Zweifel unerwünscht

Mein Sohn wagte es im Gymnasium, die Theorie vom menschengemachten Klimawandel anzuzweifeln. «»¨Es folgten Krisensitzungen und Elterngespräche. Die heutige Schule verwechselt Bildung mit Erziehung und, ja, Indoktrination.

Von Alain Pichard

Une éducation publique deviendrait contraire «»¨Ã  l’indépendance des opinions. Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de Condorcet (1743–1794)

Es war an einem Maitag vor vier Jahren. Mein sechzehnjähriger Sohn kam wieder einmal wütend aus dem Unterricht des Gymnasiums Biel-Seeland nach Hause. Sein Geografielehrer gab der PAM-Klasse (PAM steht für Physik und Anwendungen der Mathematik) eine Lerneinheit zur drohenden Klimakatastrophe. Mein Sohn erklärte seinem Lehrer, dass die Temperaturen in den letzten fünfzehn Jahren nicht mehr gestiegen seien, und dies, obwohl der CO2-Ausstoss in diesem Zeitraum um 75 Prozent zugenommen habe.

«Und heute», schnaubte er missmutig, «habe ich ihm die Forschungsergebnisse der Nasa als Beweis mitgebracht, worauf der Lehrer meinte, vielleicht stagniere das Klima ein ­bisschen . . .»

Die Renitenz meines Sohnes in Sachen ­«Klimaunterricht» kommt nicht von ungefähr. In der fünften Klasse musste er den Film von Al Gore «Eine unbequeme Wahrheit» über sich ergehen lassen, zusammen mit sechzehn Klassenkameraden, alle zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Pikant: Nur drei von ihnen brachten Deutsch als Muttersprache mit. ­Während die vielen Migrantenkinder deshalb kaum etwas verstanden, fragte er mich zu Hause immerhin, was CO2 sei.

Ich hiess ihn, ein kleines Feuer im Garten vorzubereiten. Wir wogen die zu verbrennende Holzmasse, zündeten das Feuer an, fingen den einen Teil des Rauchs auf einer Glasplatte ab und wogen anschliessend die Asche. «Das ist jetzt alles in der Luft?», erkannte er. Mein Sohn wurde so mit der Zeit ein Klimaskeptiker, und das mit dreizehn Jahren. Er vernetzte sich mit anderen Kritikern und konfrontierte seine verdutzten Eltern immer wieder mit den neusten Erkenntnissen der kritischen Klimaforschung.

An jenem Maitag war der inzwischen gestandene Gymnasiast allerdings bereits in der Lage, anständige Texte zu schreiben. Deshalb beschloss er, selber Initiator einer Schülerzeitung, in die Stapfen seines Vaters zu treten, und schrieb seinen ersten Artikel für eine richtige Zeitung. Er entschied sich für die Weltwoche, in welcher auch Henryk M. Broder, sein Vorbild, Kolumnist ist. In seinem Artikel war unter anderem zu lesen: «Ich merke, wie ­dieser Ökounterricht ­ohne wissenschaftlichen Background immer mehr das Gegenteil dessen ­bewirkt, was er eigentlich will.»

«Ein Ort kritischen Denkens»

Die Reaktion im Gymnasium war furchterregend. Es folgte eine mehrstündige Lehrerkonferenz, in der die Wogen hochgingen. Der ­Direktor der Schule rief mich noch am selben Abend persönlich an und meinte: «Jetzt wird es gefährlich!»

Wir Eltern erhielten eine Vorladung und mussten bei der Schulleitung mit unserem sechzehnjährigen Sünder antreten.

Meine Frau hatte den klugen Gedanken, sich schnell noch die Leitideen der Institution auszudrucken, wo es unter dem Punkt «Kritikfähigkeit» heisst: «Unsere Schule ist ein Ort kritischen Denkens. Die Schülerinnen und Schüler lernen, Argumente abzuwägen, unterschiedliche Positionen einzunehmen und Selbstverständliches zu hinterfragen. Die Lehrenden sind Vorbilder in dieser Haltung.»

