«Das heilige Experiment» der Jesuiten auf der Theaterbühne

Solothurn/Zürich, 2.9.17 (kath.ch) Da kommt einiges zusammen: Vor 250 Jahren wurden die Jesuiten von der spanischen Krone aus den von ihnen geführten Missionsdörfern in Südamerika (»Reduktionen») vertrieben. In den 1940er-Jahren hat ein jüdischer Emigrant in der Schweiz darüber ein Theaterstück verfasst. Und am Samstag wird «Das heilige Experiment» in Solothurn an dem Ort gezeigt, wo es vor 74 Jahren uraufgeführt wurde. Dass dies möglich wurde, ist mit ein grosser Verdienst der Schweizer Jesuiten.

Martin Spilker

Einen «hochspannender Polit-Thriller» nennt Katharina Rupp das Stück von Fritz Hochwälder. Rupp ist Schauspieldirektorin am Theater Orchester Biel Solothurn TOBS und führte bei «Das heilige Experiment» Regie. – Jesuiten-Missionsdörfer und Polit-Thriller? «Die indigene Bevölkerung Südamerikas war im Zuge der Kolonialisierung seit dem 16. Jahrhundert einer gnadenlosen Jagd durch die europäischen Eroberer und ihre Sklavenhändler ausgesetzt», sagt die Theaterfrau gegenüber kath.ch.

«Für indigene Stämme war der Übertritt zum Christentum die einzige Möglichkeit zu überleben», ergänzt Rupp und verweist darauf, dass die Lebenserwartung von Sklaven unter den europäischen Gutsverwaltern gerade einmal ein (!) Jahr betragen habe. In den Reduktionen, den Missionsdörfern, seien die Ureinwohner vergleichsweise human behandelt worden. Das hat wiederum zu Konflikten zwischen den missionierenden Orden und dem spanischen Königshaus geführt.

Genug Stoff für mehr als ein Stück

Das allein wäre bereits genug Geschichte und Stoff für ein Theaterstück. Doch der Autor Fritz Hochwälder hat die bewegte und bewegende Geschichte der Jesuitenmissionen sozusagen als Deckmantel für seine Kritik an den Nationalsozialisten genommen. Denn Hochwälder war Jude und 1938 aus Wien in die Schweiz geflohen. In einem Internierungslager schrieb er das Stück, in dem der spanische König die von ihm selbst in die Kolonien geholten Jesuiten wegen Ungehorsam gegenüber der Krone wieder aus dem Land werfen liess.

Hochwälder war Jude und 1938 aus Wien in die Schweiz geflohen. In einem Internierungslager schrieb er das Stück.

Gemeint hat der Autor hier die Willkürherrschaft der Nationalsozialisten. Um jedoch die damalige Zensur in Bern nicht misstrauisch zu machen, habe er sich einen unverdächtigen christlich-katholischen Stoff gesucht, wird in einem Beitrag des Magazins «Jesuiten weltweit» (JWW) wie auch auf der Website des TOBS erläutert. Dem Autor ging es nach Aussage seiner Tochter Miriam Popper-Hochwälder nicht um die Jesuiten. Ja, er sei selbst gar nicht religiös gewesen, sagte sie gegenüber JWW.

Spannung zwischen Gehorsam und Freiheit

Das wiederum war für die Schweizer Jesuiten kein Hinderungsgrund, sich für eine erneute Aufführung von Hochwälders Stück 250 Jahre nach der Aufhebung der Reduktionen einzusetzen. Es gehe hier um Fragen von Freiheit und Gehorsam, von Idealen und Pragmatismus oder von der Treue zu Grundsätzen und Verrat, sagt Christian Rutishauser, der Provinzial der Schweizer Jesuiten. Für ihn und die Gemeinschaft ist es wichtig, dass – nicht nur, aber auch – aus Anlass des Gedenkjahres 2017  solche Fragen in der Öffentlichkeit zur Sprache gebracht werden.

Das Spannungsverhältnis von Freiheit und Gehorsam ist ein grosses Thema im Christentum.

