Goldige Leute im Goldingertal

Das Goldingertal spielt mit seinem goldenen Namen. Wo es da goldig zugeht, erzählen eine Seelsorgerin und ein einheimischer Guide.

Vera Rüttimann

Majestätisch thront die Kirche St. Nikolaus in der Mitte des Dorfes Goldingen. Viele Wintersportler, die zum Skigebiet Atzmännig im Kanton St. Gallen wollen, kennen den Anblick dieser Kirche. Hat es in der Pfarrkirche aus dem Jahr 1784 denn auch besonders viel Gold? Marie-Louise Romer, Seelsorgerin und Pfarreibeauftragte in Goldingen, St. Gallenkappel und Walde, kennt diese Frage. Sie führt den Gast in das Kircheninnere. «Die Baumeister haben es hier nicht übertrieben mit der Verwendung von Gold, aber es ist da», sagt sie und zeigt auf schöne Stukkaturen, prächtige Bilderrahmen und auf das Taufbecken.

Heiliger Nikolaus mit drei Goldkugeln

Es gibt noch andere Spuren von Gold. Ein grosses Deckengemälde zeigt den Heiligen Nikolaus und einen Engel mit einer Schale, darin drei Goldkugeln. Einer Legende nach wollten die drei Töchter eines armen Kaufmanns heiraten, hatten dazu aber kein Geld. Nur dank der drei Goldkugeln, die Nikolaus ihnen in den Garten warf, konnten sie heiraten. «Der Heilige Nikolaus mit den drei Goldkugeln, das passt gut zum Goldingertal», sagt die Seelsorgerin, deren Grossvater im luzernischen Napfgebiet einst selbst nach Gold gesucht hatte.

«Viele Leute hier strahlen Zufriedenheit aus.»

Marie-Louise Romer, Seelsorgerin

Marie-Louise Romer spricht von einer Pfarrei, in der kirchliche Bräuche und Traditionen noch sehr gepflegt werden. Clauseinzug, Sternsingen und Segnungen – all diese Bräuche seien den Leuten hier im Tal wichtig. Die Pfarreibeauftragte weiss: «Unsere Werte wurzeln im Christentum und wenn wir sie nicht pflegen, gehen sie verloren.»

Goldige Menschen

Mit dem Goldingertal verbindet Marie-Louise Romer auch «goldige Menschen». Bei den Trauergottesdiensten für Verstorbene sei ihr oft aufgefallen, dass der Satz falle: Er war ein zufriedener Mensch. «Viele Leute hier strahlen Zufriedenheit aus», sagt sie. Die Leute, die oft unter harten Bedingungen an den steilen Hängen leben und arbeiten, würden nicht hart wie Stein, sondern «bewahren sich in ihrem Innern eine Weichheit.»

Für Marie-Louise Romer ist das Goldingertal ein Kraftort: «Wenn ich diese Schluchten entlanglaufe, dann breitet sich eine mystische Stimmung aus.» Auch das Licht, das im Winter hier herrsche, sei wunderbar. Sie weiss: «Wenn in den unteren Lagen Nebel ist, scheint bei uns hier oben oft die Sonne. Das prägt die Menschen.»

Wegkapelle Gibel

Fredy Dietziker arbeitet bei den Sportbahnen Atzmännig und führt als freier Guide Menschen durchs Goldingertal. Nach einer kurzen Autofahrt durch ein Waldstück gelangt er zur Wegkapelle im Gibel. Das Kleinod steht an der Bannholzstrasse am Ende der Gibelgasse. Von hier aus sieht man auf den Zürichsee, das Kloster Mariazell, Wurmsbach und in der Ferne auf Berge wie das Vrenelisgärtli, den Mürtschenstock und den Schänner.

1657 erbaut, hat die Kapelle eine bewegte Geschichte: Ein Jahr zuvor wurden die zehn wehrfähigen Männer im Gibel in den Militärdienst eingezogen, als im ersten Villmergerkrieg die protestantischen Eidgenossen gegen die katholischen ins Feld zogen. Die Soldaten aus Gibel kämpften im schwyzerischen Heer in Wurmsbach gegen die Zürcher. Als alle ihre Söhne gesund zurückkehrten, bauten ihre Eltern hier eine kleine Kapelle. Fredy Dietziker kennt sie von klein auf. «An Weihnachten trifft sich unsere Familie erst auf dem Hof, dann gehen wir alle hierher.»

