«Wenn Frauen zusammenarbeiten, entwickeln sie einen unglaublichen Zug»

Zug, 27.5.18 (kath.ch) Der Schweizerische Katholische Frauenbund (SKF) hat an seiner Delegiertenversammlung vom Donnerstag das 60-Jahr-Jubiläum des Elisabethenwerks gefeiert. Dass das kleine Hilfswerk ausschliesslich mit Frauen zusammenarbeitet, finden die Mitarbeiterinnen Damaris Lüthi und Elisa Moos sehr sinnvoll. Sie können das wachsende Selbstbewusstsein der Beteiligten teils direkt miterleben.

Regula Pfeifer

Wie ist es für Sie, für ein Frauenhilfswerk zu arbeiten?

Damaris Lüthi: Ich war zuvor für ein Hilfswerk tätig, das mit beiden Geschlechtern arbeitete. Mich überzeugt bei diesem kleinen Hilfswerk, dass man sich auf die Frauen konzentriert. Die Erfahrung zeigt, dass mit der Zeit auch die Männer mithelfen, wenn sie überzeugt sind vom Projekt.

Elisa Moos: Ich spüre immer wieder eine unglaubliche Kraft, die in den Projekten entsteht. Wenn Frauen zusammenarbeiten, entwickeln sie einen unglaublichen Zug. Dass die Männer mitmachen, sehe ich jeweils bei meinen Besuchen vor Ort. Sie sind da, man kann sie nicht einfach ausschliessen. In Afrika ergreifen sie auch oft das Wort, und zwar unterstützend.

Lüthi: Als ich mit beiden Geschlechtern arbeitete, kamen die Frauen oft nur mit Mühe zum Zug. Bei unserem Ansatz im Elisabethenwerk müssen wir mit den Frauen zusammenarbeiten, sonst dürfen wir kein Geld sprechen. Da ist klar: Die Frauen müssen profitieren können, auch wenn die Männer sich danach einzumischen versuchen.

Frauen werden mit ihren Bedürfnissen ernst genommen. Das stärkt sie.

Ermutigt dies die Frauen, vor Ort aktiv zu werden?

Moos: Auf jeden Fall. Wenn sie ernst genommen werden in ihren spezifischen Bedürfnissen und sie diese anmelden dürfen, indem sie ein Projekt eingeben, stärkt sie das von Anfang an. Teil der Projekte sind immer auch Schulungen in Leadership, in Rhetorik und anderen Bereichen.  Das bringt sie weiter vorwärts. Das können wir gut beobachten.

Wie haben Sie das beobachtet?

Moos: In Bolivien habe ich eine Frau bei mehreren Besuchen erlebt. Am Anfang ergriff sie kaum das Wort, das zweite Mal nahm sie das Mikrofon und sagte ihre Meinung und ein weiteres Mal war sie bereits Präsidentin der Projektgruppe und stand ganz aufrecht da.

Bei den stark Benachteiligten müssen wir dafür sorgen, dass sie ökonomisch profitieren.

Lüthi: In Indien fangen wir immer mit Spar- und Kreditgruppen an. Wir arbeiten ja – auch in den anderen Ländern – mit den am meisten benachteiligten Frauen. Sie können sich vielerorts nur eine Mahlzeit pro Tag leisten. Mit ihnen zu arbeiten ist sehr schwierig, weshalb andere Hilfswerke oft besser gestellte Menschen wählen. Bei den stark Benachteiligten müssen wir dafür sorgen, dass sie ökonomisch profitieren. Wir geben aber nie Materielles, sie müssen sich dies selbst erarbeiten. Die Erfahrung zeigt, dass materielle Geschenke eine Empfängerhaltung begünstigen. Dadurch würde das Projekt nicht nachhaltig wirken. Deshalb bieten wir in Indien stattdessen Schulung an. Das braucht Zeit, deshalb dauern meine Projekte jeweils rund sechs bis sieben Jahre.

Die Frauen lernen beispielsweise, Anträge für staatliche Subventionen zu stellen.

Weshalb so lange?

Lüthi: Es braucht so lange, bis die Frauen wirklich gestärkt sind. Das Projekt beginnt mit einer Spar- und Kreditgruppe. Als erstes zahlen die Frauen ihre Schulden zurück, kaufen Schuluniformen für ihre Kinder und begleichen die Gesundheitskosten. Erst wenn es ihnen besser geht, können sie kleine Geschäfte aufbauen. Sie kaufen beispielsweise gemeinsam ein Stück Land zum Bebauen, oder sie investieren einzeln in einen Früchtestand, oder in eine Ziege, deren Milch sie verkaufen können. Wir bieten parallel dazu Weiterbildungen an. So lernen die Frauen beispielsweise, Anträge für staatliche Subventionen zu stellen. Das ist in Indien ein komplizierter Vorgang und fordert natürlich die Analphabetinnen besonders heraus. Später bilden wir die Frauen auch zu Politikerinnen aus, damit sie über die regionalen Regierungen staatliche Programme reinholen können, die den Benachteiligten ihrer Dörfer zustehen. Alle diese Massnahmen stärken die Frauen natürlich sehr.

