Wenn Männer Affengesichter und Frauen Elefantenköpfe haben

Bern, 9.8.17 (kath.ch) Pfauen und Gänse, Schlangen und Mäuse, Löwen und Tiger sind im Berner Hindutempel dargestellt. Auch Statuen und Darstellungen von Mischwesen – halb Mensch, halb Tier – sind dort anzutreffen. Sivakeerthy Thillaiambalam (37), beim Tempel zuständig für Kommunikation, hat kath.ch bei einem Rundgang erzählt, was es mit den Tieren im Tempel auf sich hat. Ein Beitrag der Sommerserie «tierisch heilig».

Barbara Ludwig

Götter gibt es viele im Tempel des Vereins für tamilische Religion und Kultur, der sich im Berner Haus der Religionen befindet. Kein Wunder, denn hier werden nebst den Hauptgöttern Shiva und seiner Gattin Parvati noch weitere Gottheiten verehrt, wie Sivakeerthy Thillaiambalam sagt. Der gebürtige Tamile im weissen Hemd und blauen Jeans lebt seit über 20 Jahren in der Schweiz. Als Kommunikationsverantworlicher des Tempels ist eine seiner Aufgaben Führungen zu machen. Nach der Journalistin wartet schon eine Schulklasse darauf, die bunten Götter kennenzulernen.

Tempel im Tempel

Alle hier verehrten Götter haben ihren eigenen Tempel im Tempel, also ein mehr oder weniger grosses «Haus», erklärt Thillaiambalam. Shivas und Parvatis Tempel sind grösser und etwa in der Mitte des Raumes prominent platziert. Bei jedem «Haus» hängt ein Vorhang, auf dem der jeweilige Gott abgebildet ist. Hinter dem Vorhang aber, der nur vom Priester geöffnet werden darf, verberge sich die eigentliche Gottheit, sagt Thillaiambalam, der selber nicht Priester ist. Auf den Dächern der Tempel schliesslich werden die Götter in zahlreichen Statuen dargestellt. Dazu gesellt sich vielerlei Getier.

Südindische Varianten

Um Götter und Tiere ranken sich unzählige Geschichten. Thillaiambalam kennt sie in- und auswendig. Zumindest die südindische Version, an die er sich als Tamile aus Sri Lanka hält. «Die Geschichten sind von Nord- bis Südindien sehr unterschiedlich. Das hat zu tun mit den 3000 Dialekten und den sechs verschiedenen Konfessionen im Hinduismus», sagt der 37-Jährige, der die südindische Theologie «Shaiva Siddhanta» studiert hat.

Ein Gang durch den Tempel werde im Uhrzeigersinn gemacht, erklärt Thillaiambalam. So treffen wir als erstes auf Hanuman. Der Gott, grün bemalt, hat den Körper eines Menschen und das Gesicht eines Affen. Thillaiambalam entführt sein Gegenüber in ein fremdes Universum: «Hanuman lebte im Reich der Affen», erzählt der Tamile eifrig. «Als die Gattin von Rama, einer Inkarnation von Gott Vishnu, vom König von Sri Lanka entführt wurde, suchte Rama Hilfe bei den Affen. Hanuman befreite die Prinzessin. Rama und seine Gattin Sita verliehen Hanuman anschliessend göttliche Kraft. Der Affengott wird deshalb heute als Helfer in der Not angerufen.»

Die Geschichte vor der Geschichte

Das sei die eine Erzählung über Hanuman. Dann gebe es aber noch eine Geschichte, die erklärt, warum Hanuman ein Affengesicht habe, fährt Thillaiambalam fort. Gott Vishnu habe einen Gläubigen beleidigt, indem er ihn als Affengesicht beschimpfte. Dieser habe Vishnu geantwortet: «Du wirst einen Affen benötigen, um deine Frau in deinem nächsten Leben zu befreien.» Eine Geschichte, die offensichtlich eine frühere Begebenheit im Leben von Vishnu erzählt. Die Journalistin ahnt, dass sie sich im Netz der Geschichten verheddern wird.

