«Wir müssen keine Angst haben vor der Zukunft»

Frau Mutter Sr. Maria Nicola Schmucki, aufgewachsen im St.Gallischen Rieden, leitet seit 1978 die Klostergemeinschaft St.Anna. Wir haben die 90-Jährige im Speisesaal des Klosters Gerlisberg getroffen. In klarer und besonnener Sprache erzählte sie von ihrem Lebensweg als Kapuzinerin.

Wieso haben Sie sich dazu entschieden, ins Kloster zu gehen?

Sr. Maria Nicola Schmucki: Mein Eintritt war begleitet von Unsicherheit. Ursprünglich wollte ich ins Kloster Baldegg im Seetal eintreten. Kurz vor meiner Einkleidung aber kam ich in eine tiefe, innere Nacht. Ich wollte im Kloster bleiben, konnte aber nicht. Ich war hin- und hergerissen. Da sagte mir die Frau Mutter: «In einer solchen Unruhe dürfen Sie sich nicht entscheiden.» Deshalb kehrte ich zu meinen Eltern zurück, um die Sache zu überdenken.

Was meinen Sie mit «tiefer, innerer Nacht»?

Das kann ich nicht anders formulieren als genau so. Ich hatte einfach das Gefühl, dass es nicht die richtige Entscheidung war.

Dann gingen Sie aber in ein anderes Kloster – und nach Luzern.

Ja, am 11. November 1955 spürte ich eine neue Berufung. Ich reiste nach Luzern und stellte mich bei der Kapuzinerinnen-Gemeinschaft vor. Auch mein Bruder war Kapuziner, daher war mir der Geist des Franziskus bereits bekannt. Im Gespräch spürte ich bei den beiden Oberinnen sofort ungeheure Freude. Und auch ein Gefühl von Frieden kam mir entgegen. Ich habe in diesen Sachen ein gutes Gespür. Und das sagte mir: Hier bin ich am richtigen Ort.

Wie sind Sie zur Frau Mutter ­geworden?

Ich habe schlicht den Dienst getan, der mir zugewiesen wurde, leistete Hausdienst, arbeitete in der Küche und stellte Hostien her. 1978 sagte mir plötzlich eine Schwester: «Morgen wirst du wahrscheinlich zur Frau Mutter gewählt.» Denn das wird jeweils demokratisch bestimmt.

Was empfanden Sie in diesem Moment?

Ich habe mich sehr über das Vertrauen gefreut, das mir die Schwestern entgegenbrachten. Gleichzeitig spürte ich, dass ich eine grosse Verantwortung übernehmen muss.

Was war und ist Ihre grösste ­Herausforderung?

Den franziskanischen Geist zu erhalten und konsequent nach den Drittordensregeln zu leben.

Was heisst das?

Unser Ordensvater Franziskus sagt im Sonnengesang: «Dienst dem Herrn in grosser Demut.» Unsere franziskanische Lebensantwort: «Ein Leben ganz im Geist des Evangeliums zu führen. Jesus nachzufolgen im Gehorsam, Armut und in keuscher Ehelosigkeit.»

Wie sieht eigentlich der Alltag in einem Kloster aus?

Der ist sehr streng. Wir stehen morgens sehr früh auf, dann folgt die erste Meditation, anschliessend das Stundengebet, das Frühstück, eine kurze Pause, die Eucharistie, die Lesung, das kirchliche Stundengebet am Mittag, dann wieder das Stundengebet am Abend. Schliesslich geht jede Schwester an die Arbeit; im Garten, am Computer oder in der Hostienbäckerei. Den Tag durch halten die Schwestern ihre Anbetungsstunde.

Was hat sich verändert, seit Sie dem Kloster beigetreten sind?

Unheimlich viel. Der Rückgang der Berufungen von Schwestern ist spürbar. Das bedrückt. Und macht nachdenklich. Aber es gibt Hoffnung in der Not.

Welche Hoffnung?

1966 haben wir drei Schwestern nach Tansania in Ostafrika ausgesandt. In Maua, am Fusse des Kilimandscharo, haben sie ein Kloster eröffnet. Die Gemeinschaft ist mittlerweile auf 122 Mitglieder angewachsen. Jetzt erhalten wir von Afrika Nachwuchs und Unterstützung. Auf unsere Anfrage sagten sie: «Ihr seid unsere Mütter, wir verlassen euch nicht.» Heute stammen fünf der zwölf Schwestern, die hier leben, aus Afrika.

In der Schweiz ist das Interesse der Jungen, ins Kloster zu gehen, verschwindend gering.

Wie schön wäre es, wenn auch aus unseren Reihen Menschen kämen, die in unsere Fussstapfen treten wollen! Das kann ich nicht wegdenken. Allerdings: Unsere afrikanischen Schwestern könnten nicht besser sein. Sie sind Goldschätze.

Was würden Sie einer jungen Frau sagen, die mit dem Gedanken spielt, als Schwester zu Ihnen ins Kloster zu kommen?

Ich würde ihr sagen, dass sie ihre Entscheidung gut bedenken soll. Sie sollte sicher nicht sofort eintreten. Denn wir sind sehr wenige hier im Kloster Gerlisberg. Aber auch in einer kleinen Gemeinschaft kann man ein gutes Ordensleben führen. Es wäre ratsam, dass sich andere junge Frauen anschliessen.

Sehen Sie die Zukunft des Klosters also pessimistisch?

Nein. Ich glaube, wir müssen keine Angst haben vor der Zukunft. Wir haben den Zuspruch der Oberin in Tansania, dass sie uns weiterhin Schwestern schicken wird. Ausserdem: Vielleicht gibt es plötzlich wieder einen Sonnenschein. Wir vertrauen auf Gott.

Interview: Simon Mathis

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