Zensur bei den Reformierten: «Das Einstampfen der Kirchen-News ist ein Sündenfall»

Das Einstampfen einer «Kirchen-News»-Ausgabe in Nidwalden sorgt für Wirbel.  Kirchenratspräsident Wolfgang Gaede verteidigt sein Vorgehen. Andere finden: Es war eine Zensur, die nicht zur reformierten DNA passe.

Barbara Ludwig

Im November mussten die Reformierten im Kanton Nidwalden auf die Lektüre ihrer «Kirchen-News» verzichten. Grund: Der Redaktionsleiter hatte zwei Voten zur Konzernverantwortungsinitiative – ein Pro und ein Kontra – geplant. Die Exekutive der evangelisch-reformierten Kirche wollte dies verhindern. In einem Brief an die Kirchenmitglieder teilte der Kirchenrat laut einem Bericht der «Luzerner Zeitung» mit, er wolle keine politischen Artikel in der Zeitung.

Kirchenratspräsident erstaunt über mediales Echo

Redaktionsleiter Thomas Vaszary verzichtete auf die beiden Beiträge, legte aber den Konflikt mit dem Kirchenrat in der Ausgabe offen. Es kam zum Eklat: Die Exekutive beschloss, die bereits gedruckte November-Ausgabe der «Kirchen-News» vernichten zu lassen. Der Vorfall löste ein grosses mediales Echo aus – das Wort «Zensur» machte die Runde.

Darüber erstaunt zeigte sich Kirchenratspräsident Wolfgang Gaede an der Herbst-Kirchgemeindeversammlung am Montagabend in Stansstaad. «Bislang war ich der Meinung, die Kirchen-News hätten für niemanden Relevanz ausser für uns», sagte Gaede. 43 Kirchenmitglieder kamen ins Ökumenische Kirchgemeindehaus – die meisten im Pensionsalter.

«Bislang war ich der Meinung, die Kirchen-News hätten für niemanden Relevanz ausser für uns.»

Kirchenratspräsident Wolfgang Gaede

Gaede hatte offenbar damit gerechnet, dass die «Kirchen-News» unter dem Traktandum Varia aufs Tapet kommen würden. Und sprach als erster zu dem Thema. Zunächst stellte der Präsident klar: «Der Kirchenrat äussert sich nicht zu politischen Themen.»

Keine wirtschaftlichen Interessen beim Kirchenrat

Dann wies er den Vorwurf zurück, der Kirchenrat habe aus wirtschaftlichen Interessen die Artikel zur Initiative verhindern wollen. «Es bestehen keine wirtschaftlichen Interessen bei Kirchenrats-Mitgliedern.»

Ein Artikel in der Zeitung «reformiert.» hatte darauf aufmerksam gemacht, dass Gaede als Betriebsleiter der Klebag AG in Ennetbürgen tätig ist. Und Kirchenrats-Vizepräsidentin Diana Hartz leitet die kantonale Wirtschaftsförderung.

«Alle Gemeindemitglieder sollen sich in den Kirchen-News wiederfinden.»

Kirchenratspräsident Wolfgang Gaede

Die politische Abstinenz, die sich die «Kirchen-News» zu eigen machen sollte, erklärte Wolfgang Gaede mit der Finanzierung des Blatts durch Steuergelder: «Alle Gemeindemitglieder sollen sich darin wiederfinden.»

Kontrovers diskutiert wurden an der Versammlung die Frage der Zensur und die Verletzung des Redaktionsstatuts durch den Kirchenrat. Beide Vorwürfe wollte Kirchenratspräsident Wolfgang Gaede nicht gelten lassen.

Zensur kann nur der Staat ausüben

Laut Gaede wird Zensur «in der Regel» von staatlichen Stellen ausgeübt, die damit die Verbreitung unerwünschter oder ungesetzlicher Informationen verhindern wollten. Der Kirchenrat könne gar keine Zensur ausüben. Sein Argument: «Es gibt hunderte andere Informationsquellen, um sich über politische Themen zu informieren.»

Seiner Ansicht nach hat die Exekutive auch nicht das Redaktionsstatut verletzt, in der die redaktionelle Unabhängigkeit verankert ist. Dem Kirchenrat sei es aus Mangel an Zeit und organisatorischen Gründen nicht möglich, die Beiträge selber zu überprüfen, stellte der Kirchenratspräsident fest. «Daher wurde dem Redaktionsleiter und dem Redaktionsteam vertraut, im Sinne aller Mitglieder unserer Kirche zu schreiben.»

Plattform für Diskurs statt Veranstaltungskalender

Die Argumentation ist für Delf Bucher nicht nachvollziehbar. Bucher ist Journalist und hat in der Zeitung «reformiert» über den Streit berichtet. «Wenn das Einstampfen von schon gedruckten 3500 Exemplaren keine Zensur sein soll, muss man sich fragen: Welche Bedeutung hat das Wort ‘Zensur’?», lautete seine rhetorische Frage ans Publikum. Reformiert sein heisse, selber zu denken. Sich mit unterschiedlichen Positionen auseinanderzusetzen.

«Zur reformierten DNA gehört Politik und Religion», so der Journalist. Bucher plädierte für eine Kirchenzeitung, in der ganz unterschiedliche Strömungen und Positionen Platz fänden. «Ich wäre sehr enttäuscht, wenn wir nur noch einen Veranstaltungskalender hätten.»

Zweifacher Sündenfall

Ähnlich äusserte sich Niels Fischer. «Das Einstampfen der Kirchen-News ist ein Sündenfall», sagte der ehemalige Kirchenpfleger von Hergiswil. Der Kirchenrat habe «massiv und ungerechtfertigt» in die Kompetenz der Redaktion eingegriffen. «Der zweite Sündenfall ist die Zensur. Wenn das, was hier passierte, keine Zensur sein soll, dann weiss ich auch nicht, was Zensur ist.» Fischer akzeptiert, dass sich der Kirchenrat nicht politisch äussern wolle. Wenn jedoch ein Redaktor die Konzernverantwortungsinitiative befürworte, müsse man das ertragen können.

Mehrheit hinter dem Kirchenrat

Kein Glück hatte Niels Fischer mit seinem Antrag. Er schlug vor, mit einer Konsultativabstimmung den Puls der Bevölkerung zu spüren. «Wer der Anwesenden befürwortet das Einstampfen der Kirchen-News? Und wer hätte die Zeitung erscheinen lassen wollen?» Eine deutliche Mehrheit der anwesenden Kirchgemeindemitglieder lehnte die Konsultativabstimmung ab.

Vorerst gilt: Eins zu null für den Kirchenrat. Dieser will im Februar eine breiter abgestützte Umfrage bei allen Mitgliedern zur Zukunft des Kirchenblatts lancieren.


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