Der letzte Entscheid muss beim Menschen liegen

Technik ist nicht neutral, sagt der Theologe Oliver Dürr*. Er erforscht den Transhumanismus und warnt davor, menschliche Kompetenzen an die Maschinen und Computer zu delegieren.

Georges Scherrer

Wie definieren Sie in wenigen Worten den Begriff Transhumanismus?

Oliver Dürr: Leider gibt es keine wirklich verbindliche Definition des Begriffs Transhumanismus. Das entspricht auch der vielgestaltigen Wirklichkeit, die dahinter steht. Die Agenda des Transhumanismus verbindet ganz unterschiedliche Einzelpersonen aus aller Welt, Vereinigungen und Institutionen in den Geisteswissenschaften, Technik, Medizin, der Kunstwelt und so weiter.

«Dahinter steht das Anliegen einer grenzenlosen Freiheit.»

Ganz knapp geht es ihnen allen darum, mithilfe von wissenschaftlich-technischen Mitteln das menschliche Leben zu verlängern und die Lebensqualität zu verbessern. Dahinter steht das Anliegen einer grenzenlosen Freiheit des individuellen Menschen in der Gestaltung seines Lebens und der Welt insgesamt. Im Wege stehen dem natürlich Krankheit, Altern und letztlich der Tod.

Deswegen wollen Transhumanisten und Transhumanistinnen diese mit allen Mitteln bekämpfen, bis der Mensch unsterblich wird.

Ist die Künstliche Intelligenz der aktuell realste Weg zu transhumanistischen Zielen?

Dürr: Das ist sogar innerhalb des Transhumanismus umstritten. Es gibt jene, die wirklich davon überzeugt sind, man könne den menschlichen Geist mit Computertechnologien verschmelzen und dadurch sein Überleben in der technologischen Zukunft sichern. Dagegen gibt es aber auch Transhumanisten, die den Menschen als biologischen Organismus optimieren wollen und skeptisch sind, ob menschliches Leben auf einem anorganischen Substrat überhaupt «funktioniert».

«Die Identifikation von Mensch und Maschine beruht auf Missverständnissen».

Letztlich hängt es davon ab, wieviel man der Künstlichen Intelligenz zutraut – oder wie wenig man vom Menschen hält. Nur wenn man unseren Geist auf das reduziert, was Computeralgorithmen tun, das heisst eine prinzipiell nachvollziehbare Sequenz diskreter Rechenoperationen, kann man glauben, dass die Zukunft des Menschen im Cyberspace liege. Letztlich beruht diese Identifikation von Mensch und Maschine auf einer Serie von Missverständnissen und Kategorienfehlern.

An der Künstlichen Intelligenz wird aber kräftig gearbeitet.

Dürr: Dass die propagierten Ziele des Transhumanismus fraglich sind, bedeutet leider nicht, das diese Technologien nicht dennoch auch dramatische Folgen für das gesellschaftliche Leben der Zukunft haben können.

Ist der Transhumanismus gefährlich?

Dürr: Wenn er gefährlich ist, dann eher indirekt. Weil der Transhumanismus sehr optimistisch auf technologische Neuerungen blickt, läuft er Gefahr – und mit ihm eine breitere Öffentlichkeit – den neuen Algorithmen Entscheidungskompetenzen abzudelegieren, die eigentlich verantwortungsbewusste Menschen innehaben sollten. Das geschieht heute in der Medizin, Politik und im Rechtssystem.

«Man traut der Künstlichen Intelligenz mehr zu als dem Menschen.»

Besonders in unserer verwirrenden Gegenwart ist das ein Problem. Man traut einer Künstlichen Intelligenz mehr zu als einem Menschen und übersieht dabei, dass Algorithmen nicht neutral operieren, sondern im Sinne derjenigen, die sie programmieren.

* Oliver Dürr ist Diplomassistent am Lehrstuhl Dogmatik und Theologie der Ökumene der Universität Freiburg.

Lesen Sie in den nächsten Tagen: Transhumanismus – Der Griff nach der Allmacht

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