«Der Handlungsbedarf ist heute»

Online-Konferenz des synodalen Weges vom 4. und 5. Februar 2021

Daniel Kosch: «Unsere Themen sind nach wie vor drängend und wir können die Lösungsvorschläge nicht auf unbestimmte Zeit hinauszögern. Der Handlungsbedarf ist heute.» Diese Begrüssungsworte der Präsidenten des Synodalen Weges, Bischof Georg Bätzing (DBK) und Thomas Sternberg (ZDK) beschreiben nicht nur die Lage der katholischen Kirche in Deutschland, sondern auch die Atmosphäre während der Zwischenetappe des Synodalen Weges vom 4./5. Februar 2021. Nachdem die zweite Synodalversammlung im Herbst 2020 corona-bedingt hatte ausfallen müssen, wollten die Verantwortlichen den für den Synodalen Weg reservierten Termin nicht ersatzlos streichen, sondern entschieden sich für eine online-Konferenz. Diese diente der Standortbestimmung und der Durchführung von Hearings zu den Themen der vier Synodalforen.

«Verstörendes Ausmass sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche»

Der erste Teil der Konferenz war der Thematik des sexuellen Missbrauchs und seiner Vertuschung gewidmet. Diese waren der entscheidende Auslöser für die Durchführung des Synodalen Weges und erschüttern den deutschen Katholizismus nach wie vor. Insbesondere die Vorgänge rund um dessen Aufarbeitung im Erzbistum Köln und die Haltung von Kardinal Woelki sorgten in letzter Zeitwiederholt für Schlagzeilen und setzen den Deutschen Episkopat einer Zerreissprobe aus.

In einer vorab veröffentlichen Erklärung konstatierte das Präsidium des Synodalen Weges, dass die Vorgänge im Erzbistum Köln zu erheblichen Irritationen, Vertrauensverlust und Kirchenaustritten geführt haben. Und es hielt fest, dass im Zusammenhang mit Rechtsbrüchen, Pflichtverletzungen und Fehlentscheidungen auch «ein Rücktritt kein Tabu sein» könne.

Auch auf die Gestaltung des Synodalen Weges soll sich die stärkere Berücksichtigung der Missbrauchsthematik auswirken: Fortan nehmen drei Vertreter/innen des von der Deutschen Bischofskonferenz eingerichteten Betroffenenbeirats an den Beratungen teil, die sich mit eindringlichen Voten einbrachten, die klar erkennen liessen, dass noch immer zu viel über und zu wenig mit den Opfern sexualisierter Gewalt gesprochen wird und dass mehr getan werden müsse. «Schön reden tut’s nicht – die Tat ziert den Mann», zitierte Johannes Norpoth Adolph Kolping. Und dies, obwohl der Bericht des zuständigen Mitglieds der Bischofskonferenz, Stephan Ackermann, deutlich erkennen liess, dass die Aufarbeitung der Thematik in Deutschland sehr viel energischer an die Hand genommen wurde und weiter gediehen ist als in der Schweiz.

«Reformen: Theologisch legitimiert, zustimmungsfähig, umsetzbar und plausibel»

Im weiteren Verlauf der Tagung standen die vier Hauptthemen des Synodalen Weges im Zentrum: 1. Macht und Gewaltenteilung, 2. Priesterliche Existenz heute, 3. Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche, 4. Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft.

Die Zusammensetzung der Synodalenforen zu diesen Themen, die vorgelegten Texte und die Arbeitsweise auf dem Synodalen Weg wie auch Voten von Bischöfen und Laien machen deutlich, dass die theologische Legitimität und Qualität der Texte und Entscheidungen einen hohen Stellenwert haben. Die Präsenz und das hohe Engagement vieler prominenter Theologinnen und Theologen aus unterschiedlichen Disziplinen sind beeindruckend – ebenso die Tatsache, dass auch viele Bischöfe ausdrücklich Wert auf theologische Beratung legen und keineswegs den Eindruck erwecken, kraft ihres Amtes alles schon besser zu wissen. Es besteht ein spürbarer Wille, nicht nur Forderungen zu erheben, sondern diese so zu begründen, dass sie auch auf weltkirchlicher Ebene ernst genommen und nicht als «ewiggleiche Reformpostulate liberaler Reformkatholik/innen» abgetan werden.

