Die fünf grossen Schweizer Selbstbestimmungs-Organisationen zu den Schlussfolgerungen des Nationalen Forschungsprogramms NFP 67 «Lebensende»

Medienmitteilung

Die Erkenntnisse des Nationalen Forschungsprogramms NFP 67 «Lebensende» – insbesondere im Bereich von Sterbeautonomie und Freitodbegleitung – sind nicht wirklich bahnbrechend oder neu. Den Empfehlungen an die Politik in diesem Bereich mangelt es teilweise an Realitätsbewusstsein. Immerhin zeigt der «Synthesebericht» aber, dass die Kritik, welche die fünf Schweizer Selbstbestimmungsorganisationen vor vier Jahren am Programm äusserten, ihre Wirkung nicht verfehlt hat. So hat das Programm bei der Wertung der Suizidhilfe erkannt, dass es sich um ein Randphänomen handelt und auch in diesem Bereich die Patientenselbstbestimmung zu schützen und zu stützen ist.

Bern / Zürich, 21.11.2017 – Die fünf Selbstbestimmungsorganisationen der Schweiz zeigen sich erfreut, dass ihre Kritik am NFP 67 der letzten Jahre Wirkung gezeigt hat: Die Leitung hat sich in der öffentlichen Verurteilung der Suizidhilfe zurückgenommen; die Obsession mit dem Trend im Ausführungsplan ist im Synthesebericht der Realität gewichen, dass die Patientenautonomie auch in diesem Bereich wichtig ist und die Suizidhilfe im Gegensatz zur passiven oder indirekt aktiven Sterbehilfe im Spital ein absolutes Randphänomen bleibt.

Ernüchternd sind hingegen die heute Dienstag durch die Leitung präsentierten Resultate des mit 15 Millionen Franken Steuergeldern dotierten Forschungsprogramms. Dass es am Lebensende Gespräche bräuchte, ein funktionierendes Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt, die Palliative Care wichtig und zu fördern sei und in der Schweiz im Vergleich zum Ausland mehr selbstbestimmte Entscheide vorkommen am Lebensende, ist hinlänglich bekannt. Etwas mager sind die Resultate vor allem im Freitodbegleitungsbereich: Die meisten Patienten am Lebensende nehmen das nicht in Anspruch, deshalb bleibt es ein Phänomen im untersten Prozentbereich und vor allem in urbanen Zentren; Ärzte sind zu wenig ausgebildet im Sterbehilfebereich und verunsichert, wenn sie helfen oder nur schon die Urteilsfähigkeit bestätigen sollen. Alle diese Punkte haben die fünf Selbstbestimmungsorganisationen schon vor Jahren nachgewiesen.

Bei den politischen Empfehlungen der NFP-67-Leitung machen die fünf Organisationen zudem gewisse Fragezeichen. Die Forderungen nach Monitoring, Regulierung und Kontrolle können zu wenig durch wissenschaftliche Evidenz unterlegt werden. Naiv mutet die Forderung an, es brauche mehr Gespräche und Vertrauensverhältnisse mit und zu den Ärzten am Lebensende – das ist angesichts des knappen Zeitbudgets der Mediziner praxisfremd. Nicht nachvollziehbar ist, weshalb das NFP noch mehr Kontrolle bei in die Suizidhilfe involvierten Medizinern fordert, einem der am besten untersuchten Sterbehilfebereiche überhaupt (Legalinspektion, Amtsarzt, Polizei, Staatsanwaltschaft) und nicht stattdessen mehr Kontrolle im Bereich der indirekt aktiven Sterbehilfe in Spitälern, die überhaupt nicht kontrolliert ist, oft urteilsunfähige Patienten betrifft und ein Vielfaches häufiger vorkommt als Freitodbegleitungen, oder im Bereich der Übertherapien. Erklärungsbedürftig ist, weshalb aus dem juristischen Begriff der Urteilsfähigkeit (die gemäss Zivilgesetzbuch grundsätzlich angenommen wird) ein medizinischer Begriff gemacht werden muss und dass in jedem Fall eine ärztliche Abklärungspflicht erfolgen soll. Gerade im Suizidhilfebereich steht dem entgegen, dass sich die psychiatrischen Fachärzte oft weigern, die Urteilsfähigkeit abzuklären und damit das selbstbestimmte Sterben des Patienten verhindern. Ein Monitoring wäre zwar wünschenswert, aber ebenfalls nicht sehr realistisch: Wer soll das denn machen und finanzieren?

Die Resultate im Bereich der Sterbeautonomie lassen auch deshalb teilweise zu wünschen übrig, weil sich das NFP 67 aus der Zusammenarbeit mit den Selbstbestimmungsorganisationen zurückgezogen hat, statt sich mit wissenschaftlich relevanten Studien darum zu bemühen. Der Nationalfonds hat sich zudem bis vor Bundesgericht gewehrt, um ja nicht Transparenz ins NFP 67 betreffend Studienauswahl bringen zu müssen, was die Vermutung zulässt, dass in dieser Hinsicht nicht alles ideal ablief und auch deshalb keine bahnbrechenderen Erkenntnisse resultierten.

Fazit

Erfreut darf festgestellt werden, dass in der retrospektiven Untersuchung von 3’666 Freitodbegleitungsfällen nur in absoluten Einzelfällen Unklarheiten aus den amtlichen Dokumenten hervorgingen. Das zeigt wie exakt und gründlich (und wie gut reguliert und kontrolliert) in diesem Bereich in der Schweiz offenbar gearbeitet wird durch die Behörden und die Sterbehilfevereine.

Die fünf Selbstbestimmungsorganisationen werden auch in Zukunft die (teilweise noch nicht publizierten) Resultate und Artikel genau verfolgen sowie die Einflussnahme, welche die Verantwortlichen aus dem Umfeld des NFP 67 möglicherweise auf die Politik nehmen, und den Finger auf Unstimmigkeiten halten.

Dies ist eine erste Reaktion auf das heute Dienstag den Medien und der Öffentlichkeit Präsentierte. Die fünf Sterbehilfeorganisationen werden die Studien und den Synthesebericht mit ihren Fachleuten analysieren und auswerten. Ihre alten Forderungen, die sich erfreulicherweise teilweise mit denen des NFP 67 decken – den Ausbau der Palliative Care, die Verbesserung der Patientenverfügung, volle Selbstbestimmung für Patienten am Lebensende sowie mehr Aus- und Weiterbildung für Ärzte im Suizidhilfebereich – werden sie weiterhin mit Nachdruck und mit allen ihren Mitteln fördern.

Die fünf Sterbehilfeorganisationen:

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