«Fantasy fragt nach Hoffnung angesichts der alles verschlingenden Dunkelheit»

Luzern, 23.10.17 (kath.ch) Fantasy-Geschichten haben in Film und Literatur Hochkonjunktur. Warum diese Gattung heutige Menschen anspricht und welche Parallelen es zwischen Glauben und Fantasy gibt, erklärt der Autor Daniel Illger im Interview mit kath.ch.

Sylvia Stam

Was hat Fantasy mit Glauben zu tun?

Daniel Illger: Fantasy ist einer der wenigen Orte in der modernen Populärkultur, wo man metaphysische Fragen thematisieren kann, wo sich ein Raum zur Transzendenz öffnet. Dies wird möglich, weil Fantasy mit gewissen Grundannahmen unseres gegenwärtigen Denkens bricht.

Wie meinen Sie das?

Illger: Unsere Gesellschaft geht davon aus, dass Ambivalenz, also eine gewisse Zweideutigkeit, besser ist als Nicht-Ambivalenz. Eine unverrückbare Behauptung wie «das ist richtig und das ist falsch» oder «das ist gut und das ist böse» erscheint uns heute als verdächtig – mit guten Gründen. In vielen Fantasy-Romanen gibt es jedoch eine Bedrohung, die nur noch hoffnungslos und vernichtend ist. Der Leser wird zusammen mit den Figuren des Fantasy-Romans an einen Punkt geführt, wo man ein eindeutiges Ja oder Nein zu dieser Bedrohung sagen muss.

Inwiefern geht es da um Transzendenz?

Illger: An diesem Punkt drehen sich die Geschichten meist um den Kampf um eine neue Hoffnung, eine neue Zukunft. Hier öffnet sich der Raum zur Transzendenz hin, weil es da eben um Gut und Böse in einem letztlich metaphysischen Sinn geht.

In einer unfassbaren Dunkelheit leuchtet das Gute auf.

Das bedeutet nicht, dass die Figuren in Fantasy-Romanen eindeutig gut oder böse sind. Aber die Fantasy-Welten selber unterstehen einem Gesetz, das diese letzte Wahrheit von Gut und Böse anerkennt.

Welche Rolle spielt Hoffnung in Fantasy-Romanen?

Illger: Hoffnung ist eines der ganz entscheidenden Themen von Fantasy. «Der Herr der Ringe» von J.R.R. Tolkien beispielsweise stellt die Frage nach der Möglichkeit von Hoffnung in Anbetracht einer Dunkelheit, die das menschliche Mass übersteigt und jede Hoffnung auszulöschen droht. Die Figuren versuchen trotz dieser Bedrohung immer wieder Gefühle wie Freundlichkeit, Unterstützung oder Liebe zu finden und dadurch der Dunkelheit die Stirn zu bieten. Gute Fantasy stellt diese Frage nach Hoffnung angesichts einer alles verschlingenden Dunkelheit. Freilich können die Antworten sehr skeptisch ausfallen.

Genau diese Perspektive der Hoffnung bietet auch das Christentum.

Illger: Unbedingt! Bei Tolkien als christlichem Fantasy-Autor ist diese Verbindung besonders deutlich: In einer unfassbaren Dunkelheit leuchtet das Gute auf, so klein und verschwindend es sein mag. Aber dieses Gute erweist sich am Ende sich als stärker als alle Dunkelheit – das ist bei Tolkien ein ganz zentraler, christlich begründeter Gedanke.

Ich stelle die Frage nach der Macht des Bösen.

Gilt das auch für Ihre Romantrilogie «Skargat»?

Illger: Ja. Viele der Figuren aus der Skargat-Trilogie sind Aussenseiter, die sich selber schon abgeschrieben haben. Sie halten sich für Nichtsnutze oder Versager. Im Laufe der Geschichte bekommen jedoch alle eine Chance, sich selbst und das eigene Leben anders zu sehen, auch wenn sie diese nicht immer ergreifen.

Wie zeigt sich das Böse in Ihrer Trilogie?

