Staatliche Anerkennung: Schweizer Muslime im Warteraum

Bern, 17.6.18 (kath.ch) Soll der Islam in der Schweiz eine anerkannte Religionsgemeinschaft werden? Die Diskussion über diese Frage wurde auf Einladung der SP Schweiz im Haus der Religionen in Bern mit Vertretern aus Wissenschaft und Politik sowie von islamischen Verbänden auf einem Podium intensiv geführt.

Vera Rüttimann

Jacqueline Fehr, Regierungsrätin der SP im Kanton Zürich, erzählte eingangs die Geschichte von Beat Auer, Pfarrer der katholischen Kirchgemeinde Seuzach, der in den 70er-Jahren lange in der Garage Meier in Seuzach mit seiner Gemeinde Gottesdienst feiern musste, weil ihr in der Diaspora eine Kirche in zentraler Lage fehlte. «Damals waren die Katholiken in einer ähnlichen Situation wie die Muslime heute. Sie müssen mit ihren Moscheen auch auf Industriezonen ausweichen.»

Der Weg von der beargwöhnten Minderheit zum voll respektierten Teil der Gesellschaft im Kanton Zürich führte laut Jacqueline Fehr über die rechtliche Anerkennung der katholischen Kirche im Jahr 1963.

Auch die Muslime sind für die SP-Politikerin längst ein Teil der Schweizer Gesellschaft. Sie sagte: «Deshalb fordern viele Linke, Katholiken und Muslime: Her mit der Anerkennung!»

Erwünscht: Klare Leitlinien

Auch SP-Präsident Christian Levrat sprach sich auf dem Podium klar dafür aus. Er erinnerte an die vom Zürcher Regierungsrat verabschiedeten Leitlinien zum Verhältnis von Staat und Religion, in dem klar stehe, dass es zum Umgang mit verfassungsrechtlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften klare Handlungsgrundlagen brauche. «Durch die Anerkennung intensivieren wir den Austausch mit den Muslimen», betonte Christian Levrat.

«Die Anerkennung von Muslimen müsste gegen den Trend durchgesetzt werden.»

Neben der öffentlich-rechtlichen Anerkennung gibt es die Form der privatrechtlichen, der sogenannten «kleinen» Anerkennung, was auch für SP-Politikerin Jaqueline Fehr das Modell für die muslimische Gemeinschaften ist.

Dabei würden die Muslime als privatrechtliche Vereine anerkannt. Sie müssten eine staatliche Aufsicht dulden, finanzielle Transparenz herstellen und gewisse organisatorische Bedingungen erfüllen.

Auch Reinhard Schulze, Direktor des Forums Islam und Naher Osten an der Universität Bern, sprach sich für eine staatrechtliche Anerkennung der Muslime aus. «Sie soll die Wertschätzung des Staates zum Ausdruck bringen.» Er lobte in diesem Kontext die publizistische Arbeit der Politikwissenschaftlerin Elham Manea, die mutig wunde Punkte im inner-islamischen Reformprozess thematisiere. Die staatliche Anerkennung soll nach Reinhard Schulze jedoch nicht vom erfolgreichen Verlauf von Reform-Debatten abhängen.

Landeskirchen: Kein Modell für Muslime

Tagesanzeiger-Journalist Michael Meier machte den Muslimen wenig Hoffnung auf eine staatlich- rechtliche Anerkennung. Ein Hauptgrund sieht Meier im System der rechtlich anerkannten Landeskirchen, das für ihn wenig zukunftsfähig sei, weil der Mitgliederschwund zu stark sei.

Es gebe zudem einen klaren Trend zur Entflechtung von Staat und Religion. «Die staatliche Anerkennung von Muslimen müsste gegen diesen Trend durchgesetzt werden», betonte Michael Meier, der diesen Weg als unrealistisch einschätzte.

«Ethnischer Flickenteppich»

Ein weiter Stolperstein zur staatlichen Integration sieht Michael Meier in der Heterogenität der Muslime. Er betonte: «Die katholische Kirche hat sich immer als überethnische Grösse verstanden, mit einem verbindlichen Lehramt, das deklariert, was in allen Ortskirchen weltweit gilt. Die muslimische Community dagegen ist von der Lehre her viel heterogener und ist stark ethnisch geprägt.» Für ihn ist dieser «ethnische Flickenteppich» fast unmöglich als ganzer zu integrieren.

«Wir wollen auch die Sorgen der Bevölkerung verstehen.»

