Visionen für eine Kirche der Zukunft?

«Man darf nicht auf Reformen von oben warten», sagt Daniel Bogner* in seinem Gastkommentar zum Papstschreiben «Querida Amazonia». Dieses mache deutlich, dass die katholische Kirche um eine Revision der theologischen Grundlagen zur absolutistischen Verfassungsform nicht herumkomme.

Das Papstschreiben macht unfreiwillig sichtbar, welche Baustellen die Kirche dringend angehen muss. Immerhin: Der Text des Papstes ist ein ehrlicher Text. Er zeigt, wo Papst Franziskus steht, was man von ihm erwarten darf und was nicht. Und darin hat mich das Schreiben mehr als ernüchtert.

Zunächst sein Anspruch: Der Papst möchte «Visionen» aufzeigen, die kühn sind und mutig. Aber seine Empfehlungen zur Kirche und dem, was sie tun sollte, bleiben blass und mutlos. Viele Menschen in der Kirche Amazoniens werden enttäuscht sein, weil ihnen keinerlei neue Wege eröffnet werden, die ihnen in ihrer pastoralen Mangelsituation helfen.

«Der Papst ruft das hoch umstrittene Amtsverständnis in Erinnerung»

Der Papst ruft stattdessen das traditionelle, hoch umstrittene Amtsverständnis in Erinnerung, wonach nur Männer in der Lage sind, Christus zu repräsentieren. Den Frauen wird in paternalistischer Weise gesagt: Ihr braucht das geweihte Amt nicht anzustreben, eure Macht liegt anderswo – in hingebungsvollem Dienst und leidenschaftlichem Glauben.

«Aus dem Mund von Papst Franziskus klingt es härter.»

Ja, das mussten Frauen immer schon hören, aber aus dem Mund von Papst Franziskus klingt es noch ein bisschen härter. Er setzt noch einen drauf: Sich den Fragen um Ämterzugang und Kirchenverständnis zu widmen, sei reiner «Funktionalismus», der in einer zu kurz greifenden «Dialektik» hängen bleibe und die wahre Berufung von Mann und Frau verkenne.

Man fragt sich: Hat der Papst wirklich kein Bewusstsein davon, wie sehr das Modell der hierarchisch gegliederten Kirche mit ihrem Bauprinzip der Geschlechterdiskriminierung viele gläubige Menschen heute empört? Weil es in ihrer Wahrnehmung den tiefsten Impulsen der biblischen Botschaft widerspricht, die doch von der gleichen Würde aller handelt und Gottes Befreiungshandeln am Menschen als Ruf zu einer Existenz in Freiheit deutet.

Wie gehen wir weiter? Was bedeutet dieses Dokument für die Kirche und alle, die sich heute um deren Erneuerung bemühen? Drei Punkte erscheinen zentral.

«Man darf nicht auf die Revolution von oben warten.»

1. Allen an Reformen Interessierten wird mit dem Schreiben des Papstes klar: Man darf nicht auf die «Revolution von oben» warten. Es ist für die Erneuerung grosser Institutionen zwar hilfreich, wenn das Drängen von der Basis an oberer Stelle aufgegriffen und von klugen Amtsinhabern unterstützt wird. In der Kirche kann man sich auf solche Allianzen aber nicht verlassen. Wer wirklich etwas verändern möchte, muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, als Gemeinde, als Gruppe und als Einzelner.

«Am Ende entscheidet der Papst ganz alleine.»

2. Das Schreiben des Papstes zeigt überdeutlich, nach welchem Massstab diese Kirche funktioniert: Laien beraten, Geweihte entscheiden – und am Ende entscheidet der Papst ganz alleine. Indem Papst Franziskus weder die anhaltende Diskussion zu Diakoninnen aufgreift, noch das Votum der Amazonassynode für die Weihe verheirateter Männer in seinem Schreiben berücksichtigt, handelt er auch gegen sein eigenes Motto – Entscheidungen zu dezentralisieren und nach den pastoralen Notwendigkeiten vor Ort darüber befinden zu lassen. Da das aber das zentrale Motiv seines bisherigen Pontifikates war, sät er Zweifel, wie ernst es wirklich gemeint ist. Es wird einmal mehr spürbar: Diese Kirche folgt den Prinzipien einer Monarchie, am Schluss hat einer alleine das Sagen, Beratungen bleiben unverbindlich, aller «Synodalität» zum Trotz.

3. Man kann nur hoffen, dass sich diejenigen nicht entmutigen lassen, die für eine Fortentwicklung dieser Kirche kämpfen. Die Stellungnahme des Papstes macht deutlich: Man kommt um eine Revision der theologischen Grundlagen zur absolutistischen Verfassungsform der Kirche, ihrem hierarchischen Ämter- und Herrschaftsmodell und dem ungleichen Personenstandsregime nicht länger herum. Gerade für die reformorientierten Bischöfe gilt das: Sie sollten sehen, dass es echte Erneuerung nicht geben wird, ohne diese Grundfragen endlich offen zum Thema zu machen.

*Daniel Bogner ist Professor für Moraltheologie an der Universität Freiburg.

Hinweis: Kommentar von Bernd Nilles zum ökologischen Aspekt von «Querida Amazonia».

Hinweis: Braucht die Kirche eine Verfassung? Streitgespräch zwischen Daniel Bogner, Professor für Moraltheologie und Ethik, und Yves Mausen, Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht. 27. April, 19.15 Uhr, Universität Freiburg.


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