Lokal wirtschaften und Energie beschaffen – nicht nur zur Fastenzeit

Bern, 24.2.18 (kath.ch) Die beiden Mitglieder des Verbandes «Swiss Fair Trade» Brot für alle und Fastenopfer luden in einer nationalen Tagung unter dem Motto «Werde Teil des Wandels» dazu ein, über Wege aus der systemischen Krise nachzudenken. Neben einem Podium mit Denkern der Transitions-Bewegung wurde in Workshops über lokale Initiativen berichtet. Diese Bewegung strebt eine Wirtschaft auf lokaler Ebene an und will auch eine Energiewende.

Vera Rüttimann

Es passte, dass diese Tagung, die im Rahmen der diesjährigen Fastenkampagne  organisiert wurde, in den Räumen des multifunktionalen Zentrums «Welle 7» beim Berner Bahnhof stattfand. An einem Ort, in dem sich Start-Ups und Co-Working-Spaces eingerichtet haben und wo neue Ideen spriessen. Das sei angesichts der Weltlage nötiger denn je, sagte Bernd Nilles, Geschäftsleiter des Fastenopfers, in seinem Grusswort.

Soziale Ungleichheit und globale Klimakrise verschärfen sich, als Folge würden auch politische Spannungen zunehmen. Für die mehrere hundert engagierten Tagungsgäste aus den Bereichen Kirche, Politik und Wirtschaft, die sich in der «Welle 7» versammelten, ist der Slogan «Anders besser leben» deshalb keine leere Worthülse.

Veränderung aus den Nischen heraus

Was lässt sich gegen die systemische Krise tun? Bernd Nilles betonte in seinem Eingangsreferat: «Wir träumen nicht von einem neuen System, schon gar nicht durch Gewalt. Wir glauben an die Veränderung aus den Nischen heraus. Es gibt immer mehr Menschen, die anders leben und arbeiten wollen. Sie gehen jedoch nicht auf die Strasse, sondern sie handeln im Kleinen.»

Deshalb fordere die neue Kampagne der Fastenaktion jeden Einzelnen auf, Teil des Wandels zu werden. Das gehe, so Bernd Nilles, nur mit einer umfassenden «inneren Transition, wo Kopf, Herz und Hand eine Einheit bilden».

In welcher Welt wollen wir leben?

Mit dem Inder Satish Kumar konnte eine der Leitfiguren der weltweiten Transitions-Bewegung als Keynote-Sprecher gewonnen werden. Keynote steht für einen Vortrag mit einer Kernbotschaft, der das Hauptthema oder den Rahmen einer Veranstaltung setzen und die Zuhörer inspirieren soll. Der 81-Jährige, der im Alter von neun Jahren seine Familie verliess, um Jain-Mönch zu werden, bestach auf dem Podium mit seiner charismatischen Präsenz. Kumar ist Chefredaktor des Magazins Resurgence & Ecologist.

Er schreibt über alternative Lebensformen. Er forderte seine Zuhörer als Erstes dazu auf, «herausfinden, wer ihr wirklich seid, was ihr in eurem Leben wollt und in welcher Welt ihr Leben möchtet». Transition sei auch ein spiritueller Prozess. Satish Kumar zitierte Mahatma Gandhi mit den Worten: «Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst in dieser Welt».

Nachhaltige Städte

Der Gründer und Direktor des Schumacher College, eines Ausbildungszentrums für holistische (eine ganzheitliche, die Red.) Ökologie und nachhaltige Lebensformen, informierte über die vor zehn Jahren vom britischen Forscher und Umweltaktivisten Rob Hopkins gegründete Transition-Towns-Bewegung, in der es darum gehe, nachhaltige Veränderungen im urbanen Raum voranzutreiben.

Als wesentliche Elemente dieser Bewegung nannte Kumar ein einfaches, schlichtes Leben in Würde, Selbstversorgung, ein Leben im Einklang mit der Natur und miteinander materielle und ideelle Güter teilen. Ziel sei es, die Unabhängigkeit zu fördern und einen zukunftsfähigen Lebensstil in einer Gemeinschaft zu erschaffen, die von Herzenswärme geprägt sei.

