«Zum Glück schenkt mir auch an Weihnachten niemand etwas Religiöses»

Zürich, 24.12.17 (kath.ch) Weihnachten gilt als Fest der Familie. Wie feiert ein Bischof Weihnachten? Weihbischof Alain de Raemy* (58) erzählt im Interview mit kath.ch, wo er als Zelebrant auftritt, worauf er beim Schenken achtet und wie er in seiner Zeit als Kaplan der Schweizergarde von Heimweh geplagte Gardisten tröstete.

Barbara Ludwig

Herr Weihbischof, wie feiern Sie dieses Jahr das Weihnachtsfest?

Alain de Raemy: So wie es sich für einen Bischof gehört. Ich stelle mich jedes Jahr als Zelebrant von Gottesdiensten zur Verfügung, wobei ich jeweils auch die Predigt halte. Dieses Mal feiere ich die Mitternachtsmesse in Lausanne, wo ich übernachten werde. Am Vormittag des 25. Dezembers feiere ich den Weihnachtsgottesdienst in Neuenburg. Anschliessend bin ich bei Diözesanbischof Charles Morerod zum Mittagessen eingeladen. In Freiburg gibt es die Tradition, dass der Diözesanbischof an Weihnachten den Domprobst von St. Nikolaus, den Pfarrer der Kathedrale, die beiden Freiburger Bischofsvikare und den Weihbischof zum Mittagessen einlädt.

Aus Ihrer Antwort schliesse ich, dass es für Sie an Heiligabend keine Bescherung im Kreis Ihrer Familie gibt.

«Den Bischof und den Domprobst sehe ich auch so immer wieder.»

De Raemy: Seit meiner Priesterweihe feiere ich den Heiligabend nicht mehr mit meiner Familie. Als ich noch in Freiburg Pfarrer war, fand das Familientreffen jeweils am 25. Dezember statt. Heuer hat die Familie entschieden, dass wir erst am 26. Dezember feiern. Aus diesem Grund kann ich ganz ruhig am Mittagsessen im Bischofshaus teilnehmen. Andernfalls hätte ich darauf verzichtet und der Familie den Vorzug gegeben. Den Bischof, den Domprobst und die Bischofsvikare sehe ich auch so immer wieder.

Findet die Bescherung am 26. Dezember statt?

De Raemy: Ja. Wir treffen uns bei meinem Bruder in Luzern. Mit dabei sind meine beiden Schwestern, meine Mamma – sie ist 94 Jahre alt – und ihre Schwester. Mein Vater ist vor drei Jahren gestorben. Die eine Schwester reist aus Australien an, die ältere kommt mit ihrem Mann aus Sitten. Auch die Kinder meines Bruders und meiner älteren Schwester kommen ans Treffen. Es ist ein kleiner Kreis.

Lassen Sie sich an Weihnachten gerne beschenken?

De Raemy: Ja (lacht).

Wie ist das für Sie?

De Raemy: Es ist interessant, weil die Bescherung etwas über die Persönlichkeit des Schenkenden aussagt. Ich erlebe selten Überraschungen. Wenn die Geschenke von meiner Schwester aus Australien kommen, dann schon. Sie ist originell. Jedes Jahr schenkt sie mir etwas anderes. Bei den übrigen Familienmitgliedern weiss ich in etwa, was mich erwartet (lacht).

Was denn?

De Raemy: Mein Bruder schenkt mir immer einen Familienkalender. Auf jedem Monatsblatt ist ein Foto, das ein Kind oder ein familiäres Ereignis zeigt. Meine ältere Schwester schenkt mir meistens ein Kleidungsstück.

Für den Alltag oder für den liturgischen Gebrauch?

«Nicht einmal meine Mutter hat den Jahrestag meiner Priesterweihe im Kopf.»

De Raemy: Für den Alltag. Es ist seltsam. Kein Familienmitglied, nicht einmal meine Mutter, hat den Jahrestag meiner Priesterweihe oder meiner Bischofsweihe im Kopf; mein Geburtstag hingegen geht nie vergessen. Das verletzt mich überhaupt nicht. Es bedeutet, dass auch an Weihnachten niemand daran denkt, mir etwas Religiöses zu schenken. Zum Glück (lacht).

Wenn Sie der Schenkende sind, worauf schauen Sie?

De Raemy:  Ich schenke meistens Bücher. Bücher, die ich selber mit Genuss gelesen habe, die mir etwas gebracht haben. Nicht immer, aber meistens ist es Literatur.

Überlegen Sie dann auch, ob das Buch die betreffende Person interessieren könnte?

De Raemy: Ich schenke nicht allen das gleiche Buch, sondern überlege mir, ob es der Persönlichkeit des Beschenkten entspricht. Manchmal darf es ein Roman sein, der einfach nur unterhält. Meistens schaue ich jedoch darauf, dass das Buch auch eine Botschaft transportiert.

