Der Schmuck der «Hure Babylon»: Gold im Neuen Testament

Gold hat im Neuen Testament eine ambivalente Rolle. Auf der einen Seite formuliert Jesus die Goldene Regel. Auf der anderen Seite predigt er Armut. Gold steht eher für die verführerische Seite der römischen Kultur.

Raphael Rauch

Warum ist die Goldene Regel golden?

Hildegard Scherer: In der Bibel ist gar nicht von Gold die Rede. In den letzten Jahrhunderten hat sich der Name «Goldene Regel» für ein Jesuswort eingebürgert: «Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen!» Diese Regel hat sich als ausgesprochen wertvoll bewährt – sie bringt christliches Ethos in seiner Offenheit für alle Menschen auf den Punkt. Und wird zum Goldstandard des Christentums.

Wie ist das Goldgeschenk der Heiligen Drei Könige zu deuten?

Scherer: Die Weisen aus dem Osten vollziehen eine kleine Zeremonie: Sie fallen nieder und huldigen dem Kind, sie öffnen ihre Schatzkisten und offerieren ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Geschenke. Gold und Weihrauch gehören auch nach Jesaja zu den Reichtümern, die die Völker nach Zion bringen.

Das Gold als seltenstes, kostbarstes und sehr ansprechendes Metall gebührt den Höchsten: Die Weisen der Erzählung haben es also für das Kind mitgebracht, das sie aufgrund der Sterndeutung für den König der Juden halten.

In der Apostelgeschichte verweist Paulus auf den goldenen Götzen aus dem Alten Testament. Was ist die zentrale Botschaft?

Scherer: Davon spricht Paulus in einer Rede in Athen, dem Zentrum der Philosophie: Er setzt den Gott Israels von den Göttern der griechisch-römischen Kulte ab und greift dabei auf ein altes biblisches – und darüber hinaus auch philosophisches – Motiv zurück, das Gott vom Menschengemachten unterscheidet: Das Göttliche sei nicht einem Produkt menschlicher Kunstfertigkeit und menschlicher Gedanken, nicht «Gold oder Silber oder Stein», gleich.

Dabei kann man an beeindruckende Götterstatuen wie die der Göttin Athene auf der Akropolis oder des Zeus im Heiligtum von Olympia denken, meterhohe Statuen aus Gold und Elfenbein. Paulus setzt dagegen die Überzeugung von Gott als Schöpfer, der sich an alle Menschen wendet und sie in Gerechtigkeit richten wird. Gott schafft den Menschen, doch der Mensch schafft nichts Göttliches.

Was hat es mit der vergoldeten Bundeslade auf sich?

Scherer: Sie kommt im Hebräerbrief vor, wenn der Tod Jesu mit den Begriffen des Jerusalemer Tempelkultes gedeutet wird. Zum Beispiel werden die heiligen Zelte des «ersten Bundes» am Sinai beschrieben: Im inneren Zelt, dem Allerheiligsten, befindet sich unter anderem die vergoldete Bundeslade. Laut dem Buch Exodus ist diese Akazienholztruhe mit ihrem Goldüberzug und ihren Goldelementen der beeindruckende und wertvolle Aufbewahrungsort des Bundeszeugnisses.

Waren die Jünger arm? Gold gehört ausdrücklich nicht zum Besitz der Apostel…

Scherer: Wenn Jesus bei Markus und Lukas die Zwölf oder die 72 aussendet, verbietet er ihnen, einen Geldbeutel oder Geldmünzen mitzunehmen. Bei Matthäus klingt stärker der Aspekt des Gelderwerbs mit – und dabei zählt er Gold-, Silber- und Kupfermünzen auf. Die Silbermünze entspricht ungefähr einem einfachen Tageslohn, die Kupfermünzen sind weit darunter.

Die Goldmünzen sind selten und circa einen Monatslohn wert. Über diese Preisklasse wäre man sich sicher schnell einig – doch sollen die Schüler ja nicht einmal Kupfermünzen mitnehmen oder erwerben. Kommen die Schüler zudem noch ohne Stab zur Verteidigung und barfuss, dann unterscheiden sich diese armseligen Gesandten der Gottesherrschaft schon deutlich von Gesandten eines irdischen Mächtigen.

Auch Paulus gibt sich bescheiden.

