«Auf den Geschmack des Lebens kommen»

Menzingen/Bad Schönbrunn ZG, 14.10.17 (kath.ch) Niklaus Brantschen feiert am 25.Oktober seinen 80. Geburtstag. Zu diesem Meilenstein im Leben des bekannten Schweizer Jesuiten erscheint dieser Tage das Buch «Zwischen den Welten daheim». Im Interview mit kath.ch erzählt er, wie das Leben mit 80 Jahren schmeckt und was er sich davon noch erhofft.

Charles Martig

Wie schmeckt das Leben mit achtzig Jahren?

Brantschen: Es schmeckt gut. Nicht wie Zuckerwasser, sondern etwas herb. Gleichzeitig auch etwas mild. Kürzlich brachte eine serbische Mitarbeiterin des Lassalle-Hauses einen Obstbrand mit, den wir nach dem Essen verkosteten. Sie sagte: «Das ist ein guter Slibovitz, er ist herb und mild zugleich.» So empfinde ich das Leben: herb und etwas altersmild.

Die Wurzel trägt dich.

Was ist die Grundbotschaft von «Zwischen den Welten daheim» ?

Brantschen: Es geht um die «Sorge» für die Welt und die Mitmenschen. Aus ersten Reaktionen auf das Buch erahne ich, dass diese Botschaft ankommt. Wenn Leserinnen und Leser die nötige Musse haben – es ist kein Buch für den Schnelldurchgang, sondern zum Verweilen – dann können sie etwas schmecken und spüren. Es ist eine Anstiftung, auf den Geschmack des Lebens zu kommen.

Was hat Sie dazu inspiriert?

Brantschen: Es war Dankbarkeit. – Dankbarkeit für das Leben, das ich erhalten habe. Ich betrachte mein Leben heute als Geschenk. Nichts ist selbstverständlich. Das Wesentliche dieser Autobiografie ist die Erinnerung an meine Wurzeln. Ich verwende den Spruch «Nicht Du trägst die Wurzel, die Wurzel trägt Dich».

Damit setzen Sie das Grundmotiv für ihr neues Buch.

Brantschen: Das Erinnern kann auch als Botschaft wahrgenommen werden für andere, dankbar zurückzuschauen.

Im Buch gibt es fiktionale Szenen. Was möchten Sie damit erreichen?

Brantschen: Es gibt effektiv Szenen im Buch, die ich inszeniere. Dabei handelt es sich um vergangene oder gegenwärtige Rollen. Im Kapitel «Intermezzo», das in Mandresa in der Nähe von Barcelona spielt, habe ich nicht einfach den «Bericht des Pilgers» von Ignatius zitiert, sondern diese Szene in die Gegenwart geholt und damit verbunden, was ich heute erlebe. Insofern habe ich eine Lust am Formulieren und Fabulieren.

«Was, der lebt noch

Sie schreiben von der sogenannten «Noch-Phase». Was ist damit gemeint?

Brantschen: Es handelt sich um Fragen an mich wie «Gibst Du noch Kurse?», «Schreibst Du noch Bücher?». Da ist sicher auch ein bestimmtes Mass Ironie dahinter. Ich schaue mir selber über die Schulter. Bald wird die Frage kommen: «Was, der lebt noch?». Hier wird mir die Begrenztheit der Zeit bewusst. Mit achtzig hat man das Leben nicht mehr vor sich, sondern weitgehend hinter sich. Das muss man ganz nüchtern anschauen und gut damit umgehen. Es geht nicht mehr um das Älter-Werden, sondern um das Alt-Sein. Das möchte ich leben, ohne griesgrämig zu werden, ohne die Vergangenheit zu vergolden. Ohne Illusionen sage ich zu mir selbst: Heute lebe ich noch, was morgen sein wird, werden wir sehen.

Das Leben abgeklärter angehen

Haben Sie eine abgeklärte Perspektive aufs Leben?

Brantschen: Ja (lacht). Im besten Fall eine gewisse Abgeklärtheit. Aber diese ist im Wachsen begriffen. Ich hoffe – und das ist vielleicht eine Frucht dieses Buches – dass ich den Rest meines Lebens abgeklärter angehen kann. Insofern war das Schreiben eine wichtige Standortbestimmung, um die Lebenssituation dankbar und nüchtern zu betrachten.

Sie werden im Untertitel Ihres neuen Buches als «Brückenbauer zwischen Zen und Christentum» bezeichnet. Was bedeutet Ihnen diese Bezeichnung?

