«Wir vertreten nach wie vor ein christliches Menschenbild»

Freiburg, 30.8.18 (kath.ch) Rund 3000 Mitglieder des Schweizerischen Studentenvereins (StV) werden am Wochenende zum Zentralfest in Engelberg erwartet. Wo platziert sich der ehemals katholische Studentenverein heute? Zentralpräsident Dominic E. Tschümperlin beschreibt die gesellschaftliche Position des Vereins in der multikulturellen Schweiz.

Georges Scherrer

Das Zentralfest findet alljährlich statt. Welche Bedeutung hat dieses für den Schweizerischen Studentenverein?

Dominic E. Tschümperlin: Das Zentralfest ist der wichtigste Anlass des Schweizerischen Studentenvereins im Jahr. Es ist das einzige Mal, wo sich alle 6500 Mitglieder treffen und miteinander ein Fest begehen können. Erwartet werden auch dieses Jahr wieder 3000 Mitglieder.

Dabei werden die Generalversammlungen – getrennt in zwei Versammlungen von aktiven und ehemaligen Studierenden – abgehalten. Hier kann der Austausch im grossen Rahmen stattfinden. Gestandene Persönlichkeiten aller insgesamt 73 Sektionen begegnen zudem am Fest aktiven Studierenden.

Ist der StV nach wie vor ein gutes Sprungbrett in Politik und Wirtschaft?

Tschümperlin: Mitglieder des StV haben den grundsätzlichen Vorteil, dass sie aufgrund ihrer Kontakte näher an die Kader der Wirtschaft, die Mitglieder des Vereins sind, rankommen. Besonders Juristen kommen so allenthalben einfacher zu Praktika. Allerdings gilt auch bei uns: Der Zugang ist zwar erleichtert, aber nur die Leistung führt auch tatsächlich zur Stelle. Stimmen etwa die Noten nicht, so wird ein besserer Berufseinsteiger einem StVer vorgezogen. Der StV hat aber zahlreiche Kadermitglieder in allen Bereichen, die gerne StVer anstellen, sofern, wie gesagt, deren Leistungen auch stimmen.

Welche jüngeren Kadermitglieder in Politik, Wirtschaft, Kirche, Kunst und Kultur gehören als Altherren oder Altdamen dem StV an?

Tschümperlin: Namentlich darf etwa der VR-Präsident der Helvetia Philipp Gmür genannt werden, der am Zentralfest in Engelberg auch Festredner sein wird. Aus der Wirtschaft gehören aber auch SBB-Präsident Andreas Meyer oder Post-Präsident Urs Schwaller dem StV an. In der Politik gibt es immer noch viele tonangebende Mitglieder, etwa Bundesrätin Doris Leuthard, die einflussreichen Ständeräte Beat Vonlanthen (CVP) oder Daniel Jositsch (SP). Ganz besonders schön für den StV ist, dass er mit Nationalratspräsident Dominique De Buman (CVP) in diesem Jahr den höchsten Schweizer in seinen Reihen weiss.

Beim Zentralfest in Engelberg ist die Kirche mit den Bischöfen Markus Büchel und Felix Gmür sowie Alt-Abt Berchtold Müller von Engelberg prominent vertreten. Wie katholisch ist der StV heute?

Tschümperlin: Der StV besteht nach wie vor überwiegend aus Katholiken. Der Verein ist jedoch explizit nicht katholisch, sondern christlich. Seit 1977 nehmen wir evangelische und orthodoxe Mitglieder auf. Der Glauben steht für den Verein nicht im Zentrum, vielmehr wollen wir die christlichen Werte pflegen. Uns geht es dabei – frei nach der katholischen Soziallehre – um das Wohl der Gemeinschaft, um Solidarität untereinander und anderen Mitgliedern unserer Gesellschaft und um Subsidiarität. Gerade führen wir eine Wertediskussion, in der wir versuchen, unsere Werte im 21. Jahrhundert auszuloten. Klar ist dabei jedoch insbesondere, dass wir nach wir nach wie vor ein christliches Menschenbild vertreten werden.

Unsere Riten und Traditionen sind allerdings nach wie vor katholisch geprägt. Die Gottesdienste am Zentralfest oder in den Verbindungen sind fast ausnahmslos katholisch. Mit Murten 2013 war erst ein einziger klassisch reformierter Ort ein Austragungsort für das Zentralfest und auch dort wurde der Gottesdienst nach katholischem Ritus gefeiert. Zusätzlich organisieren wir Pilgerfahrten, etwa letztes Jahr zu Bruder Klaus. Unserer katholischen Tradition sind wir nach wie vor sehr verbunden.

Durfte der Ratspräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, Gottfried Locher, auch schon an einem Zentralfest auftreten, also ein kirchlicher CEO, der einer anderen Konfession angehört als der katholischen?

Tschümperlin: Mir ist nicht bekannt, dass Herr Locher schon einmal als Redner teilgenommen hat. Als Ehrengast ist er in unserem Blaubuch (Reglement über die Durchführung des Zentralfestes, die Red.) nicht vorgesehen. Als Festteilnehmer ist er aber jedenfalls sehr willkommen. Ob er einmal auftreten darf, liegt an den Organisationskomitees der jeweiligen Zentralfestorte. Er könnte beispielsweise an einem wissenschaftlichen Anlass teilnehmen.

Die Gesellschaft ist im Wandel. Das Schlagwort heisst heute Multikulti-Gesellschaft. Was geschieht, wenn heute ein Nicht-Christ, zum Beispiel ein Muslim, einer StV-Sektion beitreten will?

Tschümperlin: Der StV ist gemäss Artikel 9 unserer Zentralstatuten nur für Angehörige christlicher Konfessionen offen. Erfolgt die Aufnahme eines Gläubigen des muslimischen oder eines anderen Glaubens in eine Sektion des StVs, muss ihm die anschliessend anzufragende Aufnahme in den Schweizerischen Studentenverein grundsätzlich verweigert werden, was gleichsam den Ausschluss aus der Sektion nach sich ziehen muss. Damit dies geschieht, muss dies dem StV jedoch bekannt gemacht werden.

Ist der StV politisch eher rechts oder links situiert?

Tschümperlin: Der StV ist ein heterogener Verein. Bis weit in die 1990er Jahre war er stark der CVP verbunden. Die frühere klassisch konservative Zuordnung des Vereins ist im politischen Spektrum heute nicht mehr möglich. Es gibt zahlreiche liberal eingestellte und auch viele konservative Mitglieder. Sozialpolitisch linke Mitglieder gibt es ebenfalls, allerdings sind es eher wenige.

Parteipolitisch war der Verein seit jeher ungebunden. Heute sind auch die Bande mit der CVP nicht mehr so intensiv, wenn auch wohl heute noch eine grosse Zahl der Mitglieder sich der CVP nahe fühlt, auch unter den Studierenden.

Dominic E. Tschümperlin ist 28 Jahre alt. Geboren ist er in Freiburg, aufgewachsen in Gurmels FR und heimatberechtigt in Schwyz. 2015 schloss er sein Masterstudium in Rechtswissenschaften an der Universität Freiburg ab. Nun bereitet er sich auf seine Anwaltsexamen vor und schreibt an einer Dissertation. Er ist Mitglied der Akademischen Verbindung «Alemannia» in Freiburg und der Altherrenschaft der Gymnasialen Verbindung «Zähringia» in Freiburg, die in diesem Jahr ihr 175 Jähriges Bestehen feiert. Er ist römisch-katholischer Konfession und «überzeugter Christ».

 

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