Stefan Frey sagt, was andere sich nicht zu sagen getrauen

Olten, 19.11.17 (kath.ch) Stefan Frey kann nicht anders. Als Sprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe wird er zwar Ende November pensioniert. Doch sein Engagement für eine bessere Welt geht ungebremst weiter. Portrait von einem, der sich einmischt.

Sylvia Stam

Stefan Frey sitzt hinter einem winzigen Notebook im Bahnhofbuffet seiner Heimatstadt Olten und telefoniert gerade mit einem «Journi», wie er hinterher sagen wird. «Dieser Absatz ist mir wichtig. Ich will sagen, dass die Schweiz das Problem nicht alleine lösen kann», sagt er ins Smartphone. Die Rede ist vom so genannten «Flüchtlingsproblem», Frey wurde gerade um eine Stellungnahme gebeten.

Knapp zwei Wochen vor seiner Pensionierung ist nichts von einer gemächlicheren Gangart zu merken. Dennoch blickt Frey «gelassen» auf die Zeit nach dem 30. November. Die Arbeit als Mediensprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, für die er in den letzten fünf Jahren tätig war, wird er nicht vermissen. Er kommt gar nicht dazu: «Ab dem 1. Dezember habe ich mehr zu tun als vorher», verrät der 65-Jährige.  »Und mein Engagement für Benachteiligte geht weiter, einfach an einem anderen Ort.»

Projekte in Madagaskar

Die von ihm vor Jahren in Madagaskar initiierten Projekte – Dörfer werden mit Strom aus Wind und Sonne versorgt – sollen Schub erhalten. Dafür wird er nun mehr Zeit zur Verfügung haben. Noch mindestens ein Jahr will er hier «Vollgas geben.»

Sich für eine bessere Welt einzusetzen, war Frey schon in früheren Tätigkeiten ein Anliegen: Nach einer KV-Lehre war er als Journalist für die «Solothurner AZ» tätig. Journalistische Projekte führten ihn nach Madagaskar, später wurde er beim WWF Programmleiter für dieses Land, ehe er zur Flüchtlingshilfe kam.

Wir waren überzeugt, die Welt verbessern zu können.

«Bei jedem Menschen stellen sich irgendwann Weichen», erklärt Frey, der in der 68er-Bewegung politisiert wurde. «Wir waren überzeugt, dass wir es schaffen, die Welt zu verbessern», erinnert er sich. Werte wie Frieden, Zugehörigkeit, Menschenliebe standen im Zentrum. Werte, die er bei der heutigen jungen Generation vermisst: «Heute gelten Werte wie Leistung, Erfolg, Konsum. Die meisten Jungen sehen kaum eine Alternative dazu.»

Obschon er sich nicht als religiösen Menschen bezeichnet, nennt er ohne Zögern die zehn Gebote als Leitlinie seines Denkens. «Nächstenliebe ist für mich eine ganz zentrale Grösse.» Entsprechend hat er keinerlei Berührungsängste mit christlichen Werten, «nur mit christlichen Institutionen. Aber das gilt auch für andere Institutionen», sagt er schmunzelnd. Dabei heben sich die halbrunden Augenbrauen über die eckige schwarze Brille.

Nächstenliebe ist für mich eine ganz zentrale Grösse

Frey spricht energisch, unterstreicht seine bisweilen pointierten Aussagen mit kurzen Handbewegungen. Von Alt-Bundesrat Christoph Blocher etwa spricht er nur als «der Herrliberger». Hinter seinen Worten wird jedoch eine Leidenschaft spürbar, etwa wenn er sagt: «Was mein Denken, den Ärger und das ‹Ausrufen› angeht, ändert sich auch nach meiner Pensionierung nichts.»

Ärger bereitet ihm etwa die aktuelle Tonlage in den Diskussionen um Flüchtlinge: «Was mich zuinnerst trifft, ist ein zunehmender Zynismus in der Bevölkerung», so Frey. «Wenn Leute wie ‹der Herrliberger› sagen, dass Flüchtlinge nur von unserem Wohlstand profitieren wollen, so ist das in höchstem Masse zynisch gegenüber Menschen, die an Leib und Leben gefährdet sind!»

Ich würde verzweifeln, wenn nicht im Stillen vieles geschähe.

