#SpitalLeaks: Wie ein Spital der Insel-Gruppe Ärzte und Patienten gefährdet

Trotz Positiv-Tests müssen Ärzte in einigen Spitälern weiterarbeiten. Das Gesundheitssystem kann zum Corona-Hotspot werden. Es wird Zeit, dass Bundesrat Alain Berset einschreitet. Ein Gastkommentar.

Annalena Müller*

Am 1. Dezember empörte sich die Schweiz über ein Geburtstagsständchen für Ueli Maurer. Mit Blasmusik, kaum Abstand und teilweise ohne Maske wurde der Bundesrat im Parlament gefeiert, während das Singen in Chören wegen der erhöhten Ansteckungsgefahr seit Monaten vernünftigerweise verboten ist.

In den Spitälern tun sich Abgründe auf

Der Vorfall im Parlament hat zurecht für Verärgerung gesorgt – untergräbt er doch die nach Monaten der Pandemie bereits arg gebeutelte öffentliche Moral weiter. Ausserdem wirft er die Frage auf, ob in der Pandemiebekämpfung mit mehrerlei Mass gemessen wird. Und wie fähig der Bund überhaupt ist, die Pandemie effektiv zu bekämpfen.

Denn es müssen nicht singende Parlamentarier sein, die einen zweifeln lassen. Schaut man etwa hinter die Kulissen des Gesundheitssystems, so tun sich dort mitunter Abgründe auf, die man gerade in Spitälern als letztes erwarten würde.

Insiderin aus einem Spital der Insel-Gruppe berichtet

Eine Ärztin, die anonym bleiben möchte, berichtete mir aus ihrem Arbeitsalltag auf der Chirurgie in einem Spital der Insel-Gruppe im Kanton Bern. Dort muss das medizinische Personal auch bei einem positiven Corona-Test weiterarbeiten – zumindest wenn die Person keine oder kaum Symptome hat.

Als der Lebenspartner einer anderen dort arbeitenden Ärztin Ende Oktober an Corona erkrankt, muss auch sie sich, den geltenden Regeln entsprechend, in ihrem Privatleben in Quarantäne begeben. Zur Arbeit im Spital muss sie aber weiter erscheinen. Dort arbeitet sie weiter mit Patienten, die aus Notfallfallgründen ins Spital kommen – also ausgerechnet mit geschwächten und daher besonders gefährdeten Personen.

Spital wird zu einem potentiellen Superspreader-Ort

Im selben Spital findet weder für das Personal noch für die Patienten ein regelmässiges Corona-Screening statt und ein solches ist von der Krankenhausleitung wohl auch nicht gewollt. Dort agiert man nach Minimalstandards und mitunter am Rande der Legalität – nur wenn ein Patient oder jemand aus dem medizinischen Personal Erkältungssymptome zeigt, wird ein Corona-Abstrich durchgeführt. Das Personal muss, wie gesagt, bis zum Ergebnis weiterarbeiten und gegebenenfalls auch nach einem positiven Ergebnis.

Kein Screening bei Personal und Patienten bedeutet nicht nur, dass das Spital leicht zu einem potentiellen Superspreader-Ort werden kann, sondern auch, dass hier fahrlässig Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden – mutmasslich aus Angst vor Gewinnverlusten.

Noch immer gibt es nicht notwendige OPs

Der Verdacht erhärtet sich, da das besagte Spital auch weiterhin elektive Operationen durchführt – also Behandlungen, die nicht dringlich sind. Wie sich jeweils im Nachhinein gezeigt hat, sind dabei mehrfach Patienten in der Inkubationszeit operiert worden – also, als sie schon ansteckend, aber noch nicht symptomatisch waren.

Die Ärztin berichtet von dem Fall einer 70-jährigen Frau, die vor ihrer elektiven Operation Ende Oktober, wie in dem Spital üblich, nicht getestet wurde. Als sie nach der OP zu husten begann, wurde sie getestet. Der Corona-Test fiel positiv aus. Die Patientin hatte zwischen den zwei Tagen, bis das Testergebnis feststand, ihr Zimmer mit einer 97-jährigen Frau geteilt und sich frei im Krankenhaus bewegt.

Eigenverantwortung reicht nicht

Die Ärztin versichert mir, dass der hier beschriebene Fall keineswegs ein Einzelfall ist. Mehrfach erhielt die chirurgische Station Anrufe und E-Mails von Rehakliniken, in denen dorthin verlegte Patienten des Spitals bei der Ankunft und folgendem Screening positiv auf das Corona-Virus getestet wurden.

Seit Wochen sollen Krankenhäuser auf elektive Operationen verzichten. Gesetzlich verpflichtet dazu sind sie nicht. Flächendeckende Screenings der Patienten und des Gesundheitspersonals sind natürlich durchaus weitverbreitet. Aber auch hier gibt es, offensichtlich, Spielräume. Sie liegen im Rahmen der berühmten Eigenverantwortung.

Wo ist die Verantwortung der Spital-Leitung?

Man sieht dieser Tage aber immer wieder, dass diese Eigenverantwortung nicht funktioniert – auch weil es zu viele Auslegemöglichkeiten und regionale Unterschiede gibt. Und so stagnieren die Zahlen nun seit zwei Wochen auf sehr hohem Niveau. Täglich kommen im Schnitt weitere 100 Tote hinzu. Und immer wieder hat die Politik die Bevölkerung zu eigenverantwortlichem Handeln und zu mehr Einschränkungen aufgerufen.

Man kann aber nicht von der Bevölkerung Verzicht verlangen – darauf, Kontakte zu minimieren, zuhause zu bleiben oder sich alternative Konzepte für Weihnachten zu überlegen, wenn die gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen ihren Teil der Verantwortung nicht wahrnehmen.

Der Bundesrat muss handeln

Wenn Bilder von Geburtstagsständchen aus dem Parlament oder Bilder dichtgedrängter Gruppen vor Skiliften alle individuellen Vorsichtsmassnahmen ad absurdum zu führen scheinen. Oder eben Berichte aus Krankenhäusern, die nicht einmal versuchen, ihr Personal und ihre Patienten zu schützen, weil ihnen sonst Einnahmen entgehen.

Nun hat der Bundesrat diese Woche weitere, einheitliche Massnahmen angekündigt. Es braucht diese Massnahmen ohne Frage, aber eben auch Mechanismen, die deren sinnhafte Anwendung kontrollieren – gerade auch in den gesellschaftlichen, systemrelevanten Institutionen.

* Dr. Annalena Müller forscht an der Universität Freiburg im Rahmen eines SNF-Ambizione Grants. Sie ist Expertin für Geschlechtergeschichte in Klöstern.


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https://www.kath.ch/newsd/spitalleaks-wie-ein-spital-der-insel-gruppe-aerzte-und-patienten-gefaehrdet/