«Beim Fasten wird man durchlässiger und dankbarer»

Am Mittwoch beginnt die Fastenzeit, die 40-tägige Vorbereitungszeit auf Ostern. Für viele ein Anlass, auf bestimmte Dinge zu verzichten. Im Interview erzählt der Jesuit Niklaus Brantschen* von seiner 50-jährigen Erfahrung mit dem Fasten.

Ines Schaberger

Was raten Sie einer Person, die fasten möchte?

Niklaus Brantschen: Pack es an! Überlege nicht zu lange. Es gibt die Schwellenangst, wo man Angst hat, einen Schritt zu tun – doch wenn man geht, merkt man, da war gar keine Schwelle. Wenn ich den Schritt wage, vielleicht auch motiviert durch eine Gruppe, merke ich: Das geht gut. Sehr gut.

Sie fasten seit 50 Jahren. Was macht das Fasten mit Ihnen?

Brantschen: Die zentrale Erfahrung ist die Durchlässigkeit, die Leichtigkeit. Man verliert nicht nur physisch an Gewicht, sondern auch mental an Schwerfälligkeit. Man wird luftiger, durchlässiger – und dankbarer! Man merkt, dass wir eine verdankte Existenz haben! Würden wir weiterfasten, hätte es bald ein Ende mit uns. Alles, was wir zum Leben brauchen, nehmen wir von aussen auf, es wird uns geschenkt. Wir leben von Luft, Wasser, von der Mutter Erde – und da spürt man plötzlich eine ganz tiefe Dankbarkeit für die Gaben der Natur, der Schöpfung. Dankbarkeit ist das Nachhaltigste, was ich beim Fasten gelernt habe.

Woher kommt das Wort «fasten»?

Brantschen: Fasten kommt von «festmachen». In der englischen Sprache ist das noch erhalten, wenn es heisst: «Fasten your seatbelts», die Sitzgürtel beim Starten und Landen festmachen. Fasten kommt wie «Fest» vom Wort «festlegen». Man hat bestimmte Zeiten im Kirchenjahr für das Fasten und Festen festgelegt: Weihnachten, Ostern, Pfingsten und die Fastenzeit.

Ist Fasten mehr als «auf Schokolade zu verzichten»?

Brantschen: Das ist eine Frage der Definition. In der Tradition meinte Fasten, auf Essen zu verzichten – substanziell, nicht nur auf Süssigkeiten oder Schokolade. Das ist ein schöner Brauch, dass man in der Fastenzeit auf etwas verzichtet – aber das sollte man dann nicht Fasten nennen, sondern ganz einfach Verzicht.

 Was ist Fasten denn noch mehr?

Brantschen: Mit dem alten Augustinus kann man sagen: Das Fasten hat wie ein Vogel zwei Flügel: das Gebet und die tätige Nächstenliebe. Wenn ein Flügel lahm ist, wenn die Spiritualität beim Fasten nicht praktiziert wird oder die Offenheit zu den anderen Menschen nicht gelebt wird, dann ist der Vogel – das Fasten – lahm und kommt nicht vom Fleck. Die gesundheitliche, die spirituelle und die sozial-politische Dimension gehören zusammen.

Viele Religionen kennen eine Zeit des Fastens. Ist das ein Grundbedürfnis des Menschen?

Brantschen: Was war zuerst, das Ei oder das Huhn, das Fasten oder die Religion? Was das Huhn betrifft, weiss ich keine Antwort. Beim Fasten denke ich, dass die Entstehung von Religion und Fasten gleich ursprünglich sind. Im Winter, bei knapper Nahrung, haben die Menschen weniger gegessen – und gemerkt, dass das eine den Geist aufhellende Wirkung hat. Da kamen ihnen neue Ideen und ein Gespür für das Numinose. So hat Fasten die Entstehung der Religion mitbegünstigt.  Die Religion ihrerseits hat das Fasten geregelt, damit es nicht ausufert. So waren Fasten und Religion immer miteinander gekoppelt und sind in allen grossen Religionen beheimatet.

Sie sind Jesuit und Zen-Meister. Kann man Zen mit Fasten verbinden?

Brantschen: Das Fasten hat einen eigenen Charakter, man wird durchlässig, locker. Zen ist konzentriert, man braucht Kraft, um sich auszurichten und zu zentrieren. Da sollte man weniger essen, aber nicht fasten. Im strengen Sinn kann man Zen als Praxis nicht mit Fasten verbinden.

*Niklaus Brantschen ist Jesuit und autorisierter Zen-Meister. Er lebt und wirkt im Lassalle-Haus Bad Schönbrunn und ist Autor von zahlreichen Büchern.

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