«Unser Besuch war eine Stärkung der Menschen im Heiligen Land»

Solothurn, 18.1.19 (kath.ch) Der Dialog zwischen den verschiedenen Volksgruppen im Heiligen Land ist wichtig, sagt der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Felix Gmür. Er weilte mit einer internationalen Bischofsgruppe vom 12. bis 17. Januar in Heiligen Land.

Georges Scherrer

Herr Bischof, was haben Sie sich gedacht, als Sie bei Ihrer Ankunft das Flugzeug verliessen und Israel betraten?

Felix Gmür: Wie schön, wieder einmal das Heilige Land besuchen zu dürfen.

Was haben Sie empfunden, als Sie das Flugzeug für die Rückfahrt wieder bestiegen.

Gmür: Ich empfand ein Gefühl der Dankbarkeit, dass ich das Land besuchen durfte, und auch Hoffnung für das Land. Hoffnung nähren wir durch unsere Solidarität, durch unser Interesse und durch unsere Besuche.

Sie weilten mehrere Tage in Palästina und Israel. Was war das prägendste Erlebnis während der Reise?

Gmür: Ich kann nicht sagen, dass ein Erlebnis oder eine Begegnung besonders herausgestochen hätte. Bei meinen Besuchen im Heiligen Land stelle ich immer wieder das Gleiche fest: Es gibt eine grosse Vielfalt von Eindrücken, von Begegnungen, von Problemen, von Herausforderungen und von Situationen.

Diese grosse Vielfalt ist manchmal so immens, dass man meint, man müsste resignieren. Ein Beispiel ist das Drama der besetzten Gebiete und der Flüchtlingslager. Man erkennt, dass die Leute manchmal fast nicht mehr können. Gleichzeitig gibt es die Hoffnung – etwa bei den Christen. Sie glauben und tun etwas, damit die Situation besser wird.

Haben Sie ein konkretes Beispiel für die Aktion der Christen?

Gmür: Sie kämpfen für gerechte Verhältnisse. Ein Beispiel ist der Ort Iqrit in Israel mit mehrheitlich katholischen Einwohnern. Sie mussten 1948 das Dorf verlassen. Es hiess, nur für zwei Wochen. Diese zwei Wochen dauern bis heute. Das Dorf wurde 1951 zerstört. Nur die Kirche steht noch. Sie dürfen trotz gegenteiliger Urteile des höchsten Gerichtshofes in Israel nicht mehr zurückkehren, es sei denn für das Begräbnis. Die Sicherheitsbehörden sagen, dass es zu gefährlich sei. Das verstehen die Leute nicht und kämpfen nach wie vor für ihre Rückkehr. Sie bleiben dran. Sie haben in Iqrit ihre Wurzeln.

«Christliche Schulträger fühlen sich schlechter behandelt.»

Schwierigkeiten gibt es auch bei den Schulen. Die Privatschulen werden vom Staat refinanziert. Die Beiträge für die christlichen Schulen geraten jetzt gegenüber anderen privaten Schulen unter Druck. Die christlichen Schulträger fühlen sich darum schlechter behandelt. Sie fühlen sich diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse. Dagegen kämpfen sie an. Sie möchten wie alle anderen privaten Schulträger behandelt werden.

Und ein drittes Beispiel: Unsere Delegation hat an der Universität in Haifa das neue israelische Nationalitätengesetz studiert. Dieses Gesetz will den jüdischen Charakter des Staates stärken. Dadurch fühlen sich die ethnischen und religiösen Minderheiten diskriminiert und nur noch Bürger und Bürgerinnen zweiter Klasse. Und dagegen kämpfen sie. Das heisst: Sie wollen – und damit verbringen sie am meisten Zeit – bei den demokratischen Instanzen so lange einwirken, bis sie nicht als Bürger zweiter Klasse, sondern ebenbürtig behandelt werden.

Was kann die Kirche in der Schweiz dazu beitragen, dass sich etwas verbessert?

Gmür: Die katholische Kirche soll zeigen, dass sie sich interessiert und solidarisch ist. Manche Christen in Israel fühlen sich ein bisschen an den Rand gedrängt, weil sie den Eindruck haben, man interessiere sich besonders für die Christen in den besetzten Gebieten, aber nicht für sie. Aber auch die Christen in Israel stehen vor vielen Herausforderungen. Natürlich leben sie in einem demokratischen Staat. Sie haben, und das ist ein hohes Gut, Meinungsäusserungsfreiheit.