Illger: Ich versuche, in den Skargat-Büchern die Frage nach der Macht des Bösen zu stellen. Das geht vom kleinen alltäglichen Bösen – die Figur Mykar wird von Kindern gequält, weil er anders ist als andere Kinder – über das Destruktive in Beziehungen – das Thema sexueller Missbrauch spielt im zweiten und dritten Band eine Rolle – bis zum sozialen Bösen: Wie weit nehmen Strukturen, die auf Unterdrückung und Ausbeutung beruhen, den Menschen die Luft zum Atmen?

Die Sehnsucht nach dem Anderen hat heute keinen Raum mehr.

Ausserdem geht es um das metaphysische Böse; um etwas radikal Böses, das nicht mehr auf dieser Welt zu verorten ist. Vor dem Hintergrund dieses allgegenwärtigen Bösen stelle ich die Frage nach der Hoffnung und den Möglichkeiten von etwas Gutem. Ich versuche die Mechanismen, wie das Böse in unserer Welt wirkt, mit Hilfe dieser ganz anderen Welt der Fantasy zu erforschen.

Braucht es dazu diese ganz andere Welt?

Illger: Fantastische Literatur erlaubt es, unsere Wirklichkeit zur Kenntlichkeit zu verzerren. In dieser Verzerrung kann etwas deutlich werden, was sonst vielleicht weniger klar erkennbar ist. Wenn man beispielsweise in einem realistischen Roman über religiösen Fanatismus schreibt, ist meist klar: Die Fanatiker, die Terroristen und Islamisten sind immer die anderen. In einem Fantasy-Roman sind die Grenzen weniger eindeutig gezogen, allein schon deshalb, weil die Dinge andere Namen haben. Gerade das kann mitunter den Blick für die Mechanismen von Fanatismus, Ausgrenzung und Unterdrückung öffnen.

Die Figuren müssen sich den eigenen Abgründen stellen.

Viele der Figuren aus der Skargat-Trilogie sind irgendwo zwischen Lebenden und Toten angesiedelt. Was fasziniert Sie an diesen Zwischenwelten?

Illger: Die Figuren leben in einer Welt, die unterdrückerisch ist. Sie suchen eine Möglichkeit, ein anderes Leben zu führen. Einige fliehen gleichsam – sei es aus freien Stücken oder weil ihnen Gewalt angetan wird – in eine Totenwelt, die aussieht, als wäre sie eine völlig andere Welt. Aber letzten Endes erweist sich auch die Totenwelt als diesen Gesetzen unterworfen. Die Figuren kommen zum Schluss, dass diese fantastischeren Welten keine Fluchtmöglichkeit bieten, sondern dass sie nur die Hoffnung auf etwas Besseres haben, wenn sie sich den eigenen Abgründen stellen.

Im Christentum hat die Vorstellung anderer Welten wie Himmel, Hölle oder Fegefeuer an Bedeutung verloren. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Verlust solcher Bilder in der Religion und der Popularität von Fantasy?

Illger: Der Sozialphilosoph Max Horkheimer (1895 bis 1973) sagte, Aufgabe der Kirchen sei es, die Sehnsucht nach dem ganz Anderen wachzuhalten. Im Leben vieler heutiger Menschen hat diese Sehnsucht aber keinen Raum mehr. Fantasy ist ein Genre, das diese Sehnsucht anspricht. Insofern sehe ich einen Zusammenhang.

Sind Sie selber ein religiöser Mensch?

Illger: Ich glaube an Gott – im Sinne des Satzes aus dem Markus-Evangelium: Ich glaube, hilf meinem Unglauben! – und versuche, entsprechend zu leben.

Daniel Illger (*1977) studierte Filmwissenschaft, allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft sowie Philosophie in Berlin und Münster. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit arbeitet er als Medienwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Er lebt in Zürich und Berlin.

Hinweis: Lesung mit Daniel Illger am 31. Oktober, 22 Uhr, Hofkirche St. Leodegar, Luzern sowie am 27. November, 19.30 Uhr, katholisches Pfarramt St. Anton, Zürich. Die Lesungen werden von Wolfgang Sieber auf der Orgel begleitet. Im Anschluss daran findet jeweils eine kurze Diskussion zu «Glaube und Fantasy» statt. Die Lesungen wurden organisiert von der Citypastoral Luzern.

 

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