Allerheiligen ist für Abt Peter von Sury kein Feiertag, der die menschliche Endlichkeit schmerzhaft bewusst macht. Vielmehr zeige es, «dass wir nicht allein sind, über den Tod hinaus». Ein Schreiben aus dem Kloster Mariastein.
«Leben wie ein Baum,
einzeln und frei,
doch brüderlich wie ein Wald,
das ist unsere Sehnsucht.»
Diese Worte stammen vom türkischen Dichter Nazım Hikmet (1902–1963). Sie sagen Wichtiges über uns Menschen und über das lichtvolle Geheimnis, das dem 1. November seinen unverwechselbaren Glanz verleiht: Es ist das Fest Allerheiligen!
Sechs Monate nach dem «Osterbrief», auf den Ende Mai ein «Pfingstbrief» folgte, wenden wir uns nun zum dritten Mal mit einem Schreiben an Sie. Die zahlreichen Reaktionen zeigten, dass die Briefe geschätzt wurden als Zeichen der Verbundenheit in einer schwierigen, belastenden Zeit. Damals meinten wir, dass es mit der Corona-Krise in absehbarer Zeit zu Ende gehen würde. Heute müssen wir ziemlich genervt und mit einem resignierten Seufzer zur Kenntnis nehmen, dass es leider nicht so ist.
Irgendwie haben wir uns inzwischen mit dem Unvermeidlichen arrangiert und uns mehr schlecht als recht eine neue Normalität zurechtgelegt, wohl wissend, dass unzählige Menschen in vielen Weltgegenden nachhaltig und existentiell bedroht bleiben und am Abgrund stehen.
«Alle gegen alle: Ist das die traurige Realität unserer Zeit?»
Ernüchtert und etwas traurig stellen wir fest, dass das gemeinsame Problembewusstsein nicht gestärkt, sondern eher geschwächt wurde, dass sich die anfängliche Solidarität in gegenseitige Abgrenzung, ja Unversöhnlichkeit verdreht hat, die Bereitschaft aufeinander zu hören und gemeinsam nach Lösungen zu suchen abnimmt.
Ratlosigkeit greift um sich, Hoffnung ist wenig zu spüren. Ist sich wirklich jeder selbst der Nächste? Alle gegen alle: Ist das die traurige Realität unserer Welt, unserer Zeit?
Das Fest Allerheiligen spricht eine andere Sprache. Es entwirft eine kühne Alternative, es sprüht vor Lebensfreude und Glaubensoptimismus. Es verscheucht die Müdigkeit, verströmt Zuversicht, ruft Sehnsucht hervor und weckt Hoffnung, die bereits am Verkümmern war: Gemeinschaft unter uns Menschen ist möglich und gottgewollt, Geschwisterlichkeit ist keine Illusion, kein frommer Wunsch, sondern eine Perspektive für die Zukunft der Welt.
«‘Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen’, beten wir im Credo.»
«Fratelli tutti» titelte Papst Franziskus sein Rundschreiben vom 4. Oktober. Ja, wir sind fähig zum Austausch, zur gegenseitigen Unterstützung, zur freundschaftlichen Begegnung, zur Förderung der Talente, die in jedem von uns schlummern und zur Entfaltung kommen wollen. Wir sind da, um mitzuwirken am Wohle aller und der ganzen Schöpfung.
«Du sollst ein Segen sein», das war Gottes Verheissung an Abraham, die auch uns gilt. Wir sind berufen, Abbild Gottes zu sein, Spiegelbild der göttlichen Harmonie von Vater und Sohn im Heiligen Geist. «Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen», beten wir im Credo.
Sie haben gekämpft und wollten leben, haben gestritten und gelitten, geglaubt und gezweifelt, sind gefallen und aufgestanden, waren wie Feuer und Glut, haben geliebt und geweint und gelacht, gedient und geopfert, eingesteckt und ausgeteilt, sie haben gehofft bis ans Ende und die Sehnsucht bewahrt. Sie gehören zu uns, wir gehören zu ihnen. Sie erwarten uns!
Allerheiligen ist ein wunderbarer Tag, der uns Mut macht, himmelwärts zu schauen, unserer Zukunft entgegen und uns darüber zu freuen, dass wir nicht allein sind, über den Tod hinaus. Ihre Botschaft an uns: Es wird alles gut! Der Gott der Hoffnung segne und stärke Sie!
Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant
https://www.kath.ch/newsd/allerheiligen-ermutigt-himmelwaerts-zu-schauen/