«Auch die Christen in Israel stehen vor vielen Herausforderungen.»

Dazu geht es ihnen wirtschaftlich besser als jenen in der Westbank. Dennoch gehören sie im Staat Israel, sozial und wirtschaftlich gesehen, mehrheitlich eher zur Unterschicht. Man sollte sie nicht vergessen. Sie bildeten denn auch einen Fokus unseres Besuches. Wir wollten ihnen zeigen: Wir sind solidarisch mit euch in Israel und vergessen euch nicht.

Wie unterscheidet sich die Situation der Christen im Heiligen Land mit jener der Christen in der Schweiz?

Gmür: In der Schweiz leben die Christinnen und Christen in einem Staat, der durch das Christentum geprägt wurde. Christen sind numerisch in der Mehrheit. In Israel bilden sie eine kleine Minderheit. Auf über acht Millionen Einwohner gibt es 175’000 Christen in Israel und etwa 50’000 in den palästinensischen Gebieten. In der Mehrzahl sind die Christen Araber. Die Übrigen sind Arbeitsmigranten aus der ganzen Welt. Das gibt der Kirche einen ganz anderen Charakter.

Die Delegation der Bischöfe besuchte das Flüchtlingslager Jenin im Westjordanland. Was hinterlässt der Besuch bei Ihnen für einen Eindruck?

Gmür: In diesem Flüchtlingslager leben etwa 14’000 Menschen. Das Lager wirkt wie ein normales palästinensisches Dorf. Viele kommen aus der Region von Haifa, die nicht weit weg ist. Sie sind deshalb so etwas wie Flüchtlinge im eigenen Land. So nehmen sie sich auch wahr.

«Für mich ist das eine schmerzende Wunde.»

Für mich ist das eine schmerzende Wunde, weil ich keinen Ausweg sehe. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass man für dieses Lager schnell eine Lösung finden will. Die jungen Leute, mit denen wir gesprochen haben, haben aber Zukunftspläne, und es gibt durchaus begabte Leute unter ihnen. Ich frage mich: Wie können diese Leute ihr Leben gestalten und entwickeln, wenn sie praktisch dazu verurteilt sind, ihr Leben mehr oder weniger in diesem Flüchtlingslager zu verbringen?

Warum sind die Flüchtlinge in Jenin Flüchtlinge im eigenen Land?

Gmür: Es handelt sich um Palästinenser. Das Flüchtlingslager liegt in den besetzten Gebieten, also in Palästina.

Was vermag der Besuch einer internationalen Bischofsdelegation den Christen im Heiligen Land zu bringen?

Gmür: Es ist sicher eine Stärkung der Menschen dort. Sie freuen sich, dass man sich für sie interessiert. Sie freuen sich, dass man kommt. Sie freuen sich, dass man sich informiert. Sie freuen sich, wenn man mit ihnen betet. Sie freuen sich, dass man sie nicht vergisst. Und es ist auch für uns sehr lehrreich zu sehen, welchen Herausforderungen Christen an anderen Orten dieser Welt gegenüber stehen.

Der Dialog zwischen Israelis und Palästinensern gestaltet sich äusserst schwierig. Kann der Besuch von Bischöfen dazu beitragen, dass sich die Verhältnisse verbessern?

Gmür: Wir können die Leute nur ermuntern und unterstützen und sagen: Hört nicht auf mit dem Dialog! Der Dialog ist ausserordentlich wichtig. Es gibt nicht nur den Dialog über die politische Situation, sondern auch den interreligiösen Dialog.

«Hört nicht auf mit dem Dialog!»

Dieser muss weiter geführt werden. Das ist das Wichtigste. Je mehr man miteinander im Austausch ist, desto besser lernt man sich kennen, desto besser bringt man Verständnis füreinander auf.

Haben Sie während Ihrer Reise Zeichen dieses interreligiösen Dialogs erlebt?

Gmür: Wir nahmen an einem interreligiösen Panel mit zwei Rabbinern, einem Maroniten, einem Katholiken, einem Imam, zwei Drusen und einem Angehörigen der Bahai teil. Das ist eine bunte Gesellschaft. Bei dem Treffen wurde deutlich, dass ein spiritueller Dialog besteht. Die politische Situation markiert die rote Linie, über die man nicht geht, weil die Positionen einfach zu weit auseinander liegen. Aber sie treffen sich regelmässig und lernen sich besser kennen.

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