Nichts ist göttlicher, als Mensch zu sein

Chur, 22.2.18 (kath.ch) «Was ist ein Engel? Was ist ein Mensch?». Solche Fragen stellt das Theaterstück «Der Engel» der Benediktinerin Silja Walter. Eine Hommage an das menschliche Dasein. , neu inszentiert vom «Theater 58». Im Video von kath.ch kommen sowohl Schauspieler als auch der Regisseur zu Wort.

Vera Rüttimann

Was würde der Erzengel Rafael tun, käme er jetzt in dieser von Krisen geplagten Zeit zur Erde? Würde er Flüchtlingen helfen oder wegsehen? Die Besucher in der voll besetzten reformierten Regulakirche Chur sehen eine Aufführung, in der Weltbilder auf den Kopf gestellt werden.

In diesem Theaterstück, das auf dem alttestamentlichen Buch Tobit fusst, kommt der unglückliche Engel Rafael selbst als Flüchtling zur Erde. Das verwirrte Himmelswesen klopft bei einer Familie an, die ihn nur wiederwillig aufnimmt. Unter seinen Flügeln trägt er eine abgewetzte Jacke.

«Es gibt nichts Göttlicheres, als Mensch zu sein!»

Bald erhellt seine Erscheinung auch sein Umfeld. Nicht nur Sarah, mit der er sich anfreundet, verändert sich – auch Rafael selbst. Der Erzengel will plötzlich Mensch werden, er will seine Unsterblichkeit mit dem sterblichen, verletzlichen Menschsein austauschen.

Denn: Selbst Gott, so Raffael, habe niemals vorgehabt, als Engel zu leben, sondern wollte Mensch werden. «Es gibt nichts Göttlicheres, als Mensch zu sein!», ruft er. Als Mensch wolle er Flüchtlingen helfen und erleben, wie es ist, geächtet, verfolgt und vertrieben zu werden.

Menschsein heisst leiden.

Spätestens bei dieser Szene erkennen die Zuschauer die brennende Aktualität dieses Theaterstücks, das auf dem Text von von Silja Walter aufbaut. Die subtile Inszenierung von André Revelly bietet einen anderen Blick auf flüchtende Menschen.

Engel als Menschen unterwegs

Engel, so das Stück, seien oft auch als Menschen aus Fleisch und Blut unterwegs. Sie tragen Alltagskleidung, arbeiten an der Supermarktkasse, putzen oder pflegen alte Menschen.

Doch Rafael muss bald feststellen: Menschsein bedeutet auch leiden. Er begegnet menschlichen Gefühlen wie Argwohn und Misstrauen bei der Figur Tobit. Dieser denkt, dass die Salbe, die Rafael ihm für seine kranken Augen gegeben hat, vergiftete Fischpaste sei. Auch der Eifersucht begegnet er, denn Sarah hat einen Freund. Selbst spürt er dieses Gefühl dann sogar am eigenen Leib, als ihn Sarah abweist.

Zwischen Stille und Drama

Die Hauptfigur ist zwischen der weltlichen und der göttlichen Welt hin- und hergerissen. Erstere ist von Machtgier, Erfolgszwang und Bösem gefüllt. Die göttliche strebt unermüdlich nach Vertrauen und Liebe und Gutes -Tun. Rafaels Zerrissenheit steht für das Gute und das Böse, das in jedem Menschen steckt. 

Das Stück bewegt sich ständig zwischen Stille und emotionalen Ausbrüchen. Dem hervorragenden eingespielten Ensemble gelingt es im Altarraum der Regulakirche in Chur meisterhaft, die Botschaft der 2011 verstorbenen Ordensfrau Silja Walter in Worte und Bilder zu fassen.

Sprachkraft

Am Ende des aufwühlenden Stückes, das von zahlreichen kirchlichen Institutionen und Stiftungen unterstützt wird, sind die Zuschauer hingerissen. Das liegt nicht nur an der famosen Darbietung des fünf-köpfigen Theaterensembles, sondern auch an der grossen sprachlichen Kraft, die die Texte der Mystikerin und Ordensfrau vom Limmattal noch heute ausstrahlen. Sie schaffen Spielräume, in die man seine eigenen Erfahrungen hineinlegen kann. Die faszinierenden Sprachbilder und die Fragen, die sie aufwerfen, öffnen Augen und Ohren für das Dahinter – für das Göttliche.

Hinweis: Das Stück wird noch bis am 15. Dezember an zahlreichen Orten in der Schweiz, oftmals in Kirchen, aufgeführt.

Im kath.ch-Video sprechen die Schauspieler und der Regisseur des Theaterstücks über Engel und Menschen.

 

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https://www.kath.ch/newsd/video-theaterstueck-wenn-engel-nicht-mehr-engel-sein-wollen/