In der Luzerner Jesuitenkirche sprechen die Steine

Luzern, 16.4.18 (kath.ch) Seit zwei Jahren gibt es mit «Living Stones» in der Luzerner Jesuitenkirche eine spirituelle und kunsthistorische Führung, die von jungen Leuten durchgeführt wird. Eine Kirchenführung der ganz anderen Art.

Vera Rüttimann

Einheimische und Touristen drängeln sich am Samstagmarkt in Luzern am Ufer der Reuss vor der Jesuitenkirche. Sie bildet einen markanten Blickfang. Überall sieht man iPhones an Selfiestangen von Besuchern, die sich vor der ältesten Barockkirche der Schweiz ablichten wollen. Viele wissen: Diese Kirche ist von grosser architektonischer, künstlerischer und historischer Bedeutung. Täglich kommen Menschen hierher, um sich zu sammeln oder sakrale Kunst zu sehen. Einige sind an diesem Tag auch neugierig, was es mit den «Living Stones»-Führungen auf sich hat.

Vom Dunkeln ins Helle

Marco Schmid,  theologischer Mitarbeiter der City Pastoral Luzern, auf dessen Revers ein Schild mit der Aufschrift «Guide Art and Spirituality» prangt, erwartet sie schon. Er beginnt seine Führung im Vorraum der Jesuitenkirche, wo alles dunkel ist. Mit ihm überschreiten die Besucher die Schwelle.

Es ist ein Übergang ins Licht. Vor ihnen breitet sich die lichtdurchflutete barocke Kirche in ihrer ganzen Pracht aus. Was für eine Helligkeit und Reinheit, die einem da von den Fassaden und der Decke mit ihrem Gemäldezyklus, der dem Heiligen Franz Xaver  gewidmet ist, entgegenstrahlt.

Den Säulen und Bildern eine Stimme geben

Und schon geht es los mit den Fragen an den Guide: Wo sind die Reliquien des Heiligen Silvanus und wo die Silberbüste des Heiligen Karl Borromäus? Und: Wer war Franz Xaver? Aber auch: Glauben Sie im Ernst, dass nach dem Tod noch was kommt? Die Gäste der «Living Stones»-Führungen sind neugierig und wollen nicht nur ihr kunsthistorisches Wissen erweitern, sondern auch Persönliches über ihren Guide erfahren.

Als «Living Stone» wird Marco Schmid im doppelten Sinne zu  einem «sprechenden Stein».  Er gibt den Mauern, Säulen und Bildern mit ihrer Magie und Geschichten eine Stimme  – und wird selbst zum Zeugen seines Glaubens.

Ein internationales Projekt

Marco Schmid sah die Touristen vor der Tür der Jesuitenkirche schon immer als Chance. An einem Kongress lernte er das Kirchenführungskonzept von «Living Stones» kennen, ein internationales Projekt von Jungen in über 30 Städten Europas. Er kam diesbezüglich mit dem Jesuiten Andreas Schalbetter ins Gespräch, der seit 2015 in Luzern als Hochschul- und Studierendenseelsorger arbeitet, und mit der Barbara Haefele von der Gemeinschaft der Helferinnen. Alle drei fingen Feuer und somit konnte «Living Stones» als Kooperationsprojekt der Citypastoral Luzern und der ökumenischen Hochschulseelsorge «Horizonte» vor zwei Jahren auch in der Leuchtenstadt starten.

Botschafter, Vermittler und Aufklärer

Bei den «Living Stones»-Führungen, so Marco Schmid, gehe es nicht um «Wissensvermittlung von oben», sondern um das dialogische Miteinander. Zusammen mit dem Gast nähere man sich der sakralen Kunst. Marco Schmid sagt: «Die Leute haben oft Mühe, wenn sie über ihren Glauben reden sollen. Wenn man sie jedoch pädagogisch über ein Kunstwerk abholt, geht das viel leichter.»

Bei Andreas Schalbetter fällt immer wieder das Wort «Aufklärung». In Zeiten von «Fake News» sei es besonders wichtig, «mit differenzierten Erläuterungen Polarisierungen entgegenzuwirken». Wenn die «Living Stones»-Guides nun sakrale Bilderkunst nach allen Seiten ausleuchten und von ihren inneren Überzeugungen sprechen, können sie für ihn im besten Sinne Botschafter, Vermittler und Aufklärer in einem sein.

«Ich bin stolz, dass ich ein sprechender Stein sein darf.»

