«Ich hoffe, dass es möglich bleibt, Neues anzupacken»

Josef Haselbach (*1951) leitet seit sechseinhalb Monaten die Schweizer Kapuziner. Im Interview sagt er, vor welchen Herausforderungen der Kapuzinerorden im Jahr 2020 steht, was ihm als Neuling im Amt des Provinzials widerfuhr und wohin er die Schweizer Kapuziner führen will.

Barbara Ludwig

Vor welchen Herausforderungen steht der Kapuzinerorden weltweit im Jahr 2020 und darüber hinaus?

Josef Haselbach: Da ich als Provinzial noch nicht lange im Amt bin, habe ich erst wenig Einblick in die globalen Verhältnisse des Ordens nehmen können. Mir ist jedoch bekannt, dass sich die Situation je nach geografischer Lage unterschiedlich präsentiert. Die europäischen Provinzen des Ordens, etwa im deutsch- oder im italienischsprachigen Raum, waren einst bestimmend, auch in wirtschaftlicher Hinsicht.

«Der Schwerpunkt hat sich weg von Europa verlagert.»

Unterdessen hat sich der Schwerpunkt verlagert – weg von Europa. In aussereuropäischen Ländern und Regionen stehen Entwicklungen an, wie wir sie hier nicht mehr kennen. All dies zuzulassen und doch auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, ist wohl eine grosse Kunst.

Welche Entwicklungen sprechen Sie an?

Haselbach: Ich denke an Indien und Afrika. Dort gibt es recht viel Nachwuchs. Die Mitgliederzahlen nehmen zu. Auch bei uns war der Eintritt in einen Orden früher mit einem sozialen Aufstieg verbunden. Junge Menschen bekamen die Möglichkeit, etwas zu lernen und zu machen, das ihnen sonst verwehrt gewesen wäre. In vielen Ländern Asiens und Afrikas ist das heute noch der Fall.

«Das kann zu ziemlichen Spannungen innerhalb des Ordens führen.»

In unseren Missionen in Afrika, zum Beispiel in Tansania, hat ein Priester eine ganz andere Bedeutung als hierzulande. Priester zu werden ist dort höchst erstrebenswert, weil man damit auch eine gewisse Position erlangt. In Europa ist das unterdessen ganz anders. Das kann zu ziemlichen Spannungen innerhalb des Ordens führen.

Warum?

Haselbach: Weil unterschiedliche Vorstellungen existieren von dem, was der Orden sein soll. Ähnlich wie es auch unterschiedliche Kirchenbilder gibt.

Welche besonderen Herausforderungen kommen im Jahr 2020 auf die Schweizer Kapuziner zu?

Haselbach: Wir müssen stärker mit anderen zusammenarbeiten, über die Grenzen unseres Ordens hinaus. Diese Einsicht ist einerseits der Not geschuldet. Eine intensivere Zusammenarbeit mit anderen franziskanischen Gemeinschaften entspräche andererseits unserer Spiritualität. Ich denke dabei an die braunen und schwarzen Franziskaner und an engagierte Menschen, die im franziskanischen Geist leben wollen. Aber auch an Schwestern, seien es Kapuzinerinnen oder Angehörige franziskanischer Gemeinschaften.

In welchen Bereichen sollte die Kooperation verstärkt werden?

Haselbach: Zum Beispiel im Medienbereich. Oder beim Projekt «Kloster zum Mitleben», das in Rapperswil seit langem existiert. Es soll so gestaltet werden, dass es auch mit weniger Ordensmitgliedern eine Zukunft haben kann. Denn es gibt eine Nachfrage nach einem solchen Ort des Rückzugs, der Stille und des Austauschs. Es gibt bereits Ordensfrauen, die das Projekt mittragen. Wahrscheinlich muss man es aber noch auf eine ganz andere Basis stellen.

«Wir können die Leitungsfunktionen kaum mehr besetzen.»

Seit rund einem halben Jahr sind Sie Provinzial der Schweizer Kapuziner. Welches sind Ihre ersten Erfahrungen im neuen Amt?

Haselbach: (schmunzelt) Es kam sehr vieles gleichzeitig auf mich zu. Die einschneidendste Erfahrung war, dass mir blitzartig bewusst wurde, vor welchen Baustellen wir überall stehen. Vor meinem Amtsantritt war ich als Spitalseelsorger und Guardian einer Niederlassung tätig. Da lief der Alltag recht gut. Jetzt, wo ich Provinzial bin, stelle ich fest: Es gibt wirklich drängende Probleme, die wir aktiv anpacken müssen, bevor sie uns einholen.

