Die Heiligen von nebenan

Für die katholische Kirche steht das Fest von Allerheiligen vor der Tür, Katholikinnen und Katholiken gedenken am kommenden Sonntag der Verstorbenen. In diesem Jahr ist vieles anders oder gar nicht möglich, insbesondere ist die Beschränkung auf 50 Personen bei diesem Fest, zu dem insbesondere auf dem Land oft die Familien zusammenkommen, eine echte Herausforderung. Bischof Markus Büchel wendet sich deshalb in einem Beitrag an die Gläubigen:

Düstere Wolken sind in diesem Jahr über Allerheiligen und damit meine ich nicht die Wetterprognosen. Während ich diese Zeilen schreibe mit Blick auf das Allerheiligenfest, beschäftigt und bedrückt uns die Coronasituation in unserer nächsten Umgebung. Die Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft ringen um Wege mit einem schwierigen Balanceakt, die Menschen zu schützen und gleichzeitig den Schaden für das gesellschaftliche Miteinander und für die Wirtschaft in Grenzen zu halten. Am Mittwoch hat der Bundesrat neue Vorschriften erlassen, all die unterschiedlichen Erwartungen konnten unsere Bundespräsidentin und die Bundesräte verständlicherweise nicht erfüllen. Wir alle müssen durchkreuzte Pläne in Kauf nehmen und die Ungewissheit macht vielen Angst. Traditionelle Begegnungen, die in Familien und Pfarreien zur langen Allerheiligentradition gehören, finden nicht statt, Gottesdienste, Gräberbesuch und trostreiche Gespräche werden nur eingeschränkt möglich sein. Kurz: die Trauer wird noch trostloser und die Einsamkeit noch beengender. Düstere Aussichten? Nein, nicht nur!

In ähnlicher Stimmung habe ich im Frühling geschrieben «Ostern findet trotzdem statt». Wir haben Wege gefunden, trotz Pandemie das Fest zu feiern. Dasselbe gilt auch für die jetzige Herausforderung, denn «Allerheiligen» findet trotzdem statt. Ja noch mehr: In dieser belasteten Zeit können sich uns sogar vertiefte Wege zum Feiertag erschliessen.

Allerheiligen lebt aus dem Osterglauben, aus dem Glauben an ein Leben nach dem Tod. Da verschmilzt Irdisches und Himmlisches, Zeitliches und Ewiges, Sterben und Auferstehen. Wir schmücken die Gräber mit frischen Blumen und Kerzen und setzen Zeichen, dass die Verstorbenen in unseren Gedanken und Herzen weiterleben und dass wir sie im Gebet der bergenden Liebe Gottes empfehlen. Diese starken Zeichen trösten und bewegen uns im Innersten. Wir bleiben mit den Verstorbenen verbunden – dankbar für alles Gute und – hoffentlich – auch grosszügig im Verzeihen, wenn schwierige Lebenssituationen Beziehungen belastet haben.

Wenn Coronawolken unseren Alltag verdunkeln, kann ein besinnlicher Feiertag uns zum Leuchtturm werden. Wir ehren in Heiligen Menschen, in denen das Licht Gottes in besonderer Weise zum Leuchten kam. Die Kirche stellt sie uns als Wegweiser fürs Leben hin. Ihre Gedenktage feiern wir verteilt auf das ganze Jahr.

Am Fest «Aller Heiligen» gedenken wir darüber hinaus aller «Namenlosen» Heiligen. In unserer Tradition verschmilzt dieses Fest am 1. November mit dem Totengedenken an Allerseelen (2. November), weil wir darauf vertrauen wir, dass wir im irdischen Dasein und auch im Tod auf dem Weg zu dieser grossen Gemeinschaft im Himmel sind.

In einem Buch mit dem Titel «Freut Euch und jubelt» (Gaudete et exultate) über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute beschreibt Papst Franziskus die «Heiligen von nebenan». Wer sind diese «Heiligen von nebenan»? Menschen, die in unserer Nähe wohnen: Eltern, die ihre Kinder mit viel Liebe erziehen; Männer und Frauen, die arbeiten, um das tägliche Brot nach Hause zu bringen; Kranke und Betagte, die trotz Leiden und Einsamkeit das Lächeln nicht verlieren. Menschen, die anderen helfen, gerade jetzt in der Corona-Zeit. In diesen Tagen sind es ganz besonders jene, die in Spitälern und Intensivstationen fast Unmenschliches leisten im Dienst an Kranken; es sind jene, die sich in öffentlichen Ämtern mit hoher Verantwortung um das Wohl der Menschen sorgen; jene, die ihre Existenzsorgen und Zukunftsängste teilen und den Notleidenden helfen. «Heilige von nebenan» helfen, dass die Hoffnung und Lebensfreude auch in dieser schwierigen Zeit nicht stirbt. Zur Heiligkeit sind wir berufen, «Heilige von nebenan» können wir jetzt schon sein. Gerade jetzt!

Ich wünsche Ihnen alles Gute, Zuversicht und Gottes reichen Segen. Bleiben Sie gesund!

Markus Büchel, Bischof von St.Gallen

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