Neuer Schweizer Thinktank «Kirche/Politik» kritisiert die «Kirchenleute»

Zürich, 8.1.19 (kath.ch) CVP-Präsident Gerhard Pfister und die Freiburger FDP-Politikerin und Theologin Béatrice Acklin Zimmermann haben einen Thinktank «Kirche/Politik» gegründet. Diesem gehören verschiedene Persönlichkeiten aus Kirche und Politik an. Der katholische Kommunikationsspezialist Simon Spengler bescheinigt dem neuen Organ «eine klare Einseitigkeit».

Barbara Ludwig und Georges Scherrer

Die Neugründung löst zunächst einmal etwas Stirnrunzeln aus. Der «Tages Anzeiger», der die Gründung am Montag publik machte, führt unter den Teilnehmern auch den Präsidenten des Kantonalen Kirchenrates der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Glarus, Ulrich Knoepfel, auf. Das Portal ref.ch fragte bei Knoepfel nach, der auch Ratsmitglied des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes ist. Er habe überrascht reagiert. Dass ein Thinktank mit ihm als Mitglied gegründet worden sei, sei neu für ihn.

Er habe im November als Privatperson an einem Treffen mit Pfister und Acklin teilgenommen, an dem über Kirche und Politik diskutiert wurde. «Es wurde unter anderem erwogen, 2019 eine Veranstaltung zum Thema durchzuführen», sagt er gegenüber ref.ch.

Zu eigenständigem Denken anregen

Die Initiative für die «Expertengruppe, die sich als eine Art Thinktank versteht, insofern sie sich regelmässig trifft», gehe auf den Engelberger alt Abt Berchtold Müller, den reformierten Theologen Ralph Kunz, der an der Universität Zürich lehrt, Gerhard Pfister und sie selber zurück, erklärte Béatrice Acklin gegenüber kath.ch auf Anfrage.

Gemäss der theologischen Studienleiterin der Zürcher Paulus Akademie wolle die Gruppe über Problem- und Themenfelder im Bereich Kirchen-Politik reflektieren und diskutieren und «zum eigenständigen Denken anregen». Die Gruppe traf sich erstmals Ende Jahr im Kloster Engelberg, so Acklin.

Ethisch saubere Güterabwägung

Im Artikel des «Tages Anzeiger» machen die FDP-Lokalpolitikerin und der CVP-Präsident mit Breitseiten gegen Kirchenvertreter auf sich aufmerksam. Acklin kritisiert in der Zeitung, dass Kirchenleute ihre Autorität in Politikfragen von einer höheren Macht ableiteten.

Diese würden selbstgerecht von einem moralischen Hochsitz herab insinuieren, was richtig sei und was falsch. Die Zeitung zitiert Acklin mit den Worten: «Sind diejenigen, die sich politisch anders positionieren als ihre geistigen Obrigkeiten, schlechtere Christen?» Die Kirchenleute würden zudem die Dossiers schlecht kennen.

«Gewissen Herren und Frauen passen unsere Positionen nicht.»

Auch CVP-Präsident Gerhard Pfister spricht davon, dass die Kirchen meist nicht gut beraten seien. Es gehe zudem nicht an, mit biblischen Normen Politik zu machen. Statt politischer Stellungnahmen sei ihr ethisches Wissen gefragt, also Ethik statt Moral.

Als Beispiel nennt der Politiker die Ladenöffnungszeiten. Die Kirchen sollten nicht mit einem Ja oder Nein Stellung nehmen, sondern eine ethisch saubere Güterabwägung liefern, zu der gemäss Pfister interessengesteuerte Politiker nicht imstande seien.

Klar Stellung nehmen

Acklin verweist im Zeitungsbeitrag auf die Asylgesetzgebung. Die Kirchen plädierten für eine Willkommenskultur und versäumten dabei, auch die Folgen für das Gemeinwohl zu berücksichtigen, wie das die katholische Soziallehre verlange.

«Es tut Politikern weh, wenn man konkret wird.»

Das Portal ref.ch hat bei den «Kirchenleuten» nachgefragt. Nicht überraschend ist die Forderung nach weniger Parolen und mehr Abwägung für Res Peter, Pfarrer des Zürcher Neumünsters. «Es tut Politikern weh, wenn man konkret wird», sagt er. Peter mischt sich regelmässig in politische Debatten ein, zum Beispiel bei der Selbstbestimmungsinitiative und der Unternehmenssteuerreform III.

Auf einem Auge blind

Es sei gut, wenn Ethiker differenziert abwägen und debattieren, sagt Peter. «Doch im Unterschied zu Ethikern ist es meine Aufgabe als Pfarrer, einen Schluss aus meinen Überlegungen zu ziehen und diesen mit der Gemeinde zu teilen.»

Ähnlich erlebt Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist die Debatte über die politische Positionierung der Kirche: «Gewissen Herren und Frauen passen unsere Positionen nicht. Wenn ich sozialpolitisch argumentiere, höre ich vielfach, dass ich politisch sei. Wenn die Kirche aber bürgerlich argumentiert, wird das nicht als politisch wahrgenommen.»

