Autor Wunibald Müller empfiehlt Strategien gegen die Angst in der Kirche

Zürich 2.5.17 (kath.ch) Im Foyer der Liebfrauenkirche in Zürich konnten Vertreter der Pfarrei-Initiative Schweiz am vergangenen Samstag Wunibald Müller begrüssen. Der bekannte deutsche Buchautor erzählte von der angstmachenden Atmosphäre, die er vieleorts in der Kirche antreffe. Zugleich forderte er die Teilnehmer der Mitgliederversammlung dazu auf, sich diesem Gefühl zu stellen und mutig voran zu gehen.

Vera Rüttimann

Offenheit kann in der Kirche ihren Preis haben. Das haben die Mitunterzeichner der Pfarrei-Initiative des Öftern schon erfahren müssen. Auch Wunibald Müller, 25 Jahre lang Leiter des Recollectio-Hauses der Abtei Münsterschwarzach weiss, was es bedeutet, für seine Überzeugungen einzustehen und welche Folgen dies haben kann. In seinem neuen Buch mit dem Titel «Der letzte macht das Licht aus. Lust auf morgen in der Kirche – eine Ermutigung» und in seinem Vortrag in der Liebfrauenkirche schilderte er seine Erfahrungen mit einem klerikalen System, das viele kirchliche Mitarbeiter als angstmachend wahrnehmen.

Herzblut verkehrt sich in Lustlosigkeit

Urs Müller, engagiert in einer Pfarrei in Effretikon, sagte zu Beginn der Versammlung: «Ich hoffe, dass Wunibald Müllers Gedanken zum Thema Angst mit helfen, wie man mit diesem Gefühl besser umgeht.» Der prominente Referent sprach in seinem Vortrag vor rund 30 Interessierten detailreich von der Atmosphäre der Angst, die er vielerorts in der Kirche antrifft. Eine Stimmungslage, die dazu führe, dass Menschen, wie das in totalitären Systemen der Fall sei, «sich nicht wagen, ihre wahre Überzeugung zu äussern und sich dafür einzusetzen.»

Menschen wagen sich nicht, ihre wahre Überzeugung zu äussern.

Mit Papst Franziskus habe diese Form von Angst in der Kirche nachgelassen, aber nicht aufgehört. Wunibald Müller sagte: «Es gibt weiterhin die Angst, dafür bestraft zu werden, wenn man als kirchlicher Mitarbeiter und kirchliche Mitarbeiterin es wagt, den Mund aufzumachen und zu sagen, was Sache ist. Damit einher geht die Angst, sich auf neue Wege in der Pastoral einzulassen.»

Schliesslich sei da die Angst, über die eigene Angst zu reden. Dieser Gefühlsstau, so Wunibald Müller, bleibe für kirchliche Mitarbeiter auf die Dauer nicht ohne Folgen: «Ihr Herzblut, das vorher in den Dienst floss, verkehrt sich in Lustlosigkeit.»

Seelsorger unter Druck

Versammelt haben sich in Zürich Priester, die die Anliegen der Pfarrei-Initiative unterschrieben haben. Priester, vornehmlich aus der Generation des II. Vatikanischen Konzils, die sich wie Stephan Guggenbühl, ehemaliger Pfarrer von Appenzell, einst «vom damaligen Umbruchs-Geist befeuern liessen.» Die aktuelle Kirchen-Diagnose klang nicht gut: Wunibald Müller erfuhr von einem Mix aus existentieller Not und Frust, in der sich viele kirchliche Mitarbeiter, die sich dem Kurs ihres jeweiligen Bischofes entgegenstellen, befinden würden.

Die aktuelle Kirchen-Diagnose klang nicht gut.

Franz Ambühl, Pastoralassistent in Benken, bekannte: «Ich war betroffen, dass Bischof Markus Büchel sagte, er müsse als Bischof Angst haben, wenn wir als seine Mitarbeitende solche Initiativen unterschreiben und öffentlich machen. Er befürchte, dass er abgesetzt werde.» Eine Religionspädagogin, die namentlich nicht genannt werden wollte, sagte: «Ich kann meine Arbeit angst-frei machen, weil ich mich von meinem Bistum als Frau gar nicht ernst genommen fühle.»

Ich war und bin immer noch sehr erstaunt und betroffen, dass Bischof Markus sich dahin gehend äusserte, dass er als Bischof Angst haben müsse, wenn wir als seine MitarbeiterInnen solche Initiativen unterschreiben und öffentlich machen. Er habe Angst, dass er abgesetzt wird.

In einem zweiten Teil beschäftigten sich die Teilnehmer in Arbeitsgruppen mit Strategien gegen die Angst. Sie versuchten, «der Angst ins Gesicht zu sehen» und «achtsam sich selbst gegenüber zu sein», wie es Wunibald Müller in seinem Vortrag von ihnen forderte.

Ent-ängstigen

Auf grossen Papierrollen standen  bald Sätze wie «Ent-ängstigt euch», «Raus aus der Opferhaltung» oder «Sprachlosigkeit überwinden». An anderer Stelle stand: «Weg von einer Priester-zentrierten Pfarrei» oder «Öffnet die Pfarrhäuser». Zudem kam der Gedanke auf, einen Blog über «gute Erfahrungen in der Kirche» zu lancieren.

Aufmerksam wurde zudem registriert, das Seelsorger aus dem Bistum Chur an der Tagung kaum vertreten waren. Georg Schmucki, Vorstandsmitglied der Pfarrei-Initiative Schweiz, sagte: «Genau hier in diesem angsfreien Raum hätten wir sie eigentlich erwartet.»

Dialog mit Bischöfen wieder aufnehmen

Angst, so eine Erkenntnis dieser Tagung, empfinden jedoch nicht nur von Bischöfen gemassregelten Seelsorger. Angst, wenn auch meist kaum gezeigt, empfinden heute auch Kirchenverantwortliche vor den unbequemen Forderungen der Pfarrei-Initiative. So kam auch die Frage auf: Wo steht die Pfarrei-Initiative heute?

Angst empfinden nicht nur gemassregelte Seelsorger.

Nachdem der Dialog zwischen den Bischöfen und dieser Gruppierung letztes Jahr nicht mehr in die Gänge kam, wollen die Initianten diesen mit einem Brief an die Bischöfe wieder neu lancieren.

Vor allem aber, so betonte der Theologe und ehemaliger Sternstunden-Moderator Erwin Koller, müsse die Pfarrei-Initiative ihre Strategie überdenken und sich neu ausrichten. Es reiche nicht mehr aus, sich allein an Kundgebungen mit reformkirchlichen Gruppen zu beteiligen. Die Engagierten der Pfarrei-Initiative müssen vermehrt «mit unbequemen theologischen Positionen den Bischöfen auf der Pelle rücken.»

«Loslassen und weitergehen», so heisst der Titel eines Buches von Wunibald Müller. – Dies könnte auch der Titel der Versammlung in der Zürcher Liebfrauenkirche gewesen sein, die zu inneren und äusseren Abschieden aufrief, um neu beginnen zu können.


Wunibald Müller: «Wenn ich sage, was ich denke, werde ich bestraft»

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