Von Wien nach Winterthur: Was die Terror-Nacht für die Schweiz bedeutet

Trauer und Entsetzen: Ein IS-Anhänger tötet in Wien vier Menschen – bis er von der Polizei erschossen wird. Womöglich gibt es Verbindungen nach Winterthur: die Polizei hat zwei Männer verhaftet. «Ich bin beunruhigt, betroffen und schockiert», sagt die Wienerin Veronika Jehle.

Raphael Rauch

Eine Spezialeinheit der Polizei hat am Dienstagnachmittag in Winterthur einen 18- und einen 24-jährigen Schweizer verhaftet. Die Behörden vermuten eine Verbindung zwischen den Verhafteten und dem Attentäter von Wien.

Spezialeinheit «Diamant»

Aus dem Kanton Zürich stand die Spezialeinheit «Diamant» im Einsatz. Sie hat die beiden Männer in Abstimmung mit den österreichischen Behörden in Winterthur verhaftet.

Nach den Anschlägen haben die Behörden auch in der Schweiz den Schutz jüdischer Einrichtungen verstärkt. «Die Bedrohungslage jüdischer Einrichtungen ist schon seit einigen Jahren erhöht. Darum sind auch unsere Schutzmassnahmen entsprechend auf einem hohen Niveau», sagt Jonathan Kreutner. Er ist Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG).

Höhere Gefährdungslage in der Schweiz

Die Gefährdungslage betreffe nicht nur Zürich. «Das betrifft alle jüdischen Einrichtungen in der Schweiz, egal in welchem Kanton», sagt Kreutner. «Je nach spezifischer lokaler Lagebeurteilung fallen die Massnahmepakete unterschiedlich aus.»

In allen Kantonen pflege der SIG einen intensiven Austausch mit den Sicherheitsbehörden: «Diese erhöhen nach Ereignissen wie in Wien routinemässig ihre Aufmerksamkeit.»

Rat der Religionen gedenkt der Opfer

Der Schweizerische Rat der Religionen hat das Attentat verurteilt. «Es war ein Akt des Terrors aus Hass auf europäische Grundwerte, auf die Demokratie und friedliches Zusammenleben der Kulturen und Religionen», heisst es in einer Mitteilung des interreligiösen Gremiums.

«Sich beim Töten auf Gott zu berufen, ist die übelste Form des Missbrauchs der Religion. Fundamentalistische Gewalttäter haben das Ziel, unsere friedliche Zivilgesellschaft zu spalten und sie völlig zu verunsichern. Aber es wird ihnen nicht gelingen», teilt der Rat mit.

Entsetzen bei österreichischen Katholiken

Entsetzt zeigten sich österreichische Katholiken in der Schweiz. «Wien war lange verschont von derartigen Angriffen. Nun ist es auch in meiner Heimatstadt geschehen», sagt die Theologin und «Wort zum Sonntag»-Sprecherin Veronika Jehle. «Ich bin beunruhigt, betroffen und schockiert.»

Die Wienerin war früher Ministrantin am Stephansdom und ist in der Nähe der Tatorte aufgewachsen. «Ich kenne da jede Ecke. Ich erinnere mich, dass ich als Kind eine Faszination für die Ruprechtskirche empfand, obwohl wir dort nicht zum Gottesdienst gingen. Eine alte, kleine romanische Kirche, von Efeu umwachsen die älteste Kirche von Wien! Mich schockiert die Tat zutiefst.»

Jehle: Islam ist nicht Islamismus

Jehles Anteilnahme gelte den Opfern und ihren Familien. Aber sie wendet sich auch an die Muslime. «Ihnen gilt meine Solidarität, weil sie nun mit Terroristen in einen Topf geworfen werden. Dabei sind IS-Terroristen nicht mit Muslimen gleichzusetzen.»

Betroffen zeigt sich auch Martin Zimper. Der Professor für «Audiovisual Media» an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) stammt aus Österreich und war früher für die Erzdiözese Wien tätig.

Der Anschlag hat ihn gestern Abend nicht losgelassen. «Über Facebook habe ich Einiges mitbekommen. Zum Beispiel, dass Domorganist Konstantin Reymaier sich mit anderen in einem Innenstadt-Kaffeehaus verbarrikadieren musste.»

Zimper: Täter war polizeibekannt

Auch Zimper kennt die Tatorte: «Sie gehören zu den schönsten Plätzen Wiens.» Schockierend findet der Professor, «dass der erschossene Täter bereits einmal zu 22 Monaten Haft wegen IS-Aktivitäten verurteilt wurde. Man hat ihn wegen guter Führung vorzeitig entlassen und danach offenbar nicht mehr observiert.»

Zimper hofft nun auf einen konstruktiven Dialog mit Muslimen. «Wichtig wäre eine Gedenkfeier, an der auch Muslime teilnehmen und eine Rolle übernehmen. Der Ton und auch die konkrete Politik gegenüber spaltenden Hetzern wie dem türkischen Präsidenten Erdogan muss dagegen härter werden», fordert Zimper.

Beleidigungen von Muslimen seien aber keine Grundlage für einen Dialog: «Das wird in einer allzu freien Gesellschaft gerne vergessen.»


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