Preisverleihung im Zeichen von mutigen Worten und Taten

Luzern, 12.3.18 (kath.ch) Im Zentrum der diesjährigen Preisverleihung der Herbert Haag-Stiftung im Hotel Schweizerhof am Sonntag in Luzern stand das freie Wort. Die renommierte Auszeichnung ging an den Theaterregisseur Volker Hesse und den Priester und Lyriker Andreas Knapp.

Vera Rüttimann

Eine halbe Stunde vor Beginn der Herbert Haag-Preisverleihung wird es unruhig im Foyer des Hotels Schweizerhof. Aus dem ganzen deutschsprachigen Raum trudeln Gäste ein. Und sie kommen aus allen kirchlichen Segmenten: Da sind die Vertreter der katholischen Reformplattformen «Wir sind Kirche» Deutschland und Österreich; Aktive von Verbänden wie dem katholischen Frauenbund; ehemalige Preisträger wie Hermann Häring und viele mehr.

«Wir sehen uns immer wieder verkrustender Erstarrung gegenüber.»

Selbst der Zürcher Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist schaut bei der Herbert-Haag-Stiftung vorbei, die Personen auszeichnet, welche mutig im Geiste der Freiheit in der Kirche wirken. Vorne auf der Bühne stimmt der Kabarettist Jürg Kienberger mit dem Bob Dylan-Song «Man gave names to all the animals» die Gäste auf die Veranstaltung ein. Der bald 90-jähirge Hans Küng, der Ehrenpräsident der Herbert Haag-Stiftung, würde sich ob dieser Szenerie freuen. Er ist jedoch an diesem Tag nicht in Luzern.

Mutige Männer des Wortes

Für Erwin Koller, der den Festakt eröffnet, ist der Song ein mutiges Stück, das gut zur diesjährigen Preisverleihung passt. Diese steht unter dem Motto «Schöpferische Freiheit auf der Bühne und in der Lyrik». Der Präsident der Herbert Haag-Stiftung stellt in seiner Rede die Bedeutung des Wortes ins Zentrum.

Viel Schaden sei damit schon im Namen von kirchlichen Amtsträgern verübt worden. Wer die Bibel in der heutigen Zeit jedoch erzählen wolle, so Koller, müsse auf jene hören, «die an die Portale unserer Dome klopfen und ihre Fragen und Zweifel unzimperlich in den Kirchenraum hineinschreien, in Einsiedeln, im Grossmünster oder wo immer».

Zu den mutigen Männern des Wortes zählen für Erwin Koller auch die beiden diesjährigen Preisträger Volker Hesse und Andreas Knapp.

Was Politik, Kirche und Theater verbinden

Bevor der ehemalige Bundesrat Moritz Leuenberger zur Laudatio auf Volker Hesse schritt, wird es im Saal dunkel. Auf einer grossen Leinwand erscheinen Video-Impressionen vom Theaterstück «Akte Zwingli»,  das im Sommer 2017 das Grossmünster in Zürich fast aus seinem Fundament riss. Ebenso sehen die Zuschauer Szenen von der Aufführung des Welttheaters in Einsiedeln. Rot, blau und gelb leuchten die Farben jetzt in den Saal hinein.

Bevor er auf Volker Hesses Werk zu sprechen kommt, fragt Moritz Leuenberger in den Saal: «Eine katholische Stiftung beauftragt einen protestantischen Politiker damit, einen Theaterregisseur zu loben. Was verbindet die drei?» Er nennt zuerst die Inszenierung. Und dann natürlich Tiara und Weihrauch, den Vorhang und die Bühne. Nachdenklich betont er, was alle drei tiefer bewege: «Wir sehen uns immer wieder verkrustender Erstarrung gegenüber, politischen Ideologien und religiösen Dogmen, die unsere Arbeit, vor allem aber die einzelnen Menschen bedrohen.»

«Theater kann die Welt verändern»

Eine Trinitas sind Kultur, Politik und Religion für Moritz Leuenberger jedoch keinesfalls. Oft stehe das Wort sogar im Wege und sorge für Unverständnis. «Worte scheinen die Gräben zwischen Gesinnungsüberzeugung kaum überwinden zu können», sagt er. Die Kunst aber könne mit ihrer visuellen Wucht und dem mutigen freien Wort die Herzen der Menschen stärker berühren, als ein trockener kopflastiger Text.

«Wer für die Freiheit in der Kirche kämpft, kämpft auch für die Freiheit in der Welt.»

Er habe das selbst erlebt, als Volker Hesse bei der Einweihung des Gotthard-Basistunnels mit «Sacre del Gottardo» nachdenkliches Mysterienspiel aufführte. Inszeniert an einem Ort voller mythischer Sagen und einem Teufel, von dem viele Bewohner glauben, der Berg räche sich am Menschen wegen der Eingriffe an ihm. Mit seinem «Ballett der Arbeiter», sagt Moritz Leuenberger, habe Volker Hesse all dies thematisiert.