Erhält also auch am bevorstehenden Fest jemand ein Buch von Ihnen mit einer Botschaft?

De Raemy: Ja. Auf das eine Buch bin ich zufällig in einer Fernsehsendung gestossen. Autorin ist die französische Schriftstellerin Véronique Olmi, die in Frankreich sehr berühmt ist. Ihr Buch erzählt die Geschichte von Joséphine Bakhita, einer sudanesischen Sklavin. Bakhita wurde von der Familie eines italienischen Konsuls nach Italien mitgenommen, wo sie den Glauben entdeckte. Sie ist eine ganz starke Persönlichkeit. 2000 wurde sie heiliggesprochen.

Wie lautet die Botschaft des Buches?

De Raemy: Das Buch zeigt Gottes Wirken im Leben einer Frau, das alles andere als einfach war.

Möchten Sie verraten, wer dieses Buch bekommt?

De Raemy: Ich weiss es noch nicht. Denn ich habe verschiedene Möglichkeiten. Ich möchte auch ein Buch des jüdischem Autors Yuval Noah Harari mit dem Titel «Homo Deus» verschenken, das im französischen Sprachraum sehr bekannt ist. Harari beschreibt darin, was die Robotisierung für unsere Gesellschaft bedeutet.

Es ist schon passiert, dass ich im letzten Moment – während der Bescherung – die Meinung darüber geändert habe, wer welches Buch erhalten soll.

Sie haben die ersten 15 Jahre Ihres Lebens in Barcelona verbracht. Haben Sie aus dieser Zeit eine besondere Erinnerung an das Weihnachtsfest?

«Ich sah Tränen in den Augen von Schweizergardisten.»

De Raemy: Ja. Für die Katalanen und die Spanier allgemein ist der 6. Januar der Tag der Bescherung. Ganz logisch, am Dreikönigsfest. Der 6. Januar ist der eigentliche Weihnachtstag, an dem die Familie zusammenkommt. An diesem Tag gibt es auf den Strassen Prozessionen mit den drei Königen. Und am Vorabend stellen die Eltern jeder Familie Wasser und Zucker für die Kamele der drei Weisen vor die Wohnungstüre. Am nächsten Morgen schauen die Kinder sofort nach, ob Wasser und Zucker noch da sind und die drei Könige Geschenke gebracht haben. Wir wohnten in einer Mietwohnung im dritten Stock. Ich weiss nicht, wie wir uns das vorstellten, die Kamele, die das Treppenhaus hochsteigen…

Während sieben Jahren waren Sie Kaplan der Päpstlichen Schweizergarde in Rom. Wo feierten Sie in dieser Zeit Weihnachten?

De Raemy: Immer im Vatikan. Das gehört zu den Aufgaben des Seelsorgers der Garde. Für die meisten Gardisten ist es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie Weihnachten nicht zuhause in ihrer Familie feiern. Ich erinnere mich, dass ich manchmal während der Mitternachtsmesse mit dem Papst Tränen in den Augen des einen oder anderen sah. Es ist eine schwierige Zeit für die Gardisten, gerade auch weil in Rom im Advent so gar keine weihnächtliche Stimmung herrscht. An Heiligabend bin ich jeweils vor und nach der Mitternachtsmesse bei den Dienstposten vorbeigegangen und habe ihnen Guetzli und Glühwein – offiziell Tee – mitgebracht.

Advent und Weihnachten verlieren in unserer Gesellschaft immer mehr ihren christlichen Gehalt.

De Raemy: Man sieht es an den Adventskalendern. Man öffnet die Türchen und sieht irgendetwas, das nichts mit dem christlichen Glauben zu tun hat.

Stimmt Sie das traurig?

«Es ist uns nicht gelungen, den Glauben weiterzugeben.»

De Raemy: Nein. Ich sehe dies mehr als eine Herausforderung. Es ist eine normale Entwicklung. Die Gesellschaft hat sich verändert. Viele haben das Gefühl, es gehe ohne Glauben. Ein bisschen ist es auch unsere eigene Schuld. Denn es ist uns nicht gelungen, den Glauben weiterzugeben. Aber ich werfe niemandem etwas vor. Wir sollten nicht traurig darüber sein, dass die Feiertage ihren christlichen Charakter verloren haben. Wir sollten froh sein, den Glauben noch zu haben und aus dem Glauben heraus gute Menschen sein zu dürfen – für unsere Mitmenschen. Weihnachten hilft dabei. Die Menschwerdung Gottes ist etwas, was mich immer wieder beeindruckt.

*Alain de Raemy ist Weihbischof und Generalvikar im Bistum Lausanne-Genf-Freiburg. Der 58-jährige Westschweizer ist zudem Medienbischof und Jugendbischof für den französischsprachigen Teil der Schweiz.

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/zum-glueck-schenkt-mir-auch-an-weihnachten-niemand-etwas-religioeses/