Damit war das Thema erledigt. Man ermahnte meinen Sohn lediglich noch, das Gespräch zu suchen und nicht einfach an die Presse zu gehen. Und ja, natürlich, die ­Welt­woche, das sei ja wirklich nicht eine Zeitung für ihn.

Nicht nur mein jüngster Sohn, sondern auch unsere beiden anderen Zöglinge durften die Segnungen dieses neuzeitlichen Umwelt­unterrichts geniessen. So musste sein älterer ­Bruder im Naturkundeunterricht der vierten Klasse im Wald Bäume umarmen und zu ­ihnen flüstern.

Ausserdem erhielt ich von einer Lehrerin auch noch einen mahnenden Brief, fortan das Pausenbrot nicht mehr in Alufolie zu verpacken. Diese «Schandtat» ist mir übrigens tatsächlich passiert. Mir war am Morgen die ­Plastikfolie ausgegangen.

Der Älteste durfte zu angeblichen Zitaten aus der «Weissagung der Cree» Bilder malen: «Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.»

Immerhin, unser zweiter Sohn hatte als Einziger der drei Burschen eine besondere Erfahrung in seinem Grundstufen-Naturkunde­unterricht gemacht. Er hatte eine männliche Lehrperson und durfte bei dieser – auch das ein pädagogisches Alleinstellungsmerkmal – so etwas wie einen Stromkreis basteln.

Ich muss hier einschieben, dass der Schreiber dieser Ereignisse (wie übrigens heute auch sein Sohn) keineswegs der Meinung ist, dass es keinen Klimawandel gibt. Für mich als Biologielehrer, der sich durchaus auch Sorgen um die Umwelt macht, der auch wahrnimmt, dass sich unser Klima verändert, stehen angesichts dieser Entwicklung aber ganz andere Werte zur Diskussion. Dabei geht es um Wissenschaftlichkeit, um Zweifel, um Forschungsgeist, vor allem aber geht es um Bildung.

Letzthin geriet mir wieder einmal die BNE-Charta in die Hände. BNE heisst ­«Bildung für Nachhaltige Entwicklung». Mitunterzeichnet wurde sie von einem gewissen Beat Zemp, Präsident des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz. Herr Zemp und die anderen Unterstützer machen sich Sorgen um die Umwelt. Vor allem der Wachstumszwang unseres auf Ausbeutung der Umwelt beruhenden Wirtschaftssystems ist Herrn Zemp ein Dorn im Auge. Das gilt natürlich nicht für das Wachstum der Löhne, die der Lehrerverband zurzeit wieder tüchtig anmahnt.

Viele Mitglieder von Thinktanks diverser Umweltverbände drängen in den florierenden Bildungsmarkt. Deshalb steht in dieser Charta auch: «Zur Förderung einer Nachhaltigen Entwicklung ist es von zentraler Bedeutung, BNE im Lehrplan 21 entsprechend zu berücksichtigen.»

Ãœber den Begriff der Nachhaltigkeit kann man allerdings auch füglich streiten. So schrieb der Autor Dirk Maxeiner: «Es mag eine kosmische Kränkung sein, aber das Leben ist nicht nachhaltig. Natur ist Anarchie, Revolution, Chaos, Katastrophe. Natur ist ständige Veränderung und Anpassung an neue Umstände, ihr Erfolgsprinzip heisst Evolution, also permanente Veränderung. […] Hätte sich die Natur vor ein paar Millionen Jahren entschieden, nachhaltig zu sein, dann dominierten heute noch die Dinosaurier auf unserem Planeten.»

Manchmal lohnt sich ein Blick über die Grenzen. In Frankreich wie auch in der Romandie unterscheidet man zwischen instruction und éducation also zwischen Bildung und Erziehung. Diese Haltung geht auf den Aufklärer und liberalen Denker Marie Jean An­toine Nicolas Caritat, Marquis de Condorcet (1743–1794) zurück, der schon vor über 200 Jahren mahnend schrieb:

«L’école doit se borner à l’instruction (Die Schule soll sich auf die Bildung beschränken).»