Für alle Podiumsteilnehmer hat der Islam auch ein Repräsentationsproblem. Es kristallisierte sich die Frage heraus: Will man einzelne Gemeinschaften anerkennen oder einen Dachverband? Da Religionspolitik in die Kompetenz der Kantone fällt, wurde an diesem Podium auch klar ersichtlich, wie unterschiedlich die Regelungen jeweils ausfallen.

Michael Meier informierte, wie es der Vereinigung der Muslime im Kanton Waadt gelungen sei, «sich als Einheit überethnisch zu positionieren. Ein offenbar erfolgreicher Versuch, den man im Auge behalten soll.»

Vorbehalte aus muslimischen Kreisen

Wie das Podium aufschlussreich zeigte, kommen aus muslimischen Kreisen selbst Vorbehalte gegen eine schnelle staatsrechtliche Anerkennung der muslimischen Gemeinschaften. Für Montassar BenMrad, der die von ihm präsidierte Föderation islamischer Dachorganisationen der Schweiz (Fids) auf dem Podium vertrat, liege eine solche Anerkennung, die er zwar anstrebe, noch in weiter Ferne. Sie müsse in behutsamen Schritten angegangen werden.

Montassar BenMrad betonte: «Für uns ist es wichtig, dass wir den Dialog mit den Behörden weiter stärken und intensiv führen. Für uns ist dieses Gespräch wichtig, um ihre konkreten Erwartungen zu verstehen – und auch die Sorgen der Bevölkerung.»

Die Politikwissenschaftlerin Elham Manea ging noch einen Schritt weiter: Sie sprach sich klar gegen eine staatsrechtliche Integration der Muslime aus: «Ich verstehe, dass man damit Transparenz erreichen will. Ich finde es jedoch problematisch, dass dadurch ein grosser Einfluss auf die Ausbildung der Imame und auf die Kindererziehung ausgeübt werden könnte.»

Die Imam-Ausbildung soll ihrer Ansicht nach an die Universitäten angegliedert werden. «Eine notwendige Massnahme sind gut konzipierte theologische Studiengänge, nach denen Imame und Lehrer ausgebildet und diplomiert werden und die damit qualifiziert sind, eine friedliche spirituelle Form der Religion zu predigen und zu unterrichten», betonte sie. Ähnlich wie Michael Meier sieht Elham Manea in den juristischen Mitteln nicht das geeignete Mittel für die Anerkennung muslimischer Gemeinschaften, weil es das Grundproblem, den Islamismus, nicht zu bekämpfen vermag.

Statt auf öffentlich-rechtliche Anerkennung zu setzen, sollte man in Bildung und Ausbildung auf allen Ebenen investieren, waren sich die beiden Referenten einig. Michael Meier sieht hier viel Handlungsbedarf. Dem katholischen Theologen fehlt, ähnlich wie bei den Freikirchen, «die intellektuelle Durchdringung der Glaubensinhalte und der kritische Umgang mit Religion und Moral.»

Parallele zu den Jesuiten

Auf die Frage, ob sich der Staat in innerreligiöse Debatten, speziell in die Bildung, einmischen dürfe, vertrat Christian Levrat eine dezidiert andere Meinung als Reinhard Schulze, der betonte, dass die Auslegung des Islams Sache der muslimischen Gemeinschaften sei. Der Staat könne sich sehr wohl einschalten, «wenn eine Religionsgemeinschaft gegen die liberalen Grundwerte des schweizerischen Staates verstösst. Dann ist das keine reine innerkirchliche Angelegenheit mehr.»

Der Freiburger Ständerat erinnerte in diesem Kontext an den Fall der Jesuiten, die 1848 in der Schweiz verboten wurden, «da es in ihrer Lehre und in ihrer Praxis Elemente gab, die das Grundverständnis des Staates in Frage stellten».

Den Islam zum Thema machen

Christian Levrat betonte, wie wertvoll solche Diskussionen seien. Er resümierte: «Die Diskussion um den Islam wird in der Politik eher am Rande geführt. Themen wie Minarette und Burka nehmen viel Raum ein, aber es wird viel zu wenig über den Islam als solchen gesprochen.»

Dem SP-Chef hat gefallen, dass an diesem Podium facettenreich über die Beziehung zwischen dem Staat und den muslimischen Gemeinschaften gesprochen wurde, wie er gegenüber kath.ch sagte.

Auf Anfrage von kath.ch bilanzierte er: «Dieses Podium zeigte deutlich die Schwierigkeiten für die Politik auf, innerhalb des Islams Ansprechpartner für uns zu finden und andererseits, wo der Dialog bereits gut funktioniert.»

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