priestermangel, Zölibat, Frauenfrage

Auch in der Kirche rumpelt es. Missbrauch, Priestermangel, Zölibat, Frauenfrage: So kann es nicht weitergehen, finden viele. Deswegen hat sich die Kirche in Deutschland auf einen Reformprozess eingelassen – den Synodalen Weg.

Das Priesterliche verlange eine Neukonfiguration, heisst es im Programm der Online-Tagung. Zu den Organisatoren gehören die Katholische Akademie Schwerte und die Zürcher Paulus-Akademie.

Werlen fordert Evangelisierung

«Der Papst spricht von einem Epochenwandel», eröffnet Peter Klasvogt die Tagung. Etwas gehe zu Ende und etwas Neues entstehe. Er warnt aber: «Das Risiko im Wandel ist das Handeln nach der Logik von gestern.»

Der Benediktiner Martin Werlen (58), ehemaliger Abt des Klosters Einsiedeln, hält zwei Repliken: Zuerst antwortet er auf die Erfurter Theologin Julia Knop und dann auf den tschechischen Soziologie-Professor Tomas Halik. «Wir brauchen keine Modernisierung der Kirche, sondern eine Evangelisierung», sagt Werlen.

«Die Taufe ist grundlegender als das Geschlecht»

Julia Knop ist überzeugt: Noch sei die Kirche vielfach von einem Standesdenken geprägt. Das habe sich gerade im Lockdown gezeigt. Gottesdienste fanden als Geistermessen per Livestream statt, obwohl eine Eucharistiefeier ohne Gläubige ekklesiologisch fragwürdig sei.

Werlen sieht einen Lösungsansatz darin, die Taufe ernster zu nehmen. «Das zentrale Sakrament ist die Taufe. In der kirchlichen Praxis aber stellen wir die Weihe über alles. Wenn wir dir Taufe so ernst nehmen, wie wir das im Glaubensbekenntnis bezeugen, wird das ordinierte Amt seinen richtigen Platz finden», betont der Benediktiner. Und fügt hinzu: «Bei einem Strukturwandel werden wir realisieren, dass die Taufe grundlegender ist als das Geschlecht.»

Plädoyer für eine engagierte, solidarische und politische Kirche

Werlen zitierte aus den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils: «Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jüngerinnen und Jünger Christi.»

Und er verwies auf die Enzyklika «Fratelli tutti», in der Papst Franziskus an verschiedenen Stellen auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter eingeht. Klar ist: Martin Werlen steht für eine engagierte, solidarische Kirche. Und für eine politische Kirche.

Óscar Romero als Inspiration

Der Altabt von Einsiedeln ging auch auf den ermordeten Erzbischof von San Salvador ein, Óscar Romero (1917–1980). Am 3. Dezember 1978 hat dieser gepredigt: «Wenn viele Menschen sich bereits von der Kirche entfernt haben, dann ist das darauf zurückzuführen, dass die Kirche sich zu weit von der Menschheit entfernt hat. Eine Kirche, die die Erfahrungen der Menschen als ihre eigenen verspürt, die den Schmerz, die Hoffnung, die Angst aller, die sich freuen oder leiden, am eigenen Leib verspürt, diese Kirche wird zum gegenwärtigen Christus.»

Daraus folgert Martin Werlen: Die «Volkskirche» erhalte eine ganz neue Bedeutung. Er fordert eine Kirche, zu der nicht die Menschen kommen müssten, sondern eine Kirche, die bei den Menschen ist.

Martin Werlen und seine Mitstreiter der Online-Tagung haben einen langen Weg vor sich. Mission: Possible.


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