Der Stadt Zürich müsste der interreligiöse Dialog am Herzen liegen

Zürich, 6.2.18 (kath.ch) Der Zürcher Gemeinderat hat beim Institut für interreligiösen Dialog ZIID den Rotstift angesetzt. Bei der Geschäftsleiterin des ZIID, Andrea König, stösst die Haltung der bürgerlichen Stadtpolitiker auf wenig Verständnis. Diesen müsste der Dialog zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften am Herzen liegen, sagt König im Interview mit kath.ch von Mittwoch. Das Zentrum befinde sich zudem im Aufbau, die Streichung treffe das Institut in einem heiklen Moment.

Georges Scherrer

Wie stellen Sie sich als Geschäftsleiterin des ZIID zum Entscheid des Gemeinderates?

Andrea König: Zunächst möchte ich festhalten, dass der Entscheid mit nur einer einzigen Stimme Mehrheit gefallen ist. Der Kürzungsantrag der FDP wurde hauchdünn und mit einem Zufallsmehr angenommen. Wir hätten uns natürlich gefreut, wenn der Gemeinderat die stadträtliche Weisung in der ursprünglichen Form angenommen hätte.

Das hätte dem ZIID über vier Jahre Planungssicherheit gegeben, die wir nun nur in beschränktem Masse haben. Zudem bindet dieser Entscheid Ressourcen, die wir eigentlich anderswo dringend nötig gehabt hätten.

Das Institut hat kürzlich neue Räume im Kulturpark im Zentrum der Stadt Zürich bezogen. Jetzt zieht der Gemeinderat die Bremsen an. Was heisst das für das Institut?

König: Die Kürzung erwischt das ZIID in einem denkbar ungünstigen Moment: Das Institut hat in den letzten Jahren viele Wechsel erlebt. Wir sind von Höngg in den Kulturpark nach Zürich-West gezogen, wir haben nach der Pensionierung verdienter und prägender Persönlichkeiten neue Fachleitungen gewonnen, die sich etablieren müssen, und ich habe die Geschäftsleitung vor fünf Monaten übernommen. Kurz: wir befinden uns mitten in einem Aufbauprozess.

«Auf die Dauer wäre eine solche Kürzung tatsächlich existenzgefährdend.»

Der neue Standort bietet Vorteile, die wir ausnützen müssen und wollen. Das ZIID hat das klare Ziel, sein Bildungsangebot breiter anzubieten und sich besser zu vernetzen. Das geschieht aber nicht über Nacht.

Ist der Entscheid existenzbedrohend für das Institut?

König: Der Entscheid tut weh. Dass diese Mittel fehlen, ist klar. Für uns sind 40’000 Franken kein Klecks. Auf die Dauer wäre eine solche Kürzung tatsächlich existenzgefährdend, wenn wir keine anderen Geber finden, die sich längerfristig für das Projekt engagieren.

140’000 Franken reichen nicht aus, damit das Institut funktionieren kann. Sie erhalten Beiträge der katholischen und der reformierten Kirche. Was bedeutet das für das Institut?

König: Dass uns die katholische und die reformierte Kirche mit einem Beitrag unterstützen, ist sehr wichtig. Nicht nur rein materiell. Sie zeigen, dass die beiden Kirchen hinter der Aufgabe stehen, die sich die Stiftung gegeben hat. Sie anerkennen dadurch auch unsere Arbeit. Die beiden Kirchen zeigen mit ihrem Engagement, dass sie den Dialog ernst nehmen.

Die bürgerlichen Parteien erwecken den Eindruck, die Bemühungen um ein respektvolles Zusammenleben verschiedener Religionsgemeinschaften seien ihnen nicht ein Anliegen.

Es ist bedauerlich, dass der Entscheid des Gemeinderates den Eindruck entstehen lässt, den bürgerlichen Parteien – es waren die rechts-bürgerlichen Parteien inklusive CVP und GLP, die den Kürzungsantrag der FDP unterstützten – seien die Bemühungen um ein respektvolles Zusammenleben verschiedener Religionsgemeinschaften nicht wirklich ein Anliegen und keine 140’000 wert.