Moritz Leuenberger erinnert daran, dass die Zusammenarbeit mit Volker Hesse, der schon mal mit Slogans wie «Gott ist tot» auftreten könne, nicht immer bequem sei. «Beim Beginn im Theater im Neumarkt brannte es im Dach der Kulturpolitik in Zürich lichterloh.»

Der ehemalige Bundesrat lobt deshalb die Herbert Haag-Stiftung für ihre mutige Wahl. Und an Volker Hesse gewandt ruft er: «Ein Lob dem Preisträger! Mit barocker Expressivität zeigt er uns immer wieder: Wer für die Freiheit in der Kirche kämpft, kämpft auch für die Freiheit in der Welt. Theater kann die Welt verändern.»

Zorn und Dankbarkeit

Als Volker Hesse, ein Mann mit wuchtiger Statur, zur Dankensrede ans Mikrofon tritt, wird es still im Saal. Auf der Bühne steht ein Mann, der eindringlich von seinem Zorn auf das katholische Milieu spricht, den er lange verspürte. Immer wieder rückt er vom Manuskript ab, sucht nach Worten.

Der Theatermann spricht leise über seine Wut auf eine verlogene Sexualmoral und gewalttätige Erziehungsmethoden. Hörbares Räuspern im Saal, als Hesse von wilden und blasphemischen Aktionen wie schwarze Messen spricht, mit denen er sich am Katholizismus abarbeiten musste.

 «Das Stadtviertel ist das Kloster, die Strassenkreuzungen sind der Kreuzgang.»

Dennoch, und hier atmet das Publikum auf, drücke bei ihm die religiöse Sozialisation noch immer durch. Neben dem Dunklen gebe es auch das Helle. Volker Hesse schliesst mit den Worten: «Mit ungläubigem Staunen sehe ich heute auf die Geheimnisse, Abgründe und glanzvollen Erscheinungen, die das Christentum hervorgebracht hat.»

Gottesbilder zerstören und neu entdecken

Auf der Leinwand erscheinen jetzt Satzfragmente wie «Ich habe dich in die Wüste geführt…» und «Kopfzeichen». Karl-Josef Kuschel, der 1977 unter Hans Küng promovierte, übernimmt die Laudatio über Andreas Knapp. Er stellt den Gästen einen spannenden Mann vor: Einen Theologen aus dem badischen Hettingen, der sich mit 42 Jahren dem Orden der «Kleinen Brüder vom Evangelium» anschloss.

In einem schäbigen Plattenbau in Leipzig-Grünau lebt er seit 2005 mit drei Brüdern im Geiste von Charles de Foucauld zusammen und setzt sich für Menschen am Rand der Gesellschaft ein. Karl-Josef Kuschel weiss: «Das Stadtviertel ist jetzt das Kloster, die Strassenkreuzungen sind der Kreuzgang und die Stechuhren des Arbeitsplatzes diktieren die Gebetszeiten.»

Das Beladenste aller Menschenworte

Und der Deutsche stellt den Gästen einen begnadeten Autor vor, dessen Werk «zur eindrucksvollsten und meistgelesenen religiösen Lyrik der Gegenwart gehören». Karl-Josef Kuschel beschreibt einen Mann des Wortes, der genau wisse, wie sehr die religiöse Sprache ihre Unschuld verloren habe. Und dies nicht erst seit «Fake News», sondern schon mit der Shoa und den Zeiten Martin Bubers, der das Wort Gott das «Beladenste aller Menschenworte» bezeichnet habe.

Andreas Knapp möchte dieses verschlissene und verdorbene Wort, so Karl-Josef Kuschel, vom Unrat der Zeit befreien. Es neu formulieren und definieren, was er in seinem Gedichtband «Gott» getan habe. Charakteristisch für den Sprachkünstler Knapp sei, dass er die Rede von Gott nicht preisgebe, «sondern fragend, suchend neu entdecken will. In Räumen, wo man sie nicht vermutet, in Bezirken jenseits des Gesicherten».

Er stehe in der Tradition des christlichen Ikonoklasmus, einer Bilderzertrümmerung, die um Gottes willen Gottesbilder immer wieder zerstöre und neu entdecke.

Das Freilegen der Leerstellen sei zugleich, so Karl-Josef Kuschel, die Voraussetzung dafür, das neu zu versprachlichen, was an die Stelle des Wortes «Gott» rücken soll.Für Karl-Josef Kuschel ist Andreas Knapp ein würdiger Preisträger.

Dieser «kleine Bruder» und begnadete Wortkünstler, der in Leipzig in eine spirituelle Wüste gezogen sei und dort und anderswo Leerstellen mit seinen Worten und Taten neu belebe.

Andreas Knapp liest am Montagabend in Wil SG aus seinen Gedichten.

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