Der Fall von Erzbischof Wilson erschüttert Australiens Kirche

Adelaide, 17.6.18 (kath.ch) Am Dienstag wird ein Gericht im australischen Newcastle das Strafmass für Erzbischof Philip Wilson von Adelaide verkünden. Der Geistliche war am 22. Mai für schuldig befunden worden, als junger Priester in der Diözese Newcastle den sexuellen Missbrauch von Messdienern nicht bei der Polizei angezeigt zu haben.

Michael Lenz

Gespannt blicken Beobachter dem Prozessausgang entgegen. Denn er könnte weitreichende Folgen für die katholische Kirche Australiens haben. Neil Ormerod ist ein prominenter Kritiker des Umgangs der Kirche mit Missbrauchsfällen. Mit Blick auf Wilson äussert der Theologe der Katholischen Universität in Sydney jedoch ein gewisses Mass an Mitgefühl.

Er gibt zu bedenken, dass der heute 67 Jahre alte Erzbischof zum Zeitpunkt der Vertuschungstat vor rund 40 Jahren ein junger, unerfahrener Priester gewesen sei. «In den Medien und der Öffentlichkeit aber wird der Fall anders wahrgenommen. Für die steht ein Erzbischof vor Gericht, der heute seine Autorität missbraucht hat», sagt Ormerod. «Das ist für viele eine weitere Bankrotterklärung der Kirche.»

Schwere Altlasten

Allerdings, so Ormerod, habe die Untersuchung der staatlichen Missbrauchskommission eine Vielzahl von gravierenden Verfehlungen ergeben: Bischöfe und Ordensleiter hätten in den vergangenen Jahrzehnten etliche Fälle vertuscht, Pädophile in den eigenen Reihen durch Versetzungen aus der Schusslinie genommen und Opfer mit Geld zum Schweigen gebracht.

Öffnet die Verurteilung Wilsons nun der Strafverfolgung von Geistlichen in Australien Tür und Tor? Die Religionswissenschaftlerin Kathleen McPhillips geht davon aus. Zumindest in den australischen Bundesstaaten New South Wales und Victoria, so die Expertin der Universität Newcastle in einer Analyse des Wilson-Falls.

Kirche muss aus den Mauern treten

Strafrecht ist in Australien Ländersache, und nur in diesen beiden Teilstaaten verpflichten Gesetze zur Anzeige von sexuellem Missbrauch. Die Kirche, so McPhillips, könne solche Fälle ohnehin nicht mehr intern auf Basis des Kirchenrechts klären. «Jetzt wird sie gezwungen, ihrer Verantwortung auch durch die Anzeige strafrechtlich relevanter Sachverhalte bei der Polizei gerecht zu werden.»

Missbrauchsopfer Peter Creigh ist «extrem erleichtert» über den Schuldspruch für Wilson. Dadurch werde der Weg frei für die Behörden, um den «systematischen Missbrauch von Macht» und «die Spur der Vertuschung» offenzulegen, die bis in die Spitze der Kirchenhierarchie reiche, schreibt er in einer E-Mail an die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA).

Kirchenrechtliche Folgen

Wie es im Fall Wilson weitergeht, auch nach kanonischem Recht, gilt derzeit als offen. Dass ein weltliches Gericht zu der Auffassung gelangt, der Erzbischof habe die Aufklärung von Missbrauch behindert, muss nicht automatisch eine kirchlich-strafrechtliche Sanktion nach sich ziehen.

Ein kanonischer Prozess könnte zu einer anderen Bewertung gelangen. Wilson könnte freilich nach der Verkündung des Strafmasses dem Papst von sich aus den Rücktritt anbieten. Oder er könnte die Gerichtsentscheidung anfechten.

Mit dem Herzschrittmacher vor Gericht

Dass Wilson kämpfen kann, hat er bewiesen. Trotz Einsetzung eines Herzschrittmachers wenige Wochen vor Beginn des Prozesses im Herbst 2017 und einer überraschenden Alzheimer-Diagnose nahm er an der Verhandlung persönlich teil. Seit dem Schuldspruch lässt er sein Amt als Erzbischof von Adelaide ruhen. Papst Franziskus setzte kürzlich einen Apostolischen Administrator ein.

Der Fall Pell

Weitaus verheerender als der Fall Wilson ist aus Ormerods Sicht der von Kurienkardinal George Pell. Der frühere Erzbischof von Melbourne steht als mutmasslicher Sexualstraftäter vor Gericht.

«Pell ist ein weiterer Tiefpunkt für die Kirche, die durch den Missbrauchsskandal nicht nur ihre moralische Autorität zu Sexualfragen, sondern auch zu anderen Themen verloren hat», sagt Ormerod. (kna)

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/der-fall-von-erzbischof-wilson-erschuettert-australiens-kirche/