Ein Bild, das Wand, drinnen, Person, Tisch enthält.

Automatisch generierte BeschreibungGleichzeitig ist zahlreichen Voten – wiederum auch bischöflichen – zu entnehmen, wie wichtig Zustimmungsfähigkeit, Umsetzbarkeit und Plausibilität sind. Sehr prägnant formulierte Bischof Franz-Josef Overbeck, der zusammen mit Claudia Lücking-Michel, einer der Vizepräsidentinnen des ZdK, das Forum zum Thema Macht und Gewaltenteilung leitet, seine Überzeugung, dass Glaubwürdigkeit der Kirche heute an echter Partizipation hängt. Ohne entsprechende Anpassungen im Amtsverständnis und in der Art, wie Entscheidungen in der Kirche zustandekommen, kann die Kirche ihre Glaubwürdigkeit nicht wieder zurückgewinnen.

«Wer berät, entscheidet, und wer entscheidet, gestaltet»

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und eine Mehrheit der deutschen Bischöfe sind deshalb willens, eine «synodale Kultur, synodale Strukturen, synodale Ereignisse und synodale Repräsentation» (Prof. Julia Knop) zu etablieren, welche die Unterscheidung zwischen den nur beratenden Gremien und den allein entscheidenden geweihten Amtsträgern aufbricht. Sie verstehen Synodalität als Prozess gemeinsamer geistlicher Unterscheidung, aber auch gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung. Das ist schon an der Organisation des Synodalen Weges ablesbar:

Damit eine synodale Kirche echte Mitentscheidungsmöglichkeiten gewähren kann und die Mindeststandards einer demokratisch geprägten Lebensform nicht mehr unterbietet, bedarf es allerdings einer Weiterentwicklung der lehramtlichen Ekklesiologie und des Kirchenrechts. So sagte Prof. Tine Stein sinngemäss, «ohne die Entscheidungsfülle des Papstes und der Bischöfe in Frage zu stellen, ist es nicht möglich, synodal und wirklich partizipativ Kirche zu sein». Macht- und Gewaltenteilung sowie die Kontrolle von Macht sind nicht nur zur Verhinderung von sexualisierter Gewalt und anderen Formen des Machtmissbrauchs geboten, sondern auch aus Gründen des Kirchenverständnisses: Nimmt man die von Papst Franziskus mehrfach wiederholte Formulierung ernst, dass das Volk Gottes «in credendo unfehlbar» ist, kann es nicht dabei bleiben, dass seine Vertreterinnen und Vertreter bei wichtigen Entscheidungen keine Stimme haben. Mehr Synodalität ist also beides: Rückgriff auf die synodale Tradition der Kirche und Ausdruck ihrer Zeitgenossenschaft.

«Wen übersehen wir und warum?»

Die Zwischenetappe des Synodalen Weges war nicht nur wegen der Debatten zu den «grossen Linien» der Kirchenreform und zu den bekannten «heissen Eisen» anregend. Wichtig waren auch Hinweise auf Leerstellen, die bisher zu wenig beachtet wurden. Entsprechend bezeichnete ein Votant die Frage «Wen übersehen wir und warum?» als sachlich, aber auch spirituell bedeutsame Frage für das Weitergehen auf dem Synodalen Weg.

Wichtig war zum Beispiel das Votum der einzigen (!) Vertreterin der in Deutschland als «muttersprachliche Gemeinden» bezeichneten anderssprachigen Gemeinschaften, dass diese den Eindruck gewinnen könnten, der Synodale Weg habe mit ihrem Kirchenverständnis nichts zu tun, wenn sie nicht besser auf diesem Weg mitgenommen werden.

Für viele der Themen relevant war auch der Hinweis von Mirjam Gräve, Vertreterin des Netzwerks katholischer Lesben, in der Geschlechterfrage sei wichtig, das binäre Denken zu überwinden.

Und ebenfalls weiterführend war die Anregung, wenn der Synodale Weg schon online tage, wäre es möglich, auch Stimmen aus anderen Teilen der Weltkirche einzubeziehen, sei es aus Afrika oder aus Lateinamerika, wo Papst Franziskus erst kürzlich einen «synodalen Weg» unter Einbezug der Laien angeregt hat.

«Es ist hoher Druck da und […] wir werden am Ende Entscheidungen treffen»

Ein Bild, das Text enthält.

