Notfallseelsorger lernen aus Terror-Übung

Olten, 8.6.18 (kath.ch) Mit der gross angelegten Übung Magellan hat der Kanton Bern den Einsatz der Rettungskräfte nach einem Terroranschlag getestet. Unter ihnen befanden sich auch Notfallseelsorger. Über die Erfahrungen berichtet  der stellvertretende Leiter des Care Teams, Pierre-André Kuchen, an der Generalversammlung des Vereins «Care Team – Notfallseelsorge Schweiz».

Regula Pfeifer

Um 12 Uhr wurden erste terroristische Drohungen bekannt, unter anderem gegen den Baldachin beim Bahnhof Bern. Um 14.20 Uhr fielen Schüsse in einem Postauto bei Bremgarten BE. Zwanzig Personen wurden erschossen, viele weitere verletzt. Um 15.30 Uhr fuhr bei Burgdorf ein Auto in eine Menschenmenge. Der Lenker schoss um sich, es folgten Explosionen. Ein Polizist starb, mehrere Personen wurden verletzt. Um 19 Uhr kam es zu einer Geiselnahme in Interlaken, die um 21.30 Uhr endete.

800 Personen im Einsatz

So lautete das Szenario der Übung Magellan, das die Einsatzkräfte des Kantons Bern am 21. März auf terroristische Anschläge vorbereiten sollte. Rund 800 Personen waren involviert: Kantonspolizisten, Rettungskräfte, Kantonsärzte, Feuerwehrleute und das Care Team. Rund 60 der 150 Mitglieder des kantonalen Care Teams waren im Einsatz, darunter auch Notfallseelsorger.

Deshalb ging Pierre-André Kuchen bei seinem Vortrag an der Generalversammlung des Vereins «Care Team – Notfallseelsorge Schweiz» am 6. Juni im Stadthaus Olten besonders auf den Beitrag des Care Teams in dieser Katastrophen-Übung ein. Er arbeitet teilzeit als stellvertretender Leiter des Care Teams des Kantons Bern – und als reformierter Pfarrer in Biel.

Wichtigste Infos zuerst

Ein Care Team sei etwa nach dreiviertel Stunden am Ort, erklärt Kuchen. Die meist anderweitig berufstätigen Personen müssten erst anreisen, und das Team sich intern organisieren. Konkret werden die Care-Team-Leute von der Sanitären Notrufzentrale aus alarmiert. «Dabei müssen die wichtigsten Informationen weitergegeben werden», sagt Kuchen, und das sei oft schwierig in Stresssituationen. Die Care-Personen sollten von Anfang an ein klares Bild der Situation haben. «Nur so können sie ihren Einsatz gut leisten.»

«Wenn jeder leiten will, läuft die Sache schlecht.»

Dem Einsatzleiter kommt laut Kuchen eine wichtige Rolle zu. «Wenn jeder leiten will, läuft die Sache schlecht», ermahnt er die anwesenden Notfallseelsorger. Der Einsatzleiter muss gemäss Kuchen einen Überblick über die Gesamtsituation gewinnen, diese beurteilen und über das Vorgehen Schritt für Schritt entscheiden. Zu Beginn müsse er genügend Teams in angemessener Grösse und in möglichst kurzer Zeit aufbieten und sie auf die Schadensorte und Betreuungszentren verteilen.

Bloss keine Turnhallen

Die Betreuungszentren allerdings müssen erst aufgebaut werden. Das dauert laut Kuchen ungefähr eine Stunde und sei nur mit Hilfe von mindestens 20 Care-Personen möglich. Auch hier gelte: «Jemand muss die Chefin sein!» Erst müssten geeignete Räume gefunden werden, am besten eine Eingangshalle und ein paar anschliessende Zimmer, so Kuchen. Turn- und Mehrzweckhallen seien schlecht, da die Betroffenen jeden Schrei und jedes Weinen mitbekommen würden.

Im Betreuungszentrum müsse den Betroffenen primär Sicherheit vermittelt werden, erläutert der stellvertretende Care-Team-Leiter des Kantons Bern. Grundbedürfnisse, etwa Durst, müssten befriedigt, dann die Betreuung für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen organisiert werden. Eine Betreuung unter vier Augen sei in dieser Situation – im Gegensatz zum normalen Seelsorgealltag – nicht möglich, ermahnt Kuchen. Sie geschehe in Gruppen. Zwei Care-Personen kümmerten sich üblicherweise um rund sechs Betroffene. Während das Care-Team betreut, führt die Polizei Zeugenbefragungen durch.

Zweite Terrormeldung: eine Raserfahrt

Plötzlich kommt die zweite Terror-Meldung: die Raserfahrt in Burgdorf. Der Einsatzleiter muss neue Care-Personen aufbieten. Diese müssen vor Ort neue Hilfsstrukturen aufbauen und die dortigen Betroffenen betreuen.

«Wer sorgt eigentlich für die betroffenen Menschen, wenn wir vom Care-Team noch nicht da sind?», will eine der rund zwanzig Zuhörenden der Generalversammlung wissen. «Das übernimmt die Polizei», klärt sie eine andere Seelsorgerin auf. In ihrem Berufsalltag nehme die Polizei ja auch oft eine Betreuungsaufgabe wahr.

Erholung zwischendurch

«Wie lange sind die Care-Personen denn im Einsatz?» fragt jemand anders. Das dürfe nur ein paar Stunden sein, keinesfalls einen ganzen Tag, erklärt Kuchen. Die Mitwirkenden müssten sich zwischendurch zurückziehen und erholen können. Man wisse ja nicht, wie lange ihr Einsatz notwendig sei. «Bei den Anschlägen in Madrid waren sie rund 14 Tage im Einsatz», so Kuchen.

«Was tun, wenn die Leute unsere Sprache nicht verstehen?», will eine Seelsorgerin wissen und verweist darauf, dass durchaus auch Touristen betroffen sein könnten. Dann müsse man möglichst rasch Dolmetscher suchen, so Kuchen.

Ob man den Einsatz von Drohnen ins Auge gefasst habe, fragt ein anderer. Mit der fliegenden Kamera könnte man sich einen Überblick verschaffen, meint er. Kuchen verneint. Das Gerät werde nicht verwendet.

Wie bei Anschlägen in Paris

«Diese Übung ist hochspannend», findet Beat Weber, der als Geschäftsführer des Vereins den Ausführungen gefolgt ist. Ihm ist klar geworden: Bei einem Terrorakt könne man nicht alle Care-Personen miteinander an einem Ort aufbieten. Denn solange der Terrorist nicht gefasst sei, könne jederzeit irgendwo etwas Weiteres passieren, sagt er. Das habe Paris damals bei den Terror-Anschlägen erlebt.

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