Dahinter stehe die überhebliche Haltung, unser Wohlstand sei unser eigener Verdienst. Auf diese Weise würden Ängste bewirtschaftet, Hass und Hetze zum Konzept, ereifert sich Frey, und fährt dann leise fort: «Ich würde verzweifeln, wenn nicht im Stillen vieles geschähe.» Er denkt dabei an private oder kirchliche Initiativen in der Arbeit mit Flüchtlingen oder Migranten.

Christliche Werte

Was unsere Gesellschaft seiner Meinung nach dringend braucht, ist eine Diskussion über die Werte des Menschseins schlechthin: «Ist es der Sinn unseres Menschseins, möglichst viel Material anzuhäufen? Wollen wir Hedonisten erzeugen?», fragt er mit eindringlichen Blick. Glück könne nicht über Reichtum erreicht werden, sagt er mit Verweis auf die Bibelstelle vom Kamel und dem Nadelöhr. «Solche Fragen haben mehr mit dem Christentum zu tun als die Diskussion, ob in öffentlichen Räumen Kreuze hängen dürfen», sagt er mit einem Seitenhieb auf CVP-Präsident Gerhard Pfister.

Frey gerät ins Reden, wenn es um Werthaltungen, um Politik oder um seine Projekte in Madagaskar geht. Fragen zu seiner Person beantwortet er knapp. Für eine Homestory sei er nicht zu haben, liess er schon im Vorfeld ausrichten. Von seiner Familie – er hat zwei Söhne aus erster Ehe und ist über die Kinder seiner madagassischen Frau «angeheirateter Grossvater» von zwei Enkelkindern – erfährt man nur auf Nachfrage. Sein Äusseres ist unauffällig: Jeans, blaues Hemd unter blauem Pullover, robuste Lederschuhe. Das einst braune Haar ist mehrheitlich hellgrau, an der Stirn gelichtet, ein Dreitagebart umrahmt die schmalen Lippen.

Es gibt keine Alternative zu Verzicht und Teilen.

Ginge es nach Frey, müsste in unserer Gesellschaft der Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben über den Einzelinteressen stehen – seien diese nun nationalistischer oder ökonomischer Natur. «Es ist eine Illusion zu glauben, es könnte allen anderen Menschen ebenso gut gehen wie uns. Wenn alle Menschen ernsthaft menschenwürdig leben sollen, gibt es keine Alternative zu Verzicht und Teilen seitens der Wohlstandsländer.»

Ich hoffe, dass ich mich täusche.

Frey wünscht sich eine sachlichere Diskussion über diese Fragen. Und er vermisst die Stimme der Intellektuellen. Ob er deshalb ein Buch zu dieser Thematik verfasst hat? In seinem Roman «Der Abgang», als «Book on Demand» in Buchhandlungen und als E-Book erhältlich, skizziert er ein Szenario, wie die Schweiz in naher Zukunft aussehen könnte, wenn Populisten an die Macht kommen. «Ich hoffe, dass ich mich täusche», sagt er, und es klingt nicht allzu optimistisch.

Zweites Buch in Planung

Woher nimmt er angesichts dieses düsteren Szenarios seine Motivation, dennoch an solchen Fragen dranzubleiben? «Ich kann gar nicht anders», entgegnet er schlicht. Es brauche immer ein paar Spinner, die sagen, was andere sich nicht zu sagen getrauen. «Ich halte es für die Pflicht von informierten Leuten, ihre Schlussfolgerungen weiterzugeben.»

Ich kann gar nicht anders.

Entsprechend ist auch bereits ein neues Buch in Planung, in dem die Armut im Freiamt des 19. Jahrhunderts mit dem Reichtum von Paris in dieser Zeit kontrastiert. Paris, eine Stadt, die er wegen ihrer Atmosphäre und Schönheit regelmässig besucht, nennt er denn auch sein einziges «Hobby». Andere brauche er nicht, insbesondere «no sports», zitiert er Winston Churchill lachend. Energie schöpft er aus dem Zusammensein mit seiner Frau, zu dem auch häufiges gemeinsames Kochen gehöre – «meine geheime Leidenschaft», verrät er erst ganz am Ende des Gesprächs.

Und was wünscht er der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zum Abschied? «Dass sie sich eines Tages auflöst», sagt Frey ohne Zögern, «weil es sie nicht mehr braucht, nachdem in der Welt der Friede ausgebrochen ist.»

 

 

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