Brantschen: Der Verlag wollte diesen Titel setzen. «Die Verkäufer haben das gewünscht», wie man so schön sagt. Mein Vorschlag war «Erinnerungen und Einsichten». Dies gibt meine Absicht präziser an. Brückenbauer als Bezeichnung stimmt schon zu einem guten Teil. Es geht nicht nur um die Verbindung von Ost und West, sondern auch von Innen und Aussen, von Subjekt und Objekt. Meiner Meinung nach geht es darum, dass man nicht nur sich oder die Welt findet, sondern sich selber in der Welt. Innerlichkeit muss ich äussern. Das ist ein wichtiges Thema.

Sich frei zwischen Zeit und Ewigkeit bewegen

Welchen Bezug hat das zum Zen-Buddhismus?

Brantschen: Es geht um den Zusammenhang von faktischer Welt, die greifbar und sichtbar ist, und der Welt der «Leere-Unendlichkeit», die man nicht fassen kann. Diese Brücke muss ich nicht bauen, sondern die ist da; sie ist erfahrbar. Am Beispiel «Zeit und Ewigkeit» gezeigt: Diese beiden Aspekte der Wirklichkeit gehören zueinander. Die Brücke besteht bereits. Brückenbauer bin ich dann, wenn ich den Leuten helfe, diesen Zusammenhang zu realisieren. Das ist wie Aus- und Einatmen oder wie zwei Seiten einer Medaille. Ich möchte Menschen erfahren lassen, dass die Brücke besteht, dass sie sich frei hin und her bewegen können zwischen Zeit und Ewigkeit.

Ist das für alle Menschen erfahrbar?

Brantschen: Jeder Mensch hat die Berufung zu verbinden: Erde und Himmel zusammenzubringen. Das bedingt eine gewisse Beweglichkeit, braucht Mut und auch ein Stück Heimatlosigkeit. Ich muss den Mut haben, mich in die «Hauslosigkeit» zu begeben. Das ist ein Zustand, der nicht festgelegt ist und doch auch nicht beliebig. Wie ist das möglich? Dazu gibt es ein schönes Wort von Gregor dem Grossen in seiner Biographie über Benedikt: «Er war immer bei sich zuhause» … «secum habitare» ist der lateinische Ausdruck. Diese Haltung macht es möglich, nicht verloren zu sein zwischen den Welten.

Das geht in Richtung einer theologischen Anthropologie?

Brantschen: Es handelt sich um in der Tat um ein christliches  Menschenbild. In diesem Sinn kann ich das nur bestätigen.

Sie verweisen in Ihrem Buch auf die Kurzformel der Jesuiten «Contemplativus in actione» (Gebet und Aktion fallen in eins). Was bedeutet die ignatianische Spiritualität in der heutigen Welt?

Brantschen: Sie hat seit den Anfängen bei Ignatius von Loyola ein grosse Bedeutung gehabt. Im Unterschied zu den mönchischen Traditionen – zum Beispiel das bekannte benediktinische «Ora et labora» (Bete und arbeite) – ist die dynamische Verbindung gegeben. Ignatius wählt darum die Formulierung «in actione». In der Tätigkeit und Arbeit soll ich die kontemplative Haltung nicht verlieren. Umgekehrt geht es darum, in der Mystik eine weltoffene Haltung zu leben. Diese Spannung ist heute aktueller denn je.

Innehalten am Mittag und am Abend

Was meinen Sie damit?

Brantschen: Ich formuliere das pointiert: Man kann Gott überall finden – selbst im Gebet. Es ist allerdings eine Illusion zu meinen, dass man immer in der kontemplativen Haltung sein kann. Dazu braucht es Praxis und da ist Ignatius knallhart. Ohne Exerzitien und ohne Innehalten am Mittag und am Abend – Ignatius nennt das «Examen» – ist es nicht möglich, immer und überall mit Gott verbunden zu sein.

Was erhoffen Sie sich fürs Leben?

Brantschen: Ich hoffe, dass es mir gegeben ist, auch den Rest meines Lebens zu geniessen. Es braucht dazu eine gewisse Musse. Wer geniessen kann, der hat bereits viel getan. Da geschieht etwas, das einladend und ermutigend wirkt. Geniessen ist eine Quelle von Freude und das beste Mittel gegen Verbitterung.

Das Buch «Zwischen den Welten daheim. Brückenbauer zwischen Zen und Christentum» erscheint annlässlich des achtzigsten Geburtstags von Niklaus Brantschen am 25.Oktober 2017 im Patmos Verlag. Die Buchvernissage ist am 15. Oktober, 15 Uhr, im Lassalle-Haus.

 

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https://www.kath.ch/newsd/niklaus-brantschen-interview-zum-80-geburtstag/