Seilziehen in der Kapelle «Maria zum Schnee»

Während die Leute im Gibel in der Wegkapelle beteten, plünderten Protestanten im Gibel ihre Keller. Um das künftig zu verhindern, bauten sie 1722 im Weiler eine eigene Kapelle, «Maria zum Schnee». So waren sie beim Beten immer ganz nahe bei ihrem Hab und Gut. «Das zu wissen, finde ich sehr spannend», sagt Fredy Dietziker, der das schmucke Gotteshaus jetzt betritt. Er kennt es gut. «Hier in diesen Bänken feiert unsere Familie jedes Jahr Weihnachten», sagt er. Danach werden feine Toastbrote verzehrt. Und die Kinder legen Federn, die sie zu Hause gesammelt haben, dem Jesuskind zu Füssen. Alte Familienrituale.

Was hat es mit der seltsamen Seilkordel auf sich, die im Innern der Kapelle baumelt? Fredy Dietziker grinst und erinnert sich an manche Lausbubenstreiche. «Wir turnten als Jugendliche oft am Seil herum und wetteiferten, wer am lautesten läuten konnte.» Nicht selten hätten sich dabei die Glocken um die eigene Achse gedreht.

«Manchmal setzte ich mich als Junge lieber auf die Weide als auf die Kirchenbank.»

Fredy Dietziker, Guide

Fredy Dietziker plant, bei seiner Mutter vorbeizusehen im elterlichen Hof. Zum Einkaufen benützt er im Dorfladen im Goldinger Zentrum den Goldtaler. «Das stiftet unter den Menschen hier ein Gemeinschaftsgefühl», sagt er. Nun steht er neben einem seltsamen Kasten mit der Aufschrift «Goldtrophy». Es sind Spielkästen, die bei Hofläden, Restaurants, Käserei oder Metzgerei aufgestellt sind. Alles dreht sich auch hier um den goldenen Taler, mit dem man regionale Produkte erwerben kann.

Ein Leben mit der Kirche

Angekommen in der elterlichen Stube, erzählt er von seiner kirchlichen Sozialisation. «Manchmal setzte ich mich als Junge lieber auf die Weide als auf die Kirchenbank», sagt er. Dennoch sei die Kirche seine Grundwurzel, die ihm seine Eltern mitgegeben haben. Er schaut sich um im alten Haus, in dem noch mit Holz geheizt wird.

Seine 79-jährige Mutter sitzt mit am Tisch und serviert Käse und Wurst. An den Wänden hängen Kruzifixe, in einer Nische steht eine fast mannshohe Marienstatue aus Holz. «Die habe ich aus einem Güselsack gerettet und sie wieder reparieren lassen», sagt Olga Dietziker. «Taufe, Kommunion, Hochzeit… Alles fand in der Kirche statt. Sie durchzieht mein Leben», sagt sie. Die Kirche und die Kapellen im Goldingertal kenne sie natürlich. Im Goldloch aber sei sie noch nie gewesen.

Die «Venediger»

Im Goldingertal kursieren viele Sagen. Die Bekannteste geht so: Vor langer Zeit kamen zwei junge Burschen in dieses Tal. Sie sollen hier nach Gold gesucht haben. In einem Bach stiessen sie auf etwas Glänzendes. Den Männern sagte man Zauberei nach und nannte sie «Venediger». Am Abhang der Chrüzegg sollen sie eine mächtige Höhle gegraben und sackweise Material davongetragen haben.

«Es ist einfach nur ein kleines dreckiges Lehmloch.»

Fredy Dietziker

Doch 1757 geschah das Unglück: Die Höhle und der ganze Berg fielen zusammen. Der Grund: ein starkes Erdbeben. Daraufhin begannen die Venediger am Dägelsberg eine neue Höhle auszugraben: Die geheimnisvollen Männer verschwanden wieder und ein Teil vom Goldloch blieb verlassen zurück. Die Menschen im Goldingertal begannen, das tiefe Loch zu fürchten. Bald hiess es, so die Sage, der Teufel treibe dort sein Unwesen.

Schnee vor dem Goldloch

Ist da was dran? Das wollte Fredy Dietziker schon als Kind genau wissen. Auch an diesem Vormittag ist er mit einem Gast unterwegs zum Goldloch, auch «Isaraloch» genannt. Doch heute wird das nichts mit dem Einstieg. «Zu viel Schnee liegt auf dem steilen Wanderweg zum Goldloch», seufzt Fredy Dietziker.

Mit 60 Metern Tiefe ist das Isaraloch eine der grössten Höhlen in der Gegend. Er erzählt, wie magisch es ist, wenn man im Innern des Goldlochs ankommt und mit seiner Taschenlampe die verwinkelte Höhlenwelt erkundet. Nein, der Teufel wohne hier nicht. Fredy Dietziker sagt über diesen Ort: «Es ist einfach nur ein kleines dreckiges Lehmloch, natürlich und wunderschön. So wunderschön wie das ganze Goldingertal.»

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/goldige-leute-im-goldingertal/