Suchen und Finden – Bewahren und Entwickeln

Hirtenwort von Bischof Felix Gmür zum 2. Sonntag im Jahreskreis

Liebe Schwestern und Brüder

Wer sucht, der findet. Viele von uns sind richtige Such- und Findepro-fis. Suchmaschinen gehören zu den meistbesuchten Seiten im Inter-net. Von einer einfachen Information bis zu einer Partnerin oder ei-nem Partner: Wir suchen heute online. Einiges lässt sich mit Geschick und ein bisschen Glück finden. Und doch – wir bleiben Suchende. Wer findet, sucht weiter. Finden wir denn keine Ruhe? Schon der Hei-lige Augustinus war ein umtriebiger Suchender. Er schrieb: «Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir, o Gott». Die Unruhe entspringt der Suche, ja der Sehnsucht nach Erfüllung, Zufriedenheit, Glück, Le-benssinn. Wir Christinnen und Christen glauben, dass sich der Sinn unseres Lebens letztlich nur in der Begegnung mit Gott erfüllen kann.

Wir glauben. Aber was genau? Die beiden Jünger im Evangelium hor-chen auf, als Johannes der Täufer auf Jesus zeigt und in ihm das Lamm Gottes sieht. Denn mit dem kühnen Bild vom Lamm Gottes aus den Heiligen Schriften verbinden sie die Hoffnung, dass alles Böse besiegt und das Leben gelingen wird. Von ihm erwarten sie Er-lösung und Glück. Sie glauben daran. Deshalb interessieren sie sich für Jesus. Sie folgen ihm nach. Jesus will es genauer wissen und fragt: «Was sucht ihr?» Es ist das erste Wort, das Jesus im Johannes-evangelium spricht. Das erste Wort von Jesus an die Glaubenden ist keine Unterweisung, keine Aufforderung, kein Gebet. Es ist eine Frage: «Was sucht ihr?»

Alles beginnt mit der Suche. Wer sucht, hat eine Sehnsucht. Die Jün-ger suchen Glück und inneren Frieden. Sie sehnen sich nach einer Verbundenheit, die trägt, sie suchen eine Bleibe. Können sie das von Jesus erwarten? Wer ist er eigentlich? So antworten sie dann auch nicht wirklich auf die Frage, sondern stellen eine Gegenfrage: «Wo wohnst du?», wörtlich übersetzt: «Wo bleibst du?»

Die Suche offenbart eine Spannung. Auf der einen Seite ist das Inte-resse, das Nachfolgen, die Bewegung und Dynamik, der Aufbruch ins Neue. Auf der anderen Seite haben die Jünger Sehnsucht nach Ruhe, Sicherheit, Sinn. Sie suchen das, was bleibt und trägt. Diese Span-nung ist typisch für uns und unsere Kirche heute. Wir brauchen Neues und spüren, dass die Welt sich ändert und wir uns ändern und sich die Lebensbedingungen verändern und wir deshalb Aufbrüche wagen müssen. Und doch wollen wir auch, dass gleichzeitig alles gleichbleibt: Die Kirche bleibt im Dorf, die Kirche bleibt der ruhende Pol in der ständigen Veränderung, die Kirche bleibt, wie sie vermeint-lich immer schon war. Was bleibt? Was soll sich ändern? Jesus gibt den beiden Jüngern einen Tipp: «Kommt und seht!» Die Kirche in un-serem Bistum kann daraus für die Seelsorge einiges lernen.

Einladen Jesus lädt ein. Seine Türen stehen offen. Er ist zugänglich. Unsere Pfarreien und kirchlichen Dienste tun gut daran, die Menschen, die uns suchen, einzuladen statt abzuwimmeln, erreichbar zu sein, statt auf spätere Termine zu vertrösten, offene Pfarrhäuser und Kirchen zu haben, statt verschlossene Türen anzubieten. Wir suchen nach dem richtigen Mass, verfügbar und zugänglich zu sein. Das ist in unserer durchgetakteten Welt und mit dem grossen Engagement des Personals mitunter schwierig. An manchen Orten gibt es einen Accueil, ei-nen Empfangsbereich, einen Ort und Zeiten, wo Kirche für alle un-kompliziert zugänglich ist.

Erleben

Wer Jesus nachfolgt, will Jesus erleben. Anders als die Jünger kön-nen wir Jesus nicht unmittelbar Fragen stellen und ihm in seine irdi-sche Bleibe folgen. Und dennoch gibt es Möglichkeiten, ihm wirklich zu begegnen. Die Sakramente sind wunderbare Schätze der Christus-begegnung. Im Sakrament der Eucharistie nehmen wir ihn ganz in uns auf. Damit diese Erfahrung sich weiterschenken kann, tun wir gut daran, komplementär zur Feier der Sakramente Begegnungen zu er-möglichen, bei denen Menschen sich selber einbringen und von ih-rem persönlichen Zugang zu Jesus berichten können. Der Austausch wird zum gemeinsamen Erlebnis. In der Kinder- und Jugendarbeit o-der auch im Bereich der Senioren werden wir vielerorts durch erst-klassige Begegnungsmöglichkeiten beschenkt. Denn schöne Erleb-nisse und gute Erfahrungen in der Kirche stärken und vertiefen den Glauben. Und doch suchen wir nach stimmigen Formen, über den Glauben auszutauschen. Wir suchen nach Räumen, in denen junge Eltern, Singles, Menschen in unterschiedlichen Beziehungsformen Gott erfahren und Erlebnisse damit verbinden können. Hier ist die Kir-che besonders herausgefordert. Es öffnet sich Raum für Kreativität.

