Missbrauch: Was der Gipfel bisher gebracht hat

Ein Jahr nach dem Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan ist einiges geschehen, manches aber nicht. Immerhin: Ein Netzwerk des Kinderschutzzentrums der päpstlichen Universität Gregoriana verbindet weltweit 70 Institutionen.

Roland Juchem

Bei etlichen Kommentatoren war am Ende die Enttäuschung deutlich spürbar. Statt sofortiger klarer Regeln sprach Papst Franziskus in seiner Schlussrede vom Teufel – davon, dass Missbrauch überall vorkomme, auch wenn dies in der Kirche besonders schlimm sei. Immerhin könne jetzt niemand mehr sagen, das Thema gehe ihn nichts an, hiess es.

Und so hat der Gipfel im Februar 2019 doch mancherorts die von Franziskus beabsichtigte Initialzündung geliefert. Schwester Jacinta Ondeng aus Nairobi wurde auf das Kinderschutzzentrum CCP an der Päpstlichen Universität Gregoriana aufmerksam. «Das brauche ich», dachte sich die Psychotherapeutin und Dozentin, die in Kenia mit Ordensleuten und Seminaristen arbeitet. Durch den Missbrauchsskandal änderten Kenias Bischöfe ihre Haltung zum Sexualkundeunterricht, entwickelten Präventionsmassnahmen und Fortbildungsprogramme in Gemeinden und Bistümern. «Wir sind dabei, eine neue Kirche zu machen», so die Ordensfrau.

Neuer, wesentlicher Anstoss

«Verglichen mit anderen Ländern wird in Italien noch viel unter den Teppich gekehrt», räumt Schwester Grazia Vittigni ein. Die Gesellschaft sei bei dem Thema weiter als die Kirche, so die Psychotherapeutin, die im Bistum Albano bei Rom die Präventionsarbeit koordiniert.

«Strukturen allein genügen nicht; es braucht Ausbildung, Bewusstsein und persönliches Engagement.»

Schwester Grazia

In Italien sei der Krisengipfel ein neuer, wesentlicher Anstoss gewesen: Die Bischofskonferenz überarbeitete Richtlinien, schuf ein nationales Büro, und jedes Bistum benannte einen Ansprechpartner. Doch Schwester Grazia warnt: «Strukturen allein genügen nicht; es braucht Ausbildung, Bewusstsein und persönliches Engagement.»

Beide Frauen gehören zu den inzwischen gut 100 Teilnehmern aus 46 Ländern, die am CCP einen Studiengang «Safeguarding» absolviert haben. Das Zentrum hat zudem ein Netzwerk mit weltweit rund 70 Partnerinstitutionen gesponnen. Massgeblich vorangetrieben hat es der Theologe und Psychologe Hans Zollner. Er gehörte zu den Organisatoren des vom Papst angeordneten Treffens der Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen und Ordensvereinigungen.

Bislang nicht erschienene Handreichung

Am Ende des Anti-Missbrauchsgipfels wurden weitere Massnahmen bekanntgegeben. Dazu gehörten ein Papsterlass «zum Schutz von Minderjährigen und schutzbefohlenen Personen» für den Vatikanstaat. Dann eine bislang noch nicht erschienene Handreichung «Vademecum», wie Bischöfe bei Verdachtsfällen vorgehen sollen. Von einer «Task Force», die in weniger gut ausgestatteten Ortskirchen Hilfseinsätze gegen Missbrauch und Vertuschung leisten soll, ist nicht mehr die Rede. Nicht vorgelegt wurde bislang eine Statistik über Verfahren der zuständigen vatikanischen Glaubenskongregation.

Das bislang gewichtigste Einzelergebnis ist sicher der Papsterlass «Vos estis lux mundi» vom 9. Mai. Darin regelt Franziskus weltweit, wie Verantwortliche bei Verdachtsfällen verfahren sollen. Vor allem regelt er Verantwortung und Rechenschaftspflicht von Bischöfen. Im Dezember kippte Franziskus die besondere Vertraulichkeitsstufe des Päpstlichen Geheimnisses bei Vorgängen rund um Missbrauch. Die Kooperation mit staatlichen Behörden kann damit nicht mehr verweigert werden. Auch setzte der Vatikan die Altersgrenze für kinderpornografische Darstellungen von 14 auf 18 Jahre herauf.

Zuerst Hausaufgaben machen

Der Jesuit Federico Lombardi, Moderator des Krisengipfels, erklärte unlängst, auch in anderen Bereichen gebe es noch viel Arbeit, um besser gegen Missbrauch vorzugehen. Gleichwohl sind Kirchenvertreter sehr zurückhaltend, Massnahmen etwa in Sport, Schule oder Jugendarbeit anzumahnen. Dazu habe die Kirche selbst noch «zu viel Dreck am Stecken» und «eigene Hausaufgaben zu machen».

Spürbar ist das auch im Heimatland des Papstes. Auch wenn die Lage für die Kirche in Argentinien nicht so schlimm scheine wie in Chile, habe sie sich doch dramatisch verschlechtert, berichtet der Priester Juan Pablo Dreidemie. Mitunter schlage Kirchenvertretern blanker Hass entgegen. Jedoch wachse überall im Land das Bewusstsein für sexuelle Gewalt gegen Frauen und Minderjährige.

«Jedes Mal, wenn die Kirche eine Veranstaltung zum Thema hält, ist diese voll – anders als bei anderen Angeboten. Auch Vertreter anderer Institutionen kommen zu unseren Schulungen», berichtet Dreidemie. Oder wie Hans Zollner, als Referent für «Safeguarding» international unterwegs, immer wieder von seinen Reisen twittert: «Das Netz breitet sich aus.» (kna)

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