Zum Beispiel?

Haselbach: Wir können die Leitungsfunktionen kaum mehr besetzen. Denn wir haben nur mehr wenige junge Mitglieder, die eine leitende Funktion übernehmen können und wollen. Gleichzeitig haben wir noch eine rechte Anzahl von Klöstern, während es immer weniger Kapuziner werden. Wir müssen uns fragen: Wo positionieren wir uns? Wo setzen wir Schwerpunkte? Da muss man sehr wach sein.

Sie sind für drei Jahre gewählt. Wohin möchten Sie die Schweizer Kapuziner in dieser Zeit führen?

Haselbach: (schmunzelt) Ich glaube, wir werden geführt. Einfach dadurch, dass unser Spielraum schrumpft. Einst träumte ich von verschiedenen Projekten. Heute wünsche ich mir, dass es noch immer möglich ist, Neues anzupacken. Ich möchte nicht, dass wir nach und nach gezwungen sind, dieses und jenes aufzugeben, weil es einfach nicht mehr geht. Vielmehr sollten wir gewisse Dinge aktiv zurückfahren und vorausschauend loslassen. Auf diese Weise könnte ein Spielraum für Neues, Aktuelles entstehen.

Haben Sie Ideen, wie Sie den kleiner werdenden Spielraum nutzen möchten?

Haselbach: In unseren Klöstern in Luzern und Rapperswil laden wir Menschen ein, zu uns zu kommen. Ich persönlich fände es wichtig, dass wir Kapuziner auch zu den Menschen gehen – uns zum Beispiel im sozialen Bereich engagieren.

«Man merkt, dass die ‹Oase W› am Reissbrett entstanden ist.»

Das Kloster Wesemlin, wo Sie seit Juni wohnen, will mit dem vor einigen Jahren gestarteten Projekt «Oase W» klosternahes Wohnen ermöglichen und neue spirituelle Wege gehen. Welchen Eindruck haben Sie von dem Projekt bekommen, das Sie nun näher kennenlernen konnten?

Haselbach: Die einzelnen Bereiche entwickeln sich gut: Es sind Menschen in die Studios eingezogen. Sie engagieren sich in der Suppenstube oder an der Klosterpforte. Bruder Paul hat den Garten geöffnet. Er ist Baumschulist und Religionspädagoge. Bei ihm können Flüchtlinge Erfahrungen im Gärtnern sammeln. Einen Teil des Gartens dürfen Familien zusammen bewirtschaften. Zudem gibt es einen Heilkräutergarten. Das ist schön. Bruder Beat, Leiter des spirituellen Zentrums, hat schon viele Angebote realisiert, Kurse und Abendveranstaltungen. Er ist begabt, hat auch eine künstlerische Ader.

Man merkt aber, dass die «Oase W» als Projekt am Reissbrett entstanden ist. Das Ganze sollte noch mehr zusammenwachsen. Ich selber setze sehr stark auf das klosternahe Wohnen. Das birgt noch sehr viele Möglichkeiten, die es auszuloten gilt.

«Ein guter Vorsatz wäre, früher ins Bett gehen.»

Welche guten Vorsätze haben Sie sich fürs Jahr 2020 gefasst?

Haselbach: Ich kam noch kaum dazu, mir darüber Gedanken zu machen. Die letzte Zeit war sehr stark von Umstrukturierungen geprägt: Dazu gehört der Wechsel der Tessiner Kapuziner zur Provinz Lombardei. Hinzu kommen personelle Veränderungen. Im Gegensatz zu meinem Vorgänger bin ich zusätzlich zu den Aussenbeziehungen auch für die Brüder zuständig. Ein Laienmitarbeiter hat neu die Ökonomie übernommen und ab Januar arbeitet eine Sekretärin fürs Provinzialat. Mein Ziel ist, dass sich die Neuorganisation bis Pfingsten einspielt.

Ein guter Vorsatz wäre, früher ins Bett zu gehen. Dann würde ich gerne ab und zu einen Tag in den Bergen verbringen. Ich musiziere gerne – ich spiele Querflöte – und hoffe, dass das auch 2020 ein bisschen zum Zug kommt.


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