Lokale Projekte des Wandels

In einem Podiumsgespräch zeigten die Referenten und Referentinnen die bunte Palette solcher lokalen Initiativen des Wandels. Alle Keynote-Sprecher konnten aus bewegten Lebensläufen und über ungewöhnliche Projekte berichten. So auch Cécile Renouard. Die Ordensfrau der Glaubensgemeinschaft «Religieuse de l’Assomption» ist Doktorin der politischen Philosophie, Professorin an der ESSEC Business School im Raum Paris und Direktorin des Forschungsprogramms CODEV – Entreprise et développement.

Die Profitgier von Unternehmen ist der Ordensfrau ein Dorn im Auge. Sie berichtete: «Mit meinen Studenten und Studentinnen untersuche ich, in welchem Mass Unternehmen zur Nachhaltigkeit in fragilen Staaten beitragen können.»

Die Transitions-Idee, betonte Cécile Renouard, habe auch in der katholischen Kirche Anhänger. Die Ordensfrau wies auf die Enzyklika «Laudato Si» von Papst Franziskus hin, die in vielen Passagen den Menschen und seine Beziehung zur Umwelt thematisiere und dazu auffordere, ökologische Grasswurzel-Projekte zu initiieren.

Lokal ausprobieren

Olivier de Schutter, Professor an der katholischen Universität von Louvain in Belgien und ehemaliger Uno-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung, berichtete auf dem Podium über eine Gruppe von Forschern, die sich im Transitions-Labor der Universität Löwen in Belgien zusammengeschlossen haben, um am Beispiel von lokalen Innovationsprojekten Faktoren für den Aufbau einer nachhaltigeren Gesellschaft herauszuarbeiten. Sie arbeiten an einem Standartwerk über die «Theorie der Transition».

Weiter berichtete Jean-Claude Mensch, Bürgermeister von Ungersheim in Frankreich, über das Projekt «Village en transition». Der Elsässer sagte: «Ungersheim entwickelt sich mit seinem ortseigenen Solarkraftwerk immer mehr zu einem autarken Dorf. Ganz Frankreich schaut auf uns.»

Der Priester Caesar Henry, Koordinator der Greenbank, informierte auf der Bühne über ausgebeutete Adivasi- und Dalitgruppen in Indien, die sich dank gemeinsamen Sparkassen von ihren Schulden bei Grossgrundbesitzern befreien konnten.

Anders wirtschaften mit Opaline

Auch in der Schweiz gibt es bereits Transitions-Projekte: In Winterthur existiert «Bio für Jede». Interessierte können verschiedene Gemeinschaftsgärten pflegen, ein Gemüseabo von StadtLandNetz lösen und einem Verein von Urban Gardeners beitreten. Auch in Bern und Zürich engagieren sich Städter in Transitions-Projekten.

Im Workshop «Sorgfältiges Wirtschaften» sprach Chantal Amberg über das im Walliser Dorf Orsière ansässige Unternehmen Opaline, das Obst- und Gemüsesäfte aus frisch gepressten Früchten entwickelt. Die 31-Jährige fühlt sich in ihrem neuen Job richtig gut. Zuvor war Chantal Amberg in grossen multinationalen Firmen tätig, wo sie sich zunehmend nicht mehr wohlfühlte. «Ich habe meine eigene Transition durchgemacht», sagte sie und zählte auf, was ihr bei Opaline gefällt: «Die Authentizität, die bewusst gesuchte Nähe zu den Bauern sowie die grosse Motivation, mit der hier alle zu Werke gehen.» Zudem gebe es bei Opaline, das 2014 den Schweizer Ethikpreis gewann, keine Hierarchien.

An der Tagung unter dem Motto «Werde Teil des Wandels» wurde intensive Vernetzungsarbeit geleistet. Zudem erhielten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an Workshops in Form von Übungen Instrumente an die Hand, um auch andere für nachhaltige Projekte zu begeistern, die der Transition-Bewegung Schwung geben. Satish Kumar entliess die Tagungsäste mit den Worten: «Wir sind alle auf einem Weg, auf einer gemeinsamen Pilgerschaft.»

 

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