«Menschen, die Jesus nachfolgen, sind weniger manipulierbar»

Freiburg, 16.12.18 (kath.ch) Der deutsche katholische Theologe Johannes Hartl ist Initiant des «Mission Manifests» (MM). An einer Tagung an der Universität Freiburg vom 12. Dezember wurde dieses kontrovers diskutiert. Im Interview mit kath.ch antwortet Hartl auf Fragen, die Kritiker des MM an der Tagung aufwarfen.

Sylvia Stam

Im MM ist viel von Jesus die Rede. Wer ist Jesus für Sie?

Johannes Hartl: Jesus ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Er ist für mich Lehrer, Erlöser und Freund. Und ich glaube, dass die Schriften des Neuen Testaments historisch zuverlässig und für heute relevant über ihn berichten.

Kann man Ihrer Meinung nach auch «gottlos» von Gott sprechen, also ohne ihn explizit zu erwähnen?

Hartl: Es gibt ja eine ganze Schule der negativen Theologie, auch von der Gottesrede nach Auschwitz wie bei Eli Wiesel oder der tastenden «Sehnsucht nach dem ganz Anderen» eines Max Horkheimers. Über das Phänomen der «Gottesfinsternis» hat auch schon Martin Buber Eindrucksvolles gesagt oder auch Ludwig Wittgenstein mit dem letzten Satz seines «Tractatus logico-philosophicus».

«Das Christentum spricht explizit von einem redenden Gott.»

Ja, es gibt ein Reden von Gott, ohne ihn explizit zu nennen. Es stellen sich allerdings zweierlei Fragen: Genügt ein solches Reden, um auch anderen Menschen den Weg zum Glauben zu bahnen? Und ist solche Rede noch offen für die Tatsache, dass das Christentum eben ganz explizit von einem redenden, sich mitteilenden Gott spricht? Über beides dachte Hans-Urs von Balthasar in kritischer Auseinandersetzung mit Karl Rahner ja schon vor ein paar Jahrzehnten in «Cordula oder der Ernstfall» nach.

Wo bleibt im MM Platz für Zweifel, für Hadern mit Gott?

Hartl: Im Herzen jedes Menschen gibt es all das. Das Glaubenszeugnis eines Menschen wäre nicht authentisch ohne die Krisen und die inneren Kämpfe. Wir sagen auch nicht, dass all das keinen Platz haben darf. Aber wir ermutigen Menschen, über das zu sprechen, was auch in Krisen und aus Krisen heraus trägt. Und wenn das authentisch geschieht, ist es auch missionarisch und ansteckend. Die Brüche, das Scheitern und Herausforderungen auf dem Weg tun dem keinen Abbruch, im Gegenteil.

Dem MM wird eine defizitäre Weltsicht vorgeworfen, es schildere die heutige Welt als  missionsbedürftig. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Hartl: Jeder Mensch ist missionsbedürftig. Die Gesunden gibt es nicht, sondern nur normale, gebrochene, sündigende, suchende Menschen. Unsere Frage ist vielmehr: Warum sollte gerade der moderne Mensch in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt ausgeschlossen sein von einer ansprechenden, herzlich einladenden und intellektuell redlichen Verkündigung?

«Mit Mission hat das noch überhaupt nichts zu tun.»

Kritikern fehlt die politische Dimension des Christentums im MM. Wo ist diese?

Hartl: Wir glauben, dass Menschen, die Jesus nachfolgen, liebevoller, toleranter und barmherziger, aber auch weniger manipulierbar werden. Dem demokratischen Staat kann also gar nichts Besseres passieren als Menschen, die aus genau diesem Geist heraus sich in die Gesellschaft einbringen. Das wird oft auch das politische Feld sein, doch ich halte es für eine Illusion zu hoffen, dass alle Menschen, die sich auf Jesus berufen, dadurch schon in allen Punkten zu den gleichen politischen Auffassungen kommen werden.

Als Gegenvorschlag zum MM machte eine Kritikerin den Vorschlag, mit Menschen verschiedener Glaubensrichtungen, auch Nicht-Gläubigen, an einen Tisch zu sitzen und darüber zu diskutieren, wie die Welt gerechter werden könnte. Ist das in Ihren Augen auch Mission?

Hartl: Das, würde ich sagen, ist gute Demokratie. Mit Mission hat das noch überhaupt nichts zu tun. Mission ist nicht einfach nur der Bemühung um Verbesserung der Welt geschuldet, sondern ist Zeugnis von einer Erlösung, die sich an uns ereignet: durch Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. Diese Botschaft ist nicht nur in die Luft gesprochen, sondern fordert uns zum Glauben, zur Umkehr und zur Nachfolge auf.

«Der Islam ist missionarisch aktiver als das Christentum.»

Wenn Christen missionarisch sein sollen, dürfen dann auch Muslime missionieren?

Hartl: In einer freien Gesellschaft steht es jeder Religion und Weltanschauung frei, für ihre Ansichten zu werben. Diese Werbung muss natürlich gewissen freiheitlich-demokratischen Spielregeln entsprechen und darf meines Erachtens keinen Gruppen zugesprochen werden, die öffentlich für Terrorismus oder Gewaltausübung werben. Doch grundsätzlich ist Religionsfreiheit ohne Erlaubnis, für die eigene Religion zu werben, ein hölzernes Eisen. Mir fällt auf, dass der Islam im deutschsprachigen Raum ohnehin missionarisch recht aktiv ist. Christen sind da oft viel zögerlicher.

Inwiefern hat die Tagung Ihrer Meinung nach den Diskurs über Mission weitergebracht?

Hartl: Die Tagung war für mich ein Beispiel gelungener, freundlicher Diskussion bei engagiertem Ringen um das Thema. Ich würde sagen: So geht Theologie und so geht Kirche. Von solchen Diskussionen brauchen wir mehr, von Lagerdenken und gegenseitigem Labeln weniger.

Was nehmen Sie von den Kritikern des MM an der Tagung mit?

Hartl: Mir ist einmal mehr bewusst geworden, wie leicht Menschen sich abgewertet fühlen, wenn man pauschal kritisiert. Während ich glaube, dass das MM mit seiner Kritik grundsätzlich in eine richtige Richtung weist, kann ich gut verstehen, dass manche pastoralen Mitarbeiter sich so fühlen, als würde ihre jahrelange treue Arbeit abgewertet. Das ist nicht unsere Absicht und wo ein solcher Eindruck entstanden ist, bedauere ich das aufrichtig.

Hinweis: Ein Interview mit Daniel Kosch, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz, zum «Mission Manifest» folgt in Kürze auf diesem Portal.


Kontroverse um «Mission Manifest» mündet in Zuhören

 

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