24. Dezember

Ja, ja, mit ihm konnte man das ja machen, dachte Reto. «Am Heilig Abend ein Zelt kaufen, wer macht denn so was?» Reto hatte wohl ein wenig zu laut laut gedacht. Die Leute in der Outdoorabteilung des Einkaufszentrums um ihn herum schauten ihn jedenfalls komisch an. «Schon gut, schon gut», murmelte er und wandte sich an eine der Beraterinnen: «Ein Zelt, ich muss ein Zelt haben», sagte er forsch. «Ist es für alpine Touren, Hiking oder…» – «Das ist egal», unterbrach Reto. «Es muss ein Dach haben und Seitenwände und wir wollen drin stehen können.»

Mit dieser Begegnung hatte er wohl keine Weihnachtspunkte gesammelt, dachte sich Reto, als er mit dem Ganzjahres-Familienzelt aus dem Geschäft ging. Aber er konnte doch auch nichts dafür, dass sie plötzlich so viele waren. Bislang fand Heilig Abend bei ihnen immer ganz ohne Brimborium, in der Stube und nicht im Wald statt! Eigentlich war es mehr ein Familientreffen mit feinem Essen als ein Kirchenfest. Doch die letzten Tage hatten Reto auch sehr beschäftigt.

Monique und Natalia – nun war auch hier der Bann gebrochen – sassen am Küchentisch und schälten Äpfel für einen Apfelstrudel. Frau Kovatsch freute sich sehr auf das Fest. Lange Jahre war sie mit ihrem Mann allein zu Hause gewesen. Vielleicht hatten sie mit Freunden und Verwandten in der Heimat telefoniert. «Aber Weihnacht ist immer schwer für uns, es ist ein trauriger Abend», sagte Natalia. «Dabei ist der Gedanke doch so schön: Gott wird Mensch. Ein kleines Kind und doch ein König!»

Monique war ganz überrascht über die Deutschkenntnisse ihrer Nachbarin. Deren Familie hatte deutsche Wurzeln und die Sprache war ihr eine Herzensangelegenheit. Sie half Landsleuten, wo sie konnte, machte davon aber kein Aufheben. «Ich hab’ eine Idee», sagte Monique mit einem Lächeln, während Natalia den Strudelteig ordentlich auf die Tischplatte schlug. «Heute Abend erzählst du eine tschechische Weihnachtsgeschichte. Auf Tschechisch. Da werden – ausser Jiri natürlich – alle grosse Augen machen. Und dann erzählst du die gleiche Geschichte noch einmal. Auf Deutsch!»

Natalia wurde ganz verlegen. Aber als sie in das strahlende Gesicht von Monique schaute, da wusste sie: Diese Weihnachten würden bestimmt nicht traurig ausgehen. Ja, sie wusste schon genau, welche Geschichte sie draussen im Wald erzählen würde. (ms)

Jan Procházka: «David und der Weihnachtskarpfen», SZ Junge Bibliothek Band 16 (1. Kapitel). Zusammenfassung der Geschichte.

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