Ganesha mit dem Elefantenkopf ist der nächste Gott, von dem Thillaiambalam etwas mehr erzählt. Auch er trägt tierische Züge. Damit hat es sich aber auch schon, die übrigen Götter im Tempel haben keine Tiergestalt.

«Einst lebte ein Dämon. Er war unbesiegbar und terrorisierte sämtliche 14 Welten, an die wir glauben», erzählt der Tamile.

Die Gläubigen hätten Gott Shiva gebeten, sie vor dem Dämon zu schützen. Shiva habe deshalb ein neues Wesen erschaffen. «Es hat einen Elefantenkopf, den Bauch eines Dämons, die Beine eines Menschen und Hände wie die Götter.» Ganesha habe den Dämon besiegt, indem er ihn mit seinem Stosszahn in eine Maus verwandelte. Die Maus, grau und ziemlich gross, sitzt in zweifacher Ausführung ebenfalls auf dem Dach des Tempels, unweit von Ganesha.

Schlange als Bett

Wenige Schritte weiter trifft man auf die mehrköpfige Riesenschlange Adishesa. Sie liegt auf dem Dach des Tempels von Vishnu. Der Gott mit hellblau bemaltem Oberkörper und gelben Hosen macht ein heiteres Gesicht. «Er schläft auf dieser Schlange, aber er ist immer wach. Jedes Mal, wenn er geboren wird, schickt er von der Himmelswelt, wo es auch einen Milchsee gibt, eine Lichtkugel zur Erde», erklärt Thillaiambalam.

Vishnu hat hier nichts Tierisches. Aber eine seiner Wiedergeburten namens Narasimha wird als Mensch mit Löwenkopf dargestellt. «Da gibt es wieder eine Geschichte», fährt der Hindu-Theologe fort:

«Es gab einen Knaben, der war der Sohn eines Dämonenkönigs. Der Knabe betete nur zu Vishnu, was seinem Vater nicht passte. Dieser versuchte deshalb auf zehn verschiedene Arten, seinen Sohn umzubringen. Es gelang ihm nicht. Schliesslich fragte der Dämon seinen Sohn: ‘Wo ist dein Vishnu?’ Der Sohn antwortete: ‘Er ist überall.’ Der Vater wollte wissen, ob Vishnu sich auch in der Säule befinde, vor der die beiden standen. Der Sohn sagte: ‘Ja.’ Da trat der Dämon gegen die Säule. Aus der Säule sprang Vishnu, als Mensch mit Löwenkopf. Und er besiegte den Dämon.»

Der Löwe als menschliche Seele

Bis auf Hanuman, der fliegen kann, haben alle Götter ein Reittier. Auch diese werden im Tempel dargestellt. Zu Shiva gehört ein Bulle, zu seiner Gattin Parvati ein Tiger oder ein Löwe. Die Göttin Sarasvati reitet auf einer Gans oder einem Pfau. Und auch Gott Murugan sitzt auf einem Pfau, während Gott Bairva von einem Hund begleitet wird.

Die Reittiere trügen nicht nur die Götter, sondern symbolisierten auch die menschliche Seele, sagt Thillaiambalam. «Die Seele des Menschen will sich mit der göttlichen Seele vereinen. Deshalb sieht man in einem Shiva-Tempel einen Bullen, der Shiva anschaut.» Vor dem Tempel von Shiva sitzt tatsächlich ein Bulle, vor demjenigen von Parvati ein Löwe, beide aus dunklem Holz. Die Tiere der Hauptgötter sind um einiges grösser als der Pfau, der vor Murugans Tempel steht.

Auch über diesen Pfau weiss Thillaiambalam eine Geschichte zu erzählen: «Es gab einen bösen Dämon. Gott Murugan warf einen Speer nach ihm. Ein Teil des Dämons wurde Pfau, ein anderer Teil verwandelte sich in ein Huhn…»

Nach einer Stunde weiss die Besucherin: Der Rundgang nähme kein Ende, gäbe Thillaiambalam alle Geschichten zum Besten, die er kennt. Er selber sagt: «Diese Erzählungen enden nie – dahinter steckt aber immer eine tiefere Bedeutung.»

 

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