«Das Mami im Gefängnis weiss, dass es an Weihnachten fehlen wird»

Zürich, 24.12.18 (kath.ch) Andreas Beerli (56) gestaltet dieses Jahr zusammen mit anderen Seelsorgenden die Weihnachtsfeier im Untersuchungsgefängnis Zürich. Im Interview mit kath.ch sagt der Seelsorger, was Gefangene in der Weihnachtszeit umtreibt und wie die Feier in dem Gefängnis unweit der Zürcher Langstrasse abläuft. Beerli leitet die katholische Gefängnisseelsorge im Kanton Zürich.

Barbara Ludwig

Wie erleben Sie als Gefängnisseelsorger die Stimmung in der Adventszeit und an Weihnachten im Gefängnis?

Andreas Beerli: Die Weihnachtstage und der Übergang ins neue Jahr sind eine besondere Zeit im Jahr. Auch im Gefängnis. Die inhaftierten Menschen hatten auch ein Leben vor ihrer Tat und der Strafe. Deshalb kommen in der Vorweihnachtszeit bei vielen Gefangenen Erinnerungen hoch: An den Samichlaus oder Rorate-Feiern in der Kirche, an das Kaufen der Geschenke, das Zusammenkommen der Familie.

Spüren Sie das im Umgang mit den Gefangenen?

Beerli: Ja. Auch wegen der Themen, die sie in der Weihnachtszeit besonders beschäftigen.

Und das wären?

Beerli: In erster Linie geht es um Gemeinschaft, Familie, Beziehungen. Weihnachten ist das Fest der Gemeinschaft. Dass sie nun aufgrund ihrer Haft nicht dazugehören, beschäftigt sie. Dem Vater ist bewusst, dass sein Bub ihn nicht sehen wird. Das Mami im Frauengefängnis weiss, dass sie – die während Jahren alles fürs Fest vorbereitet hat – fehlen wird. Solche Gedanken tauchen auf. Oder: «Werden meine Angehörigen mir einen Brief zu Weihnachten schicken? Oder ein Päckli? Werden sie an mich denken?» Die Weihnachtszeit ist für Menschen im Gefängnis besonders problematisch.

«Werden meine Angehörigen mir einen Brief zu Weihnachten schicken?»

Sind Sie als Seelsorger in dieser Zeit stärker als sonst gefragt?

Beerli: Wir Seelsorgenden sind das ganze Jahr hindurch gefragt. Sowohl der katholische als auch der reformierte Gefängnisseelsorger kommen jede Woche für einen vollen Tag ins Untersuchungsgefängnis Zürich. Gefangene, die ein Gespräch wünschen, können dies schriftlich melden. Wir begrüssen jeweils die Neuankömmlinge und stellen ihnen unser Angebot vor. Aber es stimmt: In der Advents- und Weihnachtszeit ist die Nachfrage eher noch etwas stärker, das Bedürfnis nach einem Gespräch offenbar grösser. Von den Seelsorgenden ist in dieser Periode auch eine ganz spezielle Sensibilität gefordert.

In vielen Gefängnissen finden Weihnachtsfeiern statt. Wie sieht die Feier* dieses Mal im Untersuchungsgefängnis Zürich aus?

Beerli: Es gibt nicht nur einen Anlass. Insgesamt vier Weihnachtsfeiern von je knapp einer Stunde werden nacheinander innerhalb eines Nachmittags durchgeführt. Eine für Frauen und drei für Männer. Ist die Feier für eine Gruppe beendet, werden die Gefangenen wieder in ihre Zellen zurückgeführt, und es kommt schon die nächste Gruppe.

Eine Frau wird auf ihrem Keyboard spielen und dazu mit ihrer wunderbaren Stimme Lieder singen. Wir Seelsorger werden Gebete sprechen und aus der Bibel den Lukas-Text über die Geburt Christi lesen. Dann werden wir ein paar Gedanken über die Bedeutung von Weihnachten vortragen. Wir werden miteinander singen, und wenn dies möglich ist, auch miteinander beten.

Vier Weihnachtsfeiern an einem Nachmittag

Es handelt sich um eine schlichte ökumenische Feier, an der drei Seelsorgende mitwirken. Ich von der katholischen Seite, mein reformierter Kollege und eine spanischsprachige Seelsorgerin. Das Ganze findet in einem einfachen Raum statt, in dem sonst auch gearbeitet wird. Für die Feier wird er etwas geschmückt. Auch ein kleiner Christbaum gehört dazu.

Warum gibt es nicht einfach eine Feier für alle Insassen, die daran teilnehmen wollen?

Beerli: Dies ist eine Frage der räumlichen Möglichkeiten und der Sicherheit. Unsere Feier ist nicht ein Happening, sondern eine religiöser Anlass, in dem der Glaube und die Botschaft von Jesus Christus im Zentrum stehen.

Worüber werden Sie in Ihrer Ansprache reden?