Scherer: Die Apostelgeschichte betont, dass Paulus weder Gold noch Silber noch Kleidung verlangt habe. Er soll immer mit eigenen Händen gearbeitet und sogar andere mitversorgt haben. Auf dieses Vorbild verpflichtet er die Ältesten von Milet, beispielhaft für die Rollenträger der Gemeinden. Das entspricht einerseits dem Ideal für alle Christinnen und Christen, Besitz gering zu achten und falls vorhanden zum Wohle anderer einzusetzen. Andererseits zeigt der Korintherbrief, dass die Strategie der Selbstversorgung für urchristliche Missionare gar nicht so selbstverständlich war.

Können wir über die Briefe an Timotheus und Petrus sprechen? Demnach sind gute Werke und ein sanftes Wesen dem Goldschmuck vorzuziehen – und der Glaube ist wertvoller als vergängliches Gold.

Scherer: An den ersten beiden Stellen geht es um Schmuck, der stereotyp mit Frauen in Verbindung gebracht wird, neben Gold- und Perlenschmuck auch teure Kleidung und aufwändige Flechtfrisuren. Im Brief an Timotheus steht, dass sich die Frauen lieber mit guten Werken schmücken sollen. Man soll sie an ihren Taten messen, nicht an ihrem Schmuck.

Im Brief an Petrus ist der empfohlene Schmuck ein Ideal einer guten Ehefrau. Der Autor hofft, dass die christlichen Frauen damit ungläubige Ehemänner überzeugen können. Vorausgesetzt ist, dass auch diesen der Charakter der Frauen mehr bedeutet als der äusserliche Schmuck. Das ist also keine speziell christliche Vorstellung.

Funktionieren Gold und Schmuck als Metapher für den Charakter?

Scherer: Im Brief an Petrus passt Gold als Vergleich besonders gut: Erstens ist Gold besonders wertvoll. Und zweitens kommt durch die Läuterung das Echte zum Vorschein. So macht der Autor plausibel: Mehr noch als Gold ist der Glaube es wert, dass man dafür Prüfungen in Kauf nimmt – gerade darin erweist sich der Wert. Die Christinnen und Christen werden im Brief an Petrus durch Repressalien von Aussen auf die Probe gestellt. Das verursacht zwar Leiden. Aber durchfallen können sie nicht, weil Gott sie behütet.

Was meint der Jakobusbrief, wonach Gold hinfällig sei?

Scherer: Der Jakobusbrief setzt sich stark mit Ethos und Besitz auseinander. Er enthält eine kleine prophetische Rede an reiche Grundbesitzer: Sie werden mit der Vergänglichkeit des Reichtums und des Lebens konfrontiert. Einmal wird ihr Gold und Silber «verrosten».

Da Gold aber nicht Rost ansetzt wie andere Metalle, ist das entweder bildlich gemeint – oder aber ein Hinweis darauf, dass das Gold nur oberflächlich wertloseres Metall verdeckt und damit trügerisch wirkt. Ebenso werden die Reichen konfrontiert mit ihrer Ungerechtigkeit gegenüber ihren Arbeitern, die ihnen ein üppiges Leben erst ermöglicht hat: Gott hat deren Schreie gehört.

Die Offenbarung des Johannes thematisiert Gold positiv wie negativ. Wie ist das zu verstehen?

Scherer: Gold steht als Bild für das Wertvolle und Echte, die «sichere Anlage», in die Christen investieren sollten. An anderer Stelle ist Gold der Schmuck der «Hure Babylon»: Sie steht für die attraktiven, verführerischen Seiten der römischen Kultur, die gerade mit Luxus lockt – und deren grauenhaften Seiten der Seher aufdecken will. Im Fall der Offenbarung geht es um das gewaltsame Vorgehen gegen Christen.

Das himmlische Jerusalem haben wir uns laut Apostelgeschichte golden vorzustellen…

Scherer: Der Seher, der den himmlischen Bereich beschreibt, sieht bereits einige goldene Requisiten. Kommt das himmlische Jerusalem zur Erde, ist es schliesslich eine Stadt aus «reinem Gold», geschmückt mit Edelsteinen und Perlen.

Im Gegensatz zu den Städten der Antike, in denen repräsentativ mit Marmor und Gold gebaut wurde, sind hier die Gebäude für alle aus Gold. Zudem hat die Stadt keinen Tempel mehr, sie fungiert vielmehr wie ein Tempel, denn Gott und Christus thronen direkt in ihr. Das ewige und reine Gold entspricht der göttlichen Würde, doch auch alle Menschen bewegen sich nun darin.

* Hildegard Scherer (45) ist Professorin an der Theologischen Hochschule Chur. Sie hat den Lehrstuhl inne für Neutestamentliche Wissenschaften.


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