Die Länder sind zwischen Ihnen beiden aufgeteilt.

Lüthi: Ich bin Sozialanthropologin und habe mich auf Südasien spezialisiert, dazu eine Dissertation geschrieben und eineinhalb Jahre Feldforschung betrieben. Deshalb ist es klar, dass ich mich auf diese Weltregion konzentriere. Und für mich ist es sehr befriedigend, mein Wissen in einem Hilfswerk anwenden zu können, so bleibt es nicht rein akademisch.

Sie, Frau Moos, sind in Südamerika und Afrika tätig?

Moos: Im Moment betreue ich Projekte in Bolivien und Uganda. Vorher war ich für weitere Länder zuständig. Wir haben uns auf ein Land pro Kontinent konzentriert, um besser auf die Eigenheiten dieser Länder eingehen zu können.

Ich musste merken, wie sie ticken und sie, wie ich ticke.

Haben Sie einen Bezug zu diesen Ländern?

Moos: Zu Lateinamerika ja. Ich habe in Nicaragua gelebt und war danach viele Jahre mit einem anderen Hilfswerk für Südamerika tätig. So bin ich mit dem dortigen Denken sehr verbunden. Afrika war für mich zu Beginn recht neu. Ich musste viel lernen, etwa in der Kommunikation mit den Konsulentinnen vor Ort. Ich musste merken, wie sie ticken und sie, wie ich ticke. Das sind Prozesse (lacht). Inzwischen liebe ich Uganda. Ich habe in den 13 Jahren Mitarbeit beim Elisabethenwerk ein schönes Wissen ansammeln können, weiss aber noch lange nicht alles.

Reisen Sie in die Länder?

Lüthi: Alle drei Jahre. Bei meiner früheren Tätigkeit reiste ich zwei Mal pro Jahr. Nach meiner Feldforschung hatte ich aber den Eindruck: Mich braucht es dort gar nicht unbedingt. Es reicht, die Konsulentinnen vor Ort zu haben. Sie wissen am besten, wie alles läuft. Inzwischen können wir uns auch per Skype gut austauschen. Zudem war die geringere Reisetätigkeit beim Elisabethenwerk für mich eine Erleichterung, denn meine Tochter war bei Stellenantritt vor 15 Jahren noch ein Kleinkind.

Auch Sie reisen alle drei Jahre?

Moos: Ja, in jeden Kontinent alle drei Jahre. Diese Besuche sind für mich wichtig, um wieder auf den Boden der Realität zu kommen. Wenn ich zwei, drei Jahre weg bin, merke ich, dass die Kommunikation schwieriger wird und ich Sachen erwarte, die unrealistisch sind. Bei einem Besuch werde ich mir der lokalen Realität wieder bewusst und schraube meine Anforderungen runter. Insbesondere wird mir wieder bewusst, dass Strom, Handynetzwerk oder öffentlicher Verkehr oftmals nicht funktionieren und deshalb Pünktlichkeit nicht immer vorausgesetzt werden kann.

Dank der Besuche bekommen Sie auch gesellschaftliche Entwicklungen mit…

Moos: Ja, wir lesen zwar Online-Zeitungen aus diesen Ländern. Aber vieles erfährt man nicht, weil darüber nicht geschrieben wird – oder nicht geschrieben werden darf.

Wie wichtig ist das Elisabethenwerk für den Frauenbund – aus Ihrer Sicht?

Lüthi: Die Frauenbunds-Vertreterinnen sagen, das Elisabethenwerk sei ganz wichtig für den Verband. Ich finde es schön, dass der Verband das Anliegen hat, sich für Frauen nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Ländern einzusetzen. Das erweitert den Radius, und das finde ich gut.

Das Hilfswerk ermöglicht einen Blick über den Tellerrand hinaus.

Moos: Ich höre immer wieder den Satz: Der SKF ist nicht denkbar ohne das Elisabethenwerk. Das Hilfswerk ermöglicht einen Blick über den Tellerrand hinaus, eine weltweite Vernetzung, ein sich Sorgen über Entwicklungen in anderen Teilen der Welt.

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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