Stimmt der Vorwurf von CVP, FDP, SVP und GLP, dass keine jüdische oder muslimische Organisation das Institut finanziell unterstützt?

König: Richtig ist, dass es keine regelmässigen Betriebs-Beiträge aus diesen beiden Gemeinschaften gibt. Falsch ist, dass die beiden Gemeinschaften sich gar nicht beteiligen. Wir werden von jüdischen Stiftungen und auch Privaten unterstützt. Das Problem ist, dass Stiftungen fast nie Gelder für Betriebsbeiträge sprechen, da Stiftungen ja an einen Stiftungszweck gebunden sind und am liebsten in konkrete Projekte investieren. Auch muslimische Organisationen wie zum Beispiel die Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (Vioz) haben das ZIID bei ausgewählten Aktivitäten, zum Beispiel dem Festival der Religionen 2015, finanziell und inhaltlich unterstützt.

«Wir leben heute in einer pluralistischen und zunehmend multikulturellen Gesellschaft.»

Regelmässige Beiträge ermöglichen einen geregelten Betrieb des Instituts…

König: Grundsätzlich wäre es natürlich wünschenswert, wenn auch die jüdischen und muslimischen Gemeinden einen Beitrag an das Funktionieren des ZIID leisteten. Es gilt aber auch die Relationen zu sehen: die katholische Kirche in der Stadt Zürich hat rund 100’000 Mitglieder, die reformierte Kirche 84’000, die beiden anerkannten jüdischen Gemeinden haben zwischen 2000 und 3000 Mitglieder. Die jüdischen Gemeinden müssen zusätzlich mit ihren Einnahmen für ihre ganzen Sicherheitsmassnahmen selber aufkommen.

Im Gegensatz zu den alteingesessenen jüdischen Gemeinden sind die muslimischen Gemeinden erst im Aufbau. Sie sind nicht öffentlich-rechtlich anerkannt und erhalten deshalb von ihren Mitgliedern keine Steuern. Diese Gemeinschaften kämpfen finanziell in erster Linie einmal um das eigene Überleben.

Sie sind auf Spenden angewiesen. Woher stammen diese?

König: Das sind Spenden und Legate von Privatpersonen und Stiftungen aller Denominationen.

Was hat Ihrer Ansicht nach dazu geführt, dass rechtsbürgerliche Politiker beim ZIID den Rotstift angesetzt haben?

König: Es liegt nicht an uns, die Einstellungen einzelner Politiker und Politikerinnen zu kommentieren. Grundsätzlich möchten wir aber der Meinung widersprechen, dass der Dialog der Religionen und auch der Kulturen eine rein «kirchliche» oder private Angelegenheit sei: Der Dialog darüber, wie wir in unserer heutigen Zeit friedlich mit- und nebeneinander leben wollen, ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit, die uns alle etwas angeht.

«Zusammen leben müssen wir trotz unterschiedlicher Meinungen und Überzeugungen.»

Haben Religionsanliegen heute allgemein einen schweren Stand in Politik und Gesellschaft?

König: Wir leben heute in einer pluralistischen und zunehmend multikulturellen Gesellschaft, die einen sind religiös, die anderen sind es nicht, die einen sind hier aufgewachsen, andere nicht. Aber zusammen leben müssen wir trotz unterschiedlicher Meinungen und Überzeugungen. Das gelingt dann, wenn wir lernen, die Fragen der anderen ernst zu nehmen, die Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und in eine konstruktive Debatte miteinander treten, um Lösungen zu finden. Den Kopf in den Sand stecken, die Probleme nicht wahrhaben wollen oder auf andere abwälzen, kann zwar politisch zunächst erfolgreich sein, löst aber die Schwierigkeiten nicht. (aktualisiert am 9.2./rp)

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/der-stadt-zuerich-muesste-der-interreligioese-dialog-eigentlich-am-herzen-liegen/