Beerli: Ich möchte über die Hoffnung sprechen. Ein zentrales Thema im Gefängnis. Weihnachten ist ein Fest der Hoffnung. Ich erzähle den Gefangenen, dass Gott nicht in einem Königspalast Mensch geworden ist, sondern in einem Stall. Und dass die Hirten, der Abschaum der damaligen Gesellschaft, als erste die Botschaft von der Menschwerdung Gottes hören durften.

«Gott ist nicht in einem Königspalast Mensch geworden.»

Hirten, das waren Leute, mit denen niemand zu tun haben wollte, Ausgestossene, oftmals auch Diebe und Verbrecher. Auf diese Menschen hat Gott gesetzt – sie waren ihm wichtig – ihnen hat er es zugetraut, dass sie die grossartige Botschaft der Gottesgeburt in die Welt hinaustragen. Gott ist für alle da, besonders für diejenigen in einer schwierigen Lebenssituation. Das ist doch eine hoffnungsvolle Botschaft.

Nehmen auch Nicht-Christen und Konfessionslose an solchen Weihnachtsfeiern teil?

Beerli: Wenn Angehörige nichtchristlicher Religionen oder Konfessionslose an der Feier teilnehmen möchten, sind sie selbstverständlich eingeladen. Grenzen sind uns durch die Räumlichkeiten gesetzt, die wir haben. Es kommt oft vor, dass Muslime mitfeiern. Denn der Anteil der Gefangenen muslimischen Glaubens ist recht hoch. Klar ist aber: Zwischen 80 und 90 Prozent der Teilnehmenden sind Leute, die im christlichen Glauben beheimatet sind. Die Feier organisieren wir in erster Linie für sie.

«Es kommt oft vor, dass Muslime mitfeiern.»

Ansonsten fragen wir Seelsorgende aber nicht nach, ob jemand Muslim oder Christ ist. Wir sind grundsätzlich Seelsorgende für Menschen in dieser aussergewöhnlichen Lebenssituation, wie sie sich im Gefängnis darstellt.

Wie steht es um die Mitwirkung von Imamen an den Weihnachtsfeiern?

Beerli: Es kommt immer wieder vor, dass auch ein Imam an der Feier dabei ist. Ich habe schon miterlebt, wie ein Imam eine Sure aus dem Koran vorlas, die die Geburt Jesu beschreibt. Da werden die Gemeinsamkeiten der monotheistischen Religionen sichtbar.

*Die Feier hat bereits am 19. Dezember stattgefunden.

Andreas Beerli ist Theologe, Coach und Supervisor. Er wirkt seit 20 Jahren als Seelsorger in verschiedenen Gefängnissen. Beerli leitet die katholische Gefängnisseelsorge im Kanton Zürich.

 

An Heiligabend serviert das Gefängnis Börek

Im Untersuchungsgefängnis Zürich werden  am 24. Dezember zwei «sehr begehrte Menus» serviert, wie Gefängnisleiter Fritz Hösli gegenüber kath.ch sagt. Am Mittag gibt es Fleischbällchen an einer Paprika-Rahmsauce, Kartoffelstock, Gemüse und ein Dessert. An Heiligabend Börek mit Rindfleisch oder Käse, Nature-Joghurt, eine Frucht und ein Dessert.

Von einem Weihnachtsessen, das Menschen um eine gemeinsame Tafel versammelt, kann man allerdings nicht sprechen. «Wir haben keinen Speisesaal. Die Mahlzeiten werden bei uns von den Insassen in der Zelle eingenommen», präzisiert Hösli. Jedes Jahr erhalten die Gefangenen zudem am 25. Dezember ein Geschenk vom Gefängnis. Dieses Mal ist es ein kleiner Sack mit Nüsschen, Guetzli, Schokolade und Mandarinen.

Die Insassen dürften sich selbstverständlich auch von Angehörigen beschenken lassen, so Hösli. Die Vorgaben sind: maximal fünf Kilo, nicht in Geschenkpapier eingepackt. Alle Gaben würden kontrolliert, damit sichergestellt ist, dass verbotene Gegenstände wie Messer, Handys, Drogen und Waffen nicht ins Gefängnis gelangen.

Besuche von Angehörigen sind laut dem Gefängnisleiter nur bis zum Mittag des 24. Dezember möglich. «Am 25. Dezember sind gar keine Besuche möglich.» Doch die Mitarbeitenden im Dienst wollten es in dieser Zeit den Gefangenen so angenehm wie möglich machen, erklärt Fritz Hösli. «Sie sind freundlich zu ihnen, kommen vielleicht nach der Essensabgabe noch einmal für ein Gespräch vorbei. Auch die Mitarbeitenden können über Weihnachten nicht mit ihrer Familie feiern. Das teilen sie mit den Insassen.»

Das Untersuchungsgefängnis Zürich ist mit seinen 153 Plätzen das grösste Untersuchungsgefängnis im Kanton Zürich. (bal)

 

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