Erziehung ziele auf das Ganze, auf den Menschen als solchen; l’instruction, also der Unterricht, sei progressiv, gehe von Element zu Element, erziehe natürlich dadurch, aber nicht den Menschen als Ganzes («parce qu’une éducation publique deviendrait contraire à l’indépendance des opinions»). Durch den Unterricht soll der Schüler befähigt werden, sich zu entwickeln und autonome Entscheidungen zu fällen.

Die Absicht, mit Unterricht zu indoktrinieren, lehnte Condorcet, ein Revolutionär der ersten Stunde, ab. Man sollte diesen famosen libertären Geist auch an den pädagogischen Hochschulen des deutschsprachigen Raums einmal hervornehmen und ihn mit den angehenden Lehrkräften diskutieren.

Der Marquis de Condorcet hat im französischen Sprachraum denselben Rang wie Pestalozzi oder Humboldt bei uns. Seine unbeugsame Haltung gegen die Tyrannei des Denkens und gegen die Indoktrinierung brachte ihn auch in Opposition zu den wilden Revolutionären um Robespierre und kostete ihn schliesslich das Leben.

Heute würde er sagen: «Gesinnung zu erzeugen, ist keine Aufgabe einer öffentlichen Schule und darf deshalb auch kein Lehrplanziel sein. Wird die Bekundung des guten Willens zudem noch als Kompetenz gehandelt, als prüfbare und messbare Kompetenz bewertet, dann enden wir bei einem Erziehungsbegriff mit totalitärem Anspruch.»

Pikant: In der Westschweiz ist die Kompetenzorientierung im Lehrplan bei weitem nicht so dominant enthalten wie in seiner deutschen Variante. Beim Durchforsten der Homepage von Education 21, einem Ableger der Agenda 21, kann einem hingegen der kalte Schauer den Rücken hinunterlaufen. Derart offensichtlich ist hier der Versuch, kleine Kinder mit ideologiebehafteter Weltrettungsprosa in Naturmenschen zu verwandeln.

Umkehr der pädagogischen Werte

Und was noch schlimmer ist: Auf der Strecke bleiben in der Regel Naturexpeditionen, Morgenspaziergänge, Vogel- und Wiesenblumenbestimmung, physikalische Experimente, Neugier und Forschergeist. Meine Söhne haben in der Unterstufe nie eine Blumenwiese betreten, keine Pflanzen bestimmt, keine Tiere im Klassenzimmer gehalten. Sie wurden mit Arbeitsblättern und Dok-Filmen bombardiert, mit Unterricht, der keine offene Lösungsstrategie zulässt, weil er mit massiven Glaubenssätzen behaftet ist.

Es ist eine Perversion von Unterricht, die sich da abspielt, eine Umkehr aller pädagogischen Werte. Und es ist zutiefst antiwissenschaftlich, denn die Wissenschaft ist immer der letzte Stand des Irrtums, Zweifeln und Kritik sind Pflicht. Deprimierend ist auch, wenn man sieht, dass es offensichtlich Geld gibt, um die vielen lehrenden Menschen aus dem realen Unterricht wegzulocken, damit sie solche Lernprogramme in die Welt setzen und mit ­einem aktiven Lobbying deren Implantierung in den Unterricht vorantreiben, während die Praxis unter einem chronischen Geldmangel leidet.

Ein Trost dabei ist die Erfahrung, dass solche scholastischen Unterrichtsmethoden sich in der Regel als wirkungslos erweisen. Je älter die Kinder werden, desto mehr wehren sie sich ­gegen Bevormundung und Indoktrination. Heute studiert mein ältester Sohn in London am Imperial College Electrical and Electronic Engineering und ist glücklich. Zu einem meiner Geburtstage schenkten mir die Söhne eine Kiste Bier mit einer Karte: «Erst wenn die letzte Ölplattform stillgelegt und die letzte Tankstelle dichtgemacht hat, wirst du merken, dass man bei Greenpeace kein Bier kaufen kann.»

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