Auch im hektischen Zürich gibt es Inseln der Stille

Zürich, 16.6.17 (kath.ch) Stille mitten in Zürich: Geht das? Ja, sagt der Verein «Stilles Zürich«. Auf Anregung der reformierten Kirche im Kanton Zürich fand in der Stadt erstmals eine Aktionswoche mit über 30 Veranstaltungen zum Thema «Stille» statt. kath.ch war zusammen mit vielen anderen dem Geheimnis der Stille auf der Spur.

Vera Rüttimann

Während unten in der Haupthalle am Hauptbahnhof Zürich die Menschen hastig zu ihren Zügen eilen, ist es im obersten Stock eines angrenzenden Gebäudes still. Meditierende hocken in einem lichtdurchfluteten Raum auf Schemeln, suchen den Ruhepunkt ihres Körpers und schliessen zur Versenkung ihre Augen. Man kann an ihren Gesichtern sehen, wie der Stress von ihnen abfällt und sich Stille einstellt. Unter den Meditierenden sind viele Besucher, die vom Angebot der Plattform «Now Meditation GmbH" angelockt wurden. Mit vielen anderen Anbietern beteiligt sich diese an der Aktionswoche «Stilles Zürich».

Initiiert wurde die Woche von der reformierten Zürcher Landeskirche. Der Anstoss dazu kam von Pfarrerin Brigitte Becker. Durch eine Pfarrkollegin aus Deutschland, die bereits in Frankfurt eine solche Woche initiiert hatte, kam die Spiritualitätsverantwortliche der reformierten Zürcher Landeskirche auf die Idee, eine solche auch in Zürich durchzuführen.

Worte für Stille in der Wasserkirche

«Wege in die Stille – in der Wasserkirche«, so steht es auf einem Plakat am Aushang des markanten Gebäudes, das vor der Reformation eine wichtige Rolle für die Verehrung der Zürcher Stadtheiligen Felix und Regula spielte, da sie der Überlieferung nach deren Hinrichtungsstätte bezeichnete.

Die Menschen, die im Innenraum auf den Stühlen Platz nehmen, kommen aus verschiedenen religiösen und spirituellen Richtungen: Sie geben sich als Christen, Buddhisten, Hindus oder schlicht als Suchende aus. Wieder andere sind einfach neugierig, was es mit diesem Weg in die Stille auf sich hat. Achtsam zu sein bedeutet, so erfahren sie von Cornelia Vogelsanger, «sich dem gegenwärtigen Erleben möglichst bewusst, freundlich und urteilsfrei zuzuwenden.»

Reise des Hörens

Im Hier und Jetzt zu sein, nicht mit Vergangenem oder Zukünftigem beschäftigt oder in  Beurteilungen gefangen sein, damit der Geist sich beruhigt und offen wird. Das macht für die Ethnologin und Religionswissenschaftlerin die Qualität von Stille aus, die viel mehr sei als die Abwesenheit von Lärm.

Die Neugierigen werden nun auf eine «Reise des Hörens» geschickt, um in der  Stadt mit einer neuen Aufmerksamkeit Geräuschen nachzuspüren. Zurück in der Wasserkirche, sprechen die Stadtwanderer danach vom Zischen von Espresso-Maschinen, von verschiedenen Wellengeräuschen, von Musik, die der Wind wegträgt und von hektisch klackenden Stilettos. Durch das intensive Hören, sagen alle in unterschiedlichen Worten, stelle sich im Innern Stille ein. Eine «erfüllte und eine lebendige Stille», wie Cornelia Vogelsanger sagt, die sich sichtlich über das Publikumsinteresse freut.

Die «Haltestille» über Mittag

Hastig durchmessen Geschäftsleute im feinen Zwirn und mit einem Caffee-to-go-Becher in der Hand den Münzplatz. Die Zeit zum Mittagessen ist knapp und die nächsten Businesstermine rufen. Ein paar aber setzen sich in die Bänke der christkatholischen Augustinerkirche, die im Chorraum dunkelblau beleuchtet ist dadurc und eine wohltuend angenehme Atmosphäre ausstrahlt. Ein ruhiges Auge inmitten eines tosenden Hurrikans.

Diese Kirche unweit des Paradeplatzes bietet seit fünf Jahren mit ihrem Angebot «Haltestille Bahnhofstrasse" Gestressten eine Insel der Ruhe, einen Ort des Innehaltens oder eine Kraftquelle. Das Angebot der reformierten, christ-katholischen und römisch-katholischen Kirche lädt auch an diesem Mittag mit Musik und einer längeren Schweigephase in der Kirche zu einem Unterbruch des Alltags ein. «Es kommen viele Expats  zu unsrer Haltestille», sagt Pfarrer Lars Simpson, der sich über besonders viele Interessierte im Rahmen der Aktionswoche «Stilles Zürich» freut und am Eingang jeden einzelnen Gast begrüsst.

Mit Bäumen sprechen – auf Bäume hören

Durchatmen, ausatmen, innehalten – das gefällt auch Pierre S. Der Expat aus Marseille sagt: «Der Druck ist hart, den man aushalten muss im Spannungsfeld zwischen Arbeit, Beziehung und den Anforderungen einer immer fordernden Leistungsgesellschaft. Daher ist es auch für mich existentiell wichtig, ein Gegengewicht zu schaffen. Stille ist für mich genau der richtige Weg dazu.»

Ortswechsel. Vor dem Eingang des Museums Rietberg warten Claudia Christen, Tanz- und Bewegungspädagogin, und Florenza Perrin, Psychologin und Olivenölproduzentin, auf Interessierte ihres Programmpunktes «Baum-Begegnungen». Auf ihr Geheiss machen sie sich auf, die Bäume in diesem idyllischen Park mitten in Zürich zu sehen, zu fühlen, zu riechen und zu hören. Die Bäume sollen mit allen Sinnen erfahren werden. Von den Leiterinnen werden die Teilnehmer weiter aufgefordert, sich in Stille ihren persönlichen Baum zu suchen und die Kraft aufzuspüren, die von ihnen ausgehen kann. «Auf persönliche Art nehmen wir mit ihm Kontakt auf. Wir begegnen dabei uns selbst», sagt Claudia Christen. Eine Teilnehmerin, die zuvor schon an der «stillen Führung» auf dem Jüdischen Friedhof Oberer Friesenberg teilgenommen hat, freut sich darüber, wie «das Thema Stille sehr unterschiedliche Leute zusammenbringt.»

Wie fotografiert man Stille?

Hannes L. aus Altstetten hat an diesem Tag schon mehrere Stationen des Programms «Stilles Zürich» besucht. Besonders freut sich der passionierte Freizeitfotograf auf die «Fotoexerzitien», die Brigitte Becker am Samstag anbietet. Sie wird die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in einem Workshop mit dem Handy durch Quartiere mit dem Auftrag schicken, von der Stille ein Bild zu machen. Wo ist es still in der Stadt? Wie wird es still in einem Bild? Und: Wie fängt man Stille mit der Kamera überhaupt ein? Solchen Fragen wird sich Hannes L. mit anderen an diesem Nachmittag stellen. «Fotoexerzitien, das ist ein Begriff, von dem ich bislang noch nie gehört habe. Das wird gewiss ein Abenteuer, auf das ich schon jetzt gespannt bin», sagt er. Der 18-Jährige Informatik-Student hofft, dass «Stilles Zürich» zu einem festen Bestandteil der Zürcher Stadtkultur wird.

Hinweise: Die Aktionswoche dauert noch bis am 18. Juni. Das Programm finden Sie hier

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