Automatisch generierte BeschreibungIn den bilanzierenden Voten gegen Ende der Konferenz gab es Stimmen, die ihre Besorgnis angesichts von Polarisierung und Blockaderisiken äusserten. Bischof Franz-Josef Bode hielt sehr realistisch fest, es werde auf dem Weg auch weiterhin Ohnmachtserfahrungen, unterschiedliche Vorstellungen bezüglich Herangehensweise und Tempo in der Frauenfrage und am Ende auch Minderheitsvoten geben. Aber insgesamt dominierte der Eindruck der Ermutigung für einen Weg nach vorn, ganz im Sinne der vormittäglichen Bibelarbeit zu einem Abschnitt des Evangeliums, der den Propheten Jesaja zitiert: «Das Volk, das im Dunkeln sass, hat ein Licht gesehen».

In der Medienmitteilung zum Abschluss der Online-Konferenz wird der Georg Bätzing, Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz mit den Worten zitiert: «Ich bin dankbar für die inhaltlichen Debatten, die wir gestern und heute geführt haben. Wir spüren alle: Es ist hoher Druck da und ich kann die Unruhe verstehen. Wir haben diesen Weg begonnen und wir werden am Ende Entscheidungen treffen und Beschlüsse fassen. Was mich dabei besonders freut, ist das gute Miteinander von Bischöfen und Laien in sachbezogenen, offenen und persönlich geprägten Diskussionen.»

Zudem hält die Medienmitteilung fest: Der synodale Weg sei kein «unverbindlicher Spaziergang». «Umso wichtiger ist es, auch in der Kontroverse zusammenzubleiben und die Weg-Gemeinschaft nicht aufzukündigen, gemeinsam Kirche zu sein».

Zwischenbilanz

Auch wenn eine Mehrheit innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland Reformen will und eine Mehrheit der Bischöfe deren Notwendigkeit anerkennt, sind Stimmen unüberhörbar, die befürchten, auf dem Synodalen Weg würde der Missbrauchsskandal instrumentalisiert, um einen Umbau der Kirche voranzubringen, der mit ihrem Wesen unvereinbar ist und ihre Identität bedroht. Noch ist unklar, ob und wie es gelingen kann, trotz der markanten Divergenzen Veränderungen auf den Weg zu bringen, welche

Selbst wenn dies nur teilweise gelingen sollte, dürften die deutschen Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken als Vertretung der organisierten Laien und ihrer Verbände für sich beanspruchen, dass sie die krisenhafte Entwicklung nicht passiv hingenommen, sondern mit dem Synodalen Weg kraftvoll einen Prozess auf den Weg gebracht haben, in dem auf transparente, kirchenintern wie öffentlich breit wahrgenommene Weise, theologisch wie geistlich verantwortungsbewusst um Antworten auf Fragen und Krisen gerungen wird, welche die Kirche in Deutschland, aber auch weit darüber hinaus umtreiben.

Wäre es nicht auch in der Schweiz an der Zeit, im Bewusstsein der eigenen Vielfalt und unvermeidlicher Konflikte die Kräfte zu bündeln und ein gemeinsames Vorhaben auf den Weg zu bringen, um sich ernsthaft, mutig und kraftvoll den Krisenphänomenen im Katholizismus und den Zumutungen zu stellen, die die tiefgreifende Transformation der Rolle der ehemaligen Mehrheitskirchen mit sich bringt? Was die beiden Präsidenten des Synodalen Weges einleitend sagten, trifft auf die katholische Kirche in der Schweiz genauso zu: «Unsere Themen sind nach wie vor drängend und wir können die Lösungsvorschläge nicht auf unbestimmte Zeit hinauszögern. Der Handlungsbedarf ist heute.»

Dr. Daniel Kosch ist Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) und auf Einladung der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken einer der beiden Beobachter des Synodalen Weges aus der Schweiz. Der zweite Beobachter, Weihbischof Alain de Raemy, konnte aufgrund anderer Verpflichtungen nicht an der online-Konferenz teilnehmen.

Daniel Kosch, 7. Februar 2021

Medienmitteilung der RKZ vom 7. Februar 2021

Link:

Die Artikel des Medienspiegels werden nach den urheberrechtlichen Richtlinien der Medienhäuser publiziert.

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/medienspiegel/impressionen-vom-synodalen-weg-in-deutschland/