Ihr Wissen holen sich die jungen Kirchenführer an Weiterbildungen mit Expertinnen und Experten der Kunst, Geschichte und Theologie und vertiefen ihren Glauben durch Meditation und Exerzitien. Was bedeutet dieser Knochensplitter? Wer ist auf diesem Tableau abgebildet und was hat der für einen Bezug zur Jesuitenkirche? Nach diesem Intensivkurs wissen sie es.

Eremitenrock und Knotenstock

Auch Carla Eng ist ein «Living Stone». Die 23-Jährige, die in Luzern Kunst und Vermittlung studiert, kam durch einen Projektwettbewerb zu dieser besonderen Kirchenführung. Dass sie ihre Gäste zur Seitenkapelle führt, die Bruder Klaus gewidmet ist, hat einen  persönlichen Grund: Sie ist verwandt mit dem Heiligen aus der Ranftschlucht. Carla Eng zeigt den Besuchern den Eremitenrock, den Bruder Klaus getragen haben soll. Auch der Knotenstock des Heiligen kann bewundert werden. Sie  sagt: «Bruder Klaus ist sehr wichtig in meinem Leben. Ich bin stolz, dass ich ein sprechender Stein sein darf.»

Carla Eng steht mit ihren Gästen nun vor dem Hochaltar mit seinem gigantischen Bild, das die Himmelfahrt von Franz Xaver zeigt. Von der Studentin erfahren sie, dass Franz Xaver der erfolgreichste Missionar aus den Reihen der Jesuiten ist und Ignatius von Loyola ihn 1534 für seine Idee gewinnt, die «Gesellschaft Jesu» zu gründen. Sie erfahren weiter, dass Franz Xaver, der Schutzpatron Luzerns, 1927 zum Patron aller Missionare erklärt wurde.

Was ist das für ein Holzkasten?

In den Bänken sitzt auch Andreas Schalbetter. Während um ihn herum der Touristenstrom tost, ist er tief versunken in ein Gespräch mit einer Mutter, die mit ihrer Tochter die Jesuitenkirche besucht. Sie fragt ihn, worin sich Benediktiner, Franziskaner und Jesuiten unterscheiden. Der Jesuit hat Zeit, auf jede ihrer Fragen einzeln einzugehen. Andreas Schalbetter sagt später über seine Methodik: «Mir ist wichtig, dass ich nicht mit einem fixfertigen Plan auf die Leute zugehe, sondern dialogisch herangehe. Die Fragen des Besuchers stehe im Zentrum.»

Häufig ergibt sich aus einem Gespräch eine ganze Palette an Fragen. Am Schluss einer weiteren Führung entspinnt sich zwischen Andreas Schalbetter folgender Dialog: «Was ist das für ein seltsamer Holzkasten da?» – «Ein Beichtstuhl» – «Was bedeutet beichten?» – «Ein Sakrament, das Versöhnung vermittelt.» – «Mit wem muss ich mich versöhnen?» Der Jesuit strahlt. Wenn die Leute immer neugieriger werden, aus sich herauskommen und gute Fragen stellen, dann ist er ganz «Living Stone».

Jedem sein Stil

Nach zwei Stunden versammeln sich die «Living Stones»-Guides in der Ignatius-Kapelle. Sie resümieren, was sie an diesem  Vormittag mit ihren Gästen  erlebt haben. Die dunkelroten Übergewänder werden abgestreift. Hört man ihnen zu, wird einmal mehr klar: So unterschiedlich die Biographien der Kirchen-Guides, so unterschiedlich gestalten sie auch ihre Führungen.

«Er muss brennen für das, was er tut und erzählt.»

Während die einen sich heute auf Heiligenfiguren konzentrierten, meditierten andere einen Bibeltext in den Bänken vor einem Bild. Andere wiederum sprachen lange über kleine Details wie eine besondere Engelfigur oder einen Ausschnitt aus einem Deckengemälde. Marco Schmid sagt: «Jeder darf seinen eigenen Stil entwickeln. Wichtig ist: Er muss brennen für das, was er tut und erzählt.»

Für den Luzerner Hochschulseelsorger Andreas Schalbetter sind Kirchenführungen ein wichtiges Feld und eine Chance für die Kirche obendrein. Schönheit drückt sich auch in der Jesuitenkirche durch Architektur, Malerei und Musik aus. Viele Kirchenbesucher lassen sich von der Kunst berühren. Andreas Schalbetter sagt: «Das müsste die Kirche noch viel mehr als Chance begreifen.»

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