Das Spannungsverhältnis von Freiheit und Gehorsam, ein Aspekt, der sich durch das gesamte Stück zieht, ist ein grosses Thema im Christentum und in der Kirchengeschichte. Christian Rutishauser sieht das Dilemma der Jesuiten in Lateinamerika, die aus christlicher Überzeugung die Ureinwohner, die «Wilden», missionieren wollten. Das taten sie aber nicht um jeden Preis, wie es der spanische König verlangte. In den Reduktionen konnten die Jesuiten der indigenen Bevölkerung eine gewisse Sicherheit vor der Versklavung bieten. Gleichzeitig wurden sie ihrem Missionsauftrag gerecht.

«Aus dem Glauben zu leben, ist ein Experiment»

«Die Reduktionen sind oft idealisiert worden als authentische christliche Gesellschaften, als ein Stück Reich Gottes auf Erden», sagt Christian Rutishauser. Diese Idealbilder zeigten «was gelingen kann, wenn Menschen sich verpflichten, ganz aus dem Glauben für andere da zu sein». Dass diese experimentelle Lebensform schliesslich gescheitert sei, ist für den Provinzial kein Grund, darüber zu urteilen. «Aus dem Glauben zu leben, ist ein Experiment. Wenn ich an die Reduktionen denke, bin ich eher beschämt darüber, wie wenig wir Christen heute wagen», sagt Rutishauser selbstkritisch.

Eine andere Frage ist aber auch, ob sich das mehr als 70 Jahre alte Stück heute noch eignet, um solche anspruchsvollen gesellschaftlichen Themen zur Diskussion zu stellen. Hier geben sich sowohl die Intendantin wie der Ordensobere zuversichtlich. Dieser «Polit-Krimi» verkörpere mit differenzierten Charakteren und seiner historischen Situation aktuelle Diskussionen auch unserer Zeit, sagt Katharina Rupp. «Es ist eins der besten Stücke zu den Themen ‹Freiheit› versus ‹Sicherheit›, und ‹individuelles Gewissen› contra ‹kollektiven Gehorsam, das ich kenne», sagt die Regisseurin. Und es stelle damit auch die Urfragen zu den Herausforderungen der Globalisierung.

Hommage an den Autor

Für den Jesuiten Rutishauser ist es vor allem wichtig, dass die Aufführungen die Möglichkeit bieten,  inneren Konflikten nachzuspüren. Christian Rutishauser sagt nach seinen Erlebnissen bei der Zusammenarbeit mit dem Theaterensemble: «Die Bühne gibt mir als Zuschauer die Möglichkeit mitzuleben und ähnliche Konstellationen in mir auszuloten.»  – Ob das auch in einer postmodernen Gesellschaft, die kaum mehr feste, ideale Grundsätze habe, gelinge, werde sich zeigen.

«Die Bühne gibt mir als Zuschauer die Möglichkeit mitzuleben.»

Dass 2017 mit der TOBS-Inszenierung «Das heilige Experiment» wieder an dem Ort auf die Bühne kommt, wo es 1943 uraufgeführt wurde, ist für alle Beteiligten eine besondere Freude. Für das Theater ist es eine Hommage an den Autor. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg feierte das Stück in grossen Städten Europas, insbesondere in Paris, und auch in Brasilien und den USA grosse Erfolge. Und für die Schauspieldirektorin und das Ensemble war die Zusammenarbeit mit den Jesuiten in deren Rolle als Experten über die Theaterarbeit hinaus sehr bereichernd.

Ein Experiment auch im 21. Jahrhundert

Die Jesuiten ihrerseits haben mit dem TOBS einen Partner gefunden, der ihnen ermöglicht hat, dieses Vorhaben im Gedenkjahr zu verwirklichen. Denn die Beschäftigung mit der Geschichte des Ordens im 17./18. Jahrhundert sei etwas ganz anderes, als ein Theaterstück zu diesem Thema. Christian Rutishauser: «Hier wird die historische und politische Situation von einst verdichtet vor Augen geführt, und die inneren Konflikte und Entscheide der beteiligten Jesuiten, Kirchenmänner und Politiker werden erfahrbar.»

Mit der Unterstützung dieser Aufführung sind die Jesuiten heute wieder ein Experiment eingegangen. Nämlich das, entlang einer künstlerischen Darstellung aus der eigenen Geschichte auf grosse und bleibende Fragen und Konflikte der Menschheit aufmerksam zu machen. Es ist ein Experiment, das Aufmerksamkeit verdient hat. Ab Samstag, 2. September, kann man sich bis im November darauf einlassen.

Spielplan «Das heilige Experiment»

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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