«Fundamentalistischer Gottesstaat»

Wenn sich Politiker Gedanken darüber machen, welche Rolle die Kirchen in der politischen und gesellschaftlichen Debatte spielen können und sollen, dann begrüsse er dies, sagte auf Anfrage der Bereichsleiter Kommunikation und Kultur der katholischen Kirche im Kanton Zürich, Simon Spengler. Die Ziele des neuen Organs scheinen ihm nach der Lektüre des Zeitungsartikels «recht widersprüchlich».

Die Freiburger FDP-Generalrätin (Mitglied des Stadtparlaments) fordere, die Kirchen sollten sich einbringen, aber irgendwie anders, «mehr Ethik statt Moral – was immer das heissen mag». Der CVP-Präsident malt gemäss Spengler «das Schreckgespenst eines fundamentalistischen Gottesstaates an die Wand, wenn sich Bischöfe zu politischen Fragen äussern». So ganz passe das nicht zusammen. Bei einer «sauberen ethischen Güterabwägung», von der Pfister spreche, gehe es immer auch um Interessen, betont Spengler.

Kirchliche Sozialethik und neoliberale Wirtschaft

«Vertrete ich die Interessen von Angestellten oder spezifisch kirchlich den kulturellen und gesellschaftlichen Wert des freien Sonntags, komme ich beim Thema Ausweitung der Ladenöffnungszeiten zu einem anderen Resultat, als wenn ich die Interessen einer neoliberalen Wirtschaft vertrete», erklärte Spengler gegenüber kath.ch.

Jede Ethik basiere auf konkreten Welt- und Menschenbildern und damit auf moralischen Wertvorstellungen. Acklin wie Pfister würden «etwas zu viel mit Schlagwörtern um sich werfen, statt auf Fakten basierend argumentieren». Das neue Gremium müsse erst einmal unter Beweis stellen, was es taugt.

«Da zeigt sich doch eine klare Einseitigkeit.»

Offensichtlich bemühten sich die Initianten gemäss Spengler, Politiker verschiedener Parteien ins Boot zu holen. Zum Thinktank gehören etwa neben SP-Nationalrat Eric Nussbaumer der SVP-Nationalrat Claudio Zanetti. Zum Gremium gehört gemäss Acklin auch der Berner Staatsrechtsprofessor Markus Müller.

Politisch auftreten

Spengler stösst sich jedoch daran, dass «kein Kirchen-Vertreter dabei ist, der oder die sich betont für ein politisches Engagement der Kirchen ausspricht und für eine politisch engagierte Kirche steht». Da zeige sich «doch eine klare Einseitigkeit».

Politisch Position nimmt die Zürcher Synodalratspräsidentin Franziska Driessen. Im «Tages-Anzeiger»-Beitrag wird darauf hingewiesen, dass sie erklärte, die SVP sei für Christen unwählbar. Die Kirche müsse sich zwar nicht zu jedem Thema äussern, erklärte Driessen gegenüber der Zeitung. Es sei aber ihre Pflicht, sich einzubringen, «wenn es um Menschlichkeit und soziale Verantwortung geht». Die SVP-Asylpolitik könne sie mit ihrem Verständnis des Evangeliums nicht in Einklang bringen.

Der Klerus kann den Gläubigen nicht vorschreiben, wie diese abzustimmen haben.

Béatrice Acklin stösst sich daran, «dass in jüngster Zeit verschiedene Kirchenexponenten mit Abstimmungsparolen an die Öffentlichkeit gingen und dabei mit einem Transzendenzbezug politisierten beziehungsweise ihre Autorität in politischen Fragen von einer höheren Macht ableiteten».

«Wir sind uns einig, dass es nicht angehen kann, dass kirchliche Obrigkeiten die Gläubigen politisch zu gängeln versuchen», schreibt Acklin weiter über die Motivation, die schliesslich zur Gründung des Thinktank führte. «Die Zeiten – dem Himmel sei Dank! – sind definitiv vorbei, als der Klerus den Gläubigen vorschreiben konnte, wie diese politisch abzustimmen hätten.»

Kirche ist nur eine Stimme

Und weiter erklärt Acklin in der Stellungnahme zuhanden kath.ch: «Der autoritäre, oft auch besserwisserische Habitus, mit dem sich so manche Kirchenvertreter in die öffentliche, politische Debatte einmischen, passt schlecht zu einem demokratischen Diskurs, der sich einer gemeinsamen offenen Suche nach besten Lösungen verschreibt. Wenn sich die Kirche zur Tagespolitik äussert, muss sie sich bewusst sein, dass sie in der demokratischen Öffentlichkeit nur eine Stimme unter vielen ist.»

Auf die Frage, ob der Thinktank auf die anstehenden eidgenössischen Wahlen im Oktober hin lanciert wurde, reagierte der CVP-Präsident bisher gegenüber kath.ch nicht. Gemäss Acklin könnte der Thinktank mit einer ersten Tagung im kommenden Herbst an die Öffentlichkeit treten.

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