Versöhnen Leider gab und gibt es Einladungen und Erlebnisse, die bei Menschen tiefe Wunden und einen grossen Schmerz hinterlassen haben. Man

che leiden ein Leben lang darunter. Einladen, zuhören, Leid anerken-nen, um Entschuldigung bitten: Das sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer erhofften Versöhnung, unumgängliche Schritte in der Nachfolge Jesu – für die ersten Jünger, die auf das Lamm Gottes schauen, und erst recht für uns. Im Umgang mit der eigenen Schuld sucht die Kirche weiter. Eine griffige Prävention ist zukunftsgerichtet und zielt darauf ab, jede Art von übergriffigem Verhalten zu verhin-dern. Das Bewusstsein zu schärfen, ohne selbst übergriffig zu werden oder vorzuverurteilen oder Überdruss zu provozieren, ist eine Suche nach dem richtigen Mass.

Integrieren Die beiden Jünger im Evangelium stammen aus demselben Kultur-kreis wie Jesus. Die Kommunikation scheint einfach zu sein. Lebens-welt und Lebensstil decken sich weitgehend. In unserer Kirche heute sind wir am Suchen, weil mehr als ein Drittel der Gläubigen in unse-rem Bistum Migrantinnen und Migranten sind. Sie haben verschie-dene kulturelle Hintergründe, unterschiedliche religiöse Bedürfnisse und Erwartungen, vielleicht andere Vorstellungen vom geglückten Leben. Und doch sind sie in der Kirche nicht Fremde, sondern ebenso Einheimische wie alle anderen katholischen Gläubigen auch. Wie können wir uns gegenseitig einpassen, so dass wir spüren, dass wir zusammengehören und denselben Glauben miteinander teilen? Es ist die stete Suche nach einer gelungenen Integration, ohne dass jemand den eigenen kulturellen Charakter aufgeben muss.

Persönlich

Echte Erfahrungen und Begegnungen kann man nicht delegieren. Das geht nur persönlich. Jesus lädt zum persönlichen Kennenlernen ein: «Kommt und seht!» Wir werden uns einmal mehr bewusst, dass Glaube im Kern nicht das richtige Aufsagen von dogmatischen Sät-zen oder das Vollbringen guter Werke ist. Glaube ist zunächst immer persönliche Begegnung mit der Person Jesus. Deshalb ist auch die Glaubensweitergabe etwas ganz Persönliches. Petrus kommt durch Andreas zu Jesus. Er erzählt ihm, dass er gesucht und den Messias gefunden habe. Heute sind wir auf der Suche, wie wir den Glauben unter neuen Lebensbedingungen weitertragen. Es lohnt sich, Neues auszuprobieren und im Suchen nicht aufzugeben, gerade auch im Vertrauen, dass Gott den ersten Schritt macht und Jesus als Erster einlädt.

Gemeinschaftlich Wenn wir persönliche Erfahrungen miteinander erleben, werden sie zu geteilten Erfahrungen. Es entsteht Gemeinschaft. Kirche ist immer Gemeinschaft, Christsein geht nicht allein. Es ist eine grosse Heraus-forderung, das gemeinschaftliche kirchliche Leben zu fördern, weil die vielen individuellen Lebensstile und Bedürfnisse und das Denken, alle seien ein Sonderfall, diesem Ansinnen viele Steine in den Weg legen. Wir suchen in den Pfarreien Formen von Gemeinschaften, die sich nicht abkapseln, sondern sich für neue Menschen öffnen, die sich nicht als exklusive Elite verstehen, sondern ihre Eigenart für alle ein-bringen, die sich nicht um sich selber drehen, sondern Jesus im Blick haben, der alle einlädt und sich für alle interessiert. Nachdem viele kirchliche Vereine nicht mehr wie früher existieren, ist diese Sucheu-mso drängender und spannender. Das betrifft auch die einzelnen Menschen in der Gemeinschaft. Das heutige Evangelium spricht nur von zwei Jüngern. Aber schon sehr früh gehörten Frauen dazu. Wir suchen nach einer Kirche, in der Frauen und Männer gleichermassen ihren Platz haben.

Öffentlich

Über das Treffen von Jesus mit den zwei Jüngern berichtet das Evan-gelium nichts. Das ist gut so, denn der Glaube ist persönlich und hat etwas Intimes und braucht auch einen geschützten Rahmen. Es ist gut, dass unsere Kirche diesen Schutz respektiert und anbietet. Gleichzeitig ist der Glaube aber auch öffentlich, und zwar gerade des-wegen, weil er lebensrelevant ist. Das soll und darf die Öffentlichkeit wissen. Deswegen ist die Kirche immer öffentlich, bis hin zu öffentli-chen Meinungsäusserungen zu gesellschaftlichen Fragen. Hier ist freilich eine grosse Sensibilität gefordert, denn das Engagement für alle, welche die biblische und kirchliche Tradition Arme nennt, steht nicht zur Disposition. Es ist eine Gratwanderung, weil man sowohl klar sein muss als auch niemanden mutwillig verletzten will und darf. In jeder Zeit ist die Kirche auf der Suche nach der richtigen Balance, auch heute.

Seit zehn Jahren darf ich mit Ihnen Christ und für Sie Bischof von Basel sein. Gemeinsam suchen wir, wie die Begegnung mit Jesus Christus, dem Messias, in unserem Bistum Formen annehmen kann, die dem Evangelium entsprechen und den Menschen Kraft geben.

Gemeinsam suchen wir nach dem Willen Gottes für die Kirche in un-serer Zeit. Ein Mass, an dem wir messen können, ob wir den Messias gefunden haben, ist Andreas: Er kann nicht anders und führt Petrus zu Jesus. Missionarische Kirche nennen wir das. Kirche, die einlädt. Suchen wir sie, in der Nachfolge von Jesus, der uns dazu einlädt.

Ihr Felix Gmür, Bischof von Basel

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