Ohne Glaubhaftigkeit kein Asyl

Medienmitteilung
Fachbericht «Glaubhaftigkeit im Asylverfahren» der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA): Ohne Glaubhaftigkeit kein Asyl – so lautet der Grundsatz der Schweizer Behörden bei der Behandlung von Asylgesuchen. Die Analyse der Glaubhaftigkeit ist im Asylverfahren von zentraler Bedeutung. Die Mehrzahl der Asylgesuche lehnt das Staatssekretariat für Migration (SEM) aufgrund der mangelnden Glaubwürdigkeit ab. In ihrem neuen Fachbericht «Glaubhaftigkeit im Asylverfahren» zeigt die SBAA anhand von dokumentierten Fällen die Kriterien und Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Asylgründe und die damit verbundenen Schwierigkeiten auf.
Von den asylsuchenden Personen wird erwartet, dass sie möglichst präzise, detailliert und widerspruchsfrei ihre Asylgründe erzählen, ihre Schilderungen plausibel sind und der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechen. Diese Anforderungen sind jedoch oft zu hoch und die Beurteilung beruht oftmals auf subjektiven Einschätzungen der Befragenden. Der Fachbericht zeigt auf, wie das Kriterium der Glaubhaftigkeit insbesondere verletzliche Personengruppen wie traumatisierte Menschen und Minderjährige benachteiligt. Die Schwierigkeiten der Beurteilung der Glaubhaftigkeit lassen sich an folgendem Beispiel illustrieren.

«Mehret»: Traumatisiert und weggewiesen
«Mehret» wird aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer verbotenen Religionsgemeinschaft verfolgt. Sie wird mehrmals vergewaltigt und ist in Haft, aus der ihr schliesslich die Flucht in die Schweiz gelingt. In der Anhörung zu den Asylgründen kommt es zu Widersprüchen. Darauf angesprochen sagt «Mehret», sie könne sich oft nicht an ihre Vergangenheit erinnern. Das SEM weist das Asylgesuch ab und begründet den Entscheid mit den zahlreichen Widersprüchen. Trotz offensichtlicher psychischer Probleme und trotz Äusserungen bzgl. ihres Befindens bezeichnet das SEM «Mehrets» Aussagen als nicht der Wahrheit entsprechend. «Mehret» macht in ihrer Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht ihren psychischen Zustand geltend und reicht einen Arztbericht mit der Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nach. Auch das Gericht weist die Beschwerde ab. «Mehret» bleibt ohne Aufenthaltsstatus in der Schweiz, bezieht Nothilfe und muss ihre Psychotherapie abbrechen.

Traumatisierung im Asylverfahren: Grundsatz statt Ausnahme
Gerade bei der Befragung von traumatisierten Personen bezweifelt die SBAA das Konzept der Glaubhaftigkeit, denn für traumatisierte Personen sind die Anforderungen an das substantiierte und chronologische Erzählen nahezu unüberwindbar. Aufgrund von Erkenntnissen aus wissenschaftlichen Studien, die davon ausgehen, dass rund die Hälfte aller geflüchteten und asylsuchenden Personen unter psychischen Erkrankungen leidet, drängt sich die Frage auf, ob die Betrachtung von traumatisierten Asylsuchenden als «Sonderfälle» durch das SEM (SEM, Handbuch Asyl und Rückkehr, Artikel C7, S. 35) der effektiven Situation gerecht wird. Die SBAA fordert deshalb, dass die Traumatisierung von Personen im Asylverfahren nicht als Ausnahme, sondern als Grundsatz anerkannt wird. Ausserdem sollen Vorkommnisse auf der Flucht, die meist persönlichkeitsverändernd oder traumatisierend wirken, in die Anhörungen miteinbezogen werden. Von Gesetzes wegen gelten diese Erlebnisse nicht als asylrelevant, haben jedoch auf das Aussageverhalten oftmals einen Einfluss.
Die SBAA fordert daher eine vermehrte Sensibilisierung und Integration psychologischen Wissens ins Rechtswesen. Da im neuen beschleunigten Asylverfahren, das ab dem 1. März 2019 umgesetzt wird, allen Asylsuchenden eine Rechtsvertretung zugeteilt wird, ist zu hoffen, dass in Zukunft sowohl die Rechtsvertretung als auch die Befragenden vermehrt Kompetenzen erwerben, Anzeichen für Traumata zu erkennen, um die Asylsuchenden an medizinische Fachpersonen zu verweisen.

Fachbericht